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Juden und Araber brechen das Eis auf dem Berg

Auf dem Mont Blanc angekommen: Die Fahne soll die Verständigung zwischen Juden und Arabern in Israel symbolisieren. (coexistences.ch) coexistences.ch

Sie hingen zusammen am Seil und sie vertrauten einander: Acht junge jüdische und arabische Israeli erklommen gemeinsam den Mont Blanc, den höchsten Berg Europas. Zusammengeführt hat die Gruppe die Organisation Coexistences in Lausanne.

«Diese Region kann keinen politischen Militantismus brauchen, dies trägt nur zum Konflikt bei», sagt Massiomo Sandri, Präsident der Organisation Coexistences, die sich für die Verständigung zwischen Palästinensern und Israeli einsetzt. «Es geht darum, die Stereotypen und die Polarisierung auf beiden Seiten zu überwinden.»

Für das Projekt «Breaking the Ice» (Das Eis brechen) wählte Coexistences den Mont Blanc in FrankreichM insbesondere wegen seiner starken symbolischen Ausstrahlung. Eine Ausstrahlung, die auch dafür stehen soll, dass Friede im Nahen Osten möglich ist.

Daran teil nahmen zwei Frauen und sechs Männer im Alter zwischen 23 und 31 Jahren.

Die acht trainierten Bergsteiger haben alle einen israelischen Pass, und doch leben sie durch den Konflikt im Nahen Osten getrennt: Vier der Teilnehmer gehören der arabischen und vier der jüdischen Gemeinschaft an.

«Wie kannst du die Lage verbessern?»

Die meisten Angehörigen der arabischen Minderheit fühlten sich nicht als Teil des israelischen Staats, sagt die Palästinenserin Lobna Agbaria gegenüber swissinfo.ch. «Die arabischen Christen und Muslime leben in den Städten von den Juden getrennt, so in der Schule, an der Uni oder in der Freizeit «, sagt die 23-jährige Rechts- und Wirtschaftsstudentin.

Bevor sie am Mont-Blanc-Projekt teilnahm, dachte sie, es bringe nichts, mit einem jüdischen Israeli zu sprechen, so lange die israelische Besetzung anhalte.

«Ich dachte, diese Art von Projekt romantisiert die Realität – doch die Realität ist einfach nicht gut», so Lobna Agbaria. «Schliesslich sagte ich mir: Du lebst nun mal in dieser Realität, was kannst du also tun, um die Situation zu verbessern?»

«Viel gemeinsam»

Für die Geschichte der Palästinenser sei an israelischen Schulen kein Platz. Und da zwischen Juden und Palästinensern kaum ein Austausch stattfinde, wüssten die meisten Juden nicht viel über die Araber, sagt die junge Frau.

Für Lobna Agbaria ist die während der Besteigung des Mont Blanc erlebte Gruppendynamik für die israelische Gesellschaft untypisch. Für sie sei deshalb die Erfahrung umso wichtiger gewesen, mit den jüdischen Teilnehmern als Freunde zu sprechen.

Politische Ansichten hätten sich während des Bergsteigens in der Gruppe verändert, auch auf Seite der jüdischen Teilnehmer. «Sie waren das erste Mal mit Palästinensern zusammen und merkten, dass sie viel gemeinsam hatten», sagt Lobna Agbaria.

Das Bedürfnis, Erfahrung zu teilen

Er habe zwar viele Araber gekannt, aber nie eine engere Freundschaft zu einem Araber gehabt, sagt der 29-jährige Tomer Ketter.

«Das Projekt veränderte meine politische Einstellung. Jetzt, wo ich arabische Freunde habe, eröffnet sich mir eine neue Welt“, so der Geophysikstudent.

Viele Juden und Araber würden wie er denken, getrauten sich aber nicht, dies zu sagen. «Es ist viel einfacher, mit lauter Stimme aufzubegehren». Das grösste Problem sei, dass die Presse kleinen extremistischen Gruppen viel, den Stimmen aus der Mitte jedoch keinen Platz einräume.

Die Gruppe möchte nach der erfolgreichen Besteigung des Mont Blanc ihre Erfahrungen gerne weitergeben, wie Ketter sagt. Es gebe bereits Pläne für Trekking-Touren mit jüdischen und arabischen Jugendlichen.

Auch würden die Teilnehmer gerne in jüdischen und arabischen Schulen über ihre Erfahrung sprechen.

Ohne Vertrauen geht nichts

Coexistences startete 2006 mit einem Projekt, bei dem sie jüdische und arabische Teenager aus Jerusalem in der Schweiz beherbergte. Die Besteigung des Mont Blanc mit einer Gruppe von Juden und Arabern ist das bisher ehrgeizigste Projekt der Schweizer Organisation. Bergsteigen sei eine symbolisch Aktivität, eine, die viel Teamgeist verlange, wie Präsident Massimo Sandri sagt.

«Eine Gruppe von acht Personen muss zusammenhalten, um ans Ziel zu gelangen. Es ist unmöglich, den Mont Blanc ohne gegenseitiges Vertrauen zu besteigen. Denn hängt man zusammen am Seil, dann muss man einander vertrauen», sagt Lobna Agbaria.

Dieses Vertrauen, das die Basis für alles weitere sei, wird während des monatelangen Kletter-Trainings aufgebaut.

«Das Wichtigste, das ich gelernt habe, ist, dass man offen mit Leuten sprechen kann, denen man vertraut», so die Palästinenserin. «Wenn wir in der Gruppe diskutieren, auch über Politik, findet ein ganz neuer Dialog statt.»

Julia Slater, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Corinne Buchser)

Die Besteigung des Mont Blanc wurde vom Schweizer Bergsteiger Jean Troillet, dem Israeli Doron Erel und dem Palästinenser Olfat Haider geleitet.

Der Besteigung mit der jüdisch-arabischen Gruppe gingen monatelange Vorbereitungen voraus.

Die Gruppe erreichte den 4807 Meter hohen Gipfel am 4. August 2010.

Das Projekt «Breaking the Ice» wurde von den beiden französischen Städten Chamonix und Courmayeur sowie der israelischen Stadt und der Universität Haifa unterstützt.

Die Organisation Coexistences startete 2006 mit einem Projekt, bei dem sie eine Gruppe von jüdischen und palästinensischen Teenagern in der Schweiz beherbergte.

16 Mütter dieser Jugendlichen kamen 2008 selbst in die Schweiz.

Die Idee von Coexistences ist es, die Verständigung zwischen der jüdischen und arabischen Gemeinschaft in Israel durch gemeinsame Erfahrungen in einer neutralen, gewaltfreien Umgebung zu fördern.

Die Organisation mit Sitz in Lausanne zählt rund 100 Aktivmitglieder.

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