Nationalparks im Spannungsfeld der Interessen
In der Schweiz sollen zwei zusätzliche Nationalparks entstehen. Im Unterschied zum bestehenden Park wird es dort auch Gebiete geben, in denen gebaut werden darf. Damit werden die Parks zu einer Gratwanderung zwischen Verwilderung der Natur und Standortförderung.
«Wir haben Steinböcke, Hirsche, Rehe Murmeltiere, Wildbäche, Gipfel und Gletscher», rühmt Nello Bruni vom Leitungsausschuss des künftigen Park Adula die alpine Region am östlichen Gotthardmassiv.
Doch im Unterschied zum schweizerischen Nationalpark im Engadin soll die Idylle hier nicht der Verwilderung überlassen werden. «Im Engadin ist ja quasi nichts möglich. Wir hingegen wollen den Park bewirtschaften», sagt Bruni.
Das heisst konkret: Das Label «Nationalpark» hat internationale Ausstrahlung. Deshalb gehen die Promotoren davon aus, dass es Touristen anlocken wird. «Je mehr Touristen kommen, desto besser lassen sich unsere verschiedenen Käsesorten verkaufen», so Bruni.
Ein Nationalpark als Marke, als Instrument der Standortförderung. – Diese Idee ist den meisten Schweizerinnen und Schweizern fremd. «Sie haben das Gefühl, in einem Nationalpark, da geht gar nichts», sagt Otto Sieber, Zentralsekretär von Pro Natura.
In der Tat ist im bislang einzigen Schweizer Nationalpark praktisch alles verboten, was einem Eingriff in die Natur entspricht. «Streng genommen ist der Nationalpark ein Verwilderungsgebiet und kein Nationalpark», so Sieber.
Konzept geändert
Die Erklärung für diese Aussage liegt im Umstand, dass die Internationale Union für die Erhaltung der Natur (IUCN) in den 1980er-Jahren das Konzept für Nationalparks in dem Sinne geändert hat, dass neue Nationalparks nun grundsätzlich in eine Kernzone und in eine Umgebungszone aufgeteilt werden.
In der Kernzone soll die Natur sich selbst überlassen werden, aber in der Umgebungszone sind Veränderungen und bauliche Eingriffe zulässig. Konkret ist in der Kernzone jedes «Betreten ausserhalb der Wege» verboten, wie es in der entsprechenden Verordnung des Bundes heisst. Hier gilt ein totales Fahrverbot für «alle Arten von Fahrzeugen». Jagen und Fischen ist verboten, ebenso das Sammeln von Pilzen und Steinen. Landen oder Starten ist auch mit Hängegleitern verboten. Tierhaltung – konkret geht es um die Schafhaltung – ist nur noch erlaubt, wenn sie der lokalen Tradition entspricht.
Interessenkonflikte
In den Umgebungszonen, also in den Dörfern, müssen Neubauten ins Ortsbild passen und der Tourismus muss «naturnah» sein. Dass selbst diese weit auslegbaren Vorgaben zu Interessenkonflikten führen können, zeigt die Entstehungsgeschichte des zweiten neuen Nationalparks, des Parco Nazionale del Locarnese, dessen Perimeter das Maggia- und das Onsernone-Tal umfasst.
Ausgerechnet Cevio, die grösste Gemeinde des Maggiatals, hat im Mai 2009 entschieden, aus dem Projekt auszusteigen. Der Widerstand kam von Jägern, Fischern und Besitzern von umgebauten Alpställen. Sie sahen ihre Handlungsfreiheit gefährdet. Viele Einheimische empfanden die Einschränkungen zudem als Diktat aus der fernen Bundeshauptstadt Bern. Kurzum: Der Entscheid des Gemeindeparlaments war deutlich.
In der Zwischenzeit haben die Verantwortlichen des Parks ihr Projekt ohne Cevio überarbeitet, verkleinert und dem Bund zur Genehmigung eingereicht. Alle andern Regionen, die sich noch vor wenigen Jahren für die Realisierung eines Nationalparks interessiert hatten, haben sich in der Zwischenzeit zurückgezogen oder sich darauf konzentriert, einen so genannten regionalen Naturpark zu errichten.
Naturparks ohne Kernzonen
Neben den Nationalparks wird in der Schweiz auch die Einrichtung so genannter regionaler Naturparks gefördert. Die Frist für die Einreichung der Gesuche ist am 7. Januar 2011 abgelaufen. Bis dahin sind laut dem zuständigen Bundesamt für Umwelt 8 Gesuche für Naturparks eingegangen. Vier Parks haben das Label bereits erhalten.
Hier gehen die Einschränkungen zugunsten der Natur entschieden weniger weit. Radfahren und Hängegleiten sind erlaubt, Hunde auch, müssen allerdings an der Leine geführt werden. Die Jagd ist erlaubt, allerdings lediglich zur Verhütung von Wildschäden. Auch neue Bauzonen sind erlaubt. Neubauten müssen sich «ins Ortsbild einfügen».
Naturpärke haben zudem keine Kernzonen. «Wir hätten gerne solche Zonen gehabt, sind aber mit dieser Forderung nicht durchgekommen», sagt Sieber.
Gemäss dem revidierten Natur- und Heimatschutzgesetz gibt es drei Kategorien von Parks von nationaler Bedeutung.
Nationalpark
Nationalparks bieten unberührte Lebensräume für die einheimische Flora und Fauna sowie für die Eigenentwicklung der Naturlandschaft. Sie gliedern sich in eine Kern- und eine Umgebungszone.
Der 1914 geschaffene Nationalpark im Engadin ist ein Verwilderungsgebiet, das heisst, er hat keine so genannte Umgebungszone.
Regionaler Naturpark
Der Regionale Naturpark ist ein teilweise besiedeltes, ländliches Gebiet, das sich durch hohe Natur- und Landschaftswerte auszeichnet und dessen Bauten und Anlagen sich in das Landschafts- und Ortsbild einfügen. Solche Landschaften können auch den Status einer Unesco-Biosphäre erlangen.
Naturerlebnispark
Bei Naturerlebnisparks handelt es sich um naturnahe Ausgleichsräume in der Nähe dicht besiedelter Gebiete. Hier soll sich die städtische Bevölkerung erholen und die Natur geniessen können.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch