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«Schweizer Mode ist multikulturell»

2010 eröffnete die damalige Bundespräsidentin Doris Leuthard das Filmfestival Locarno in einem Kleid von Akris. Remy Steinegger / pixsil

Zürich zeigt sich diese Woche glamourös und präsentiert seine Modetage, mit Preisen und Paraden von internationalen Couturiers wie auch jungen Schweizer Designern. Schweizer Mode ist laut Nic Ulmi, Kolumnist beim Modemagazin "Edelweiss", im Steigflug.

Eine einzige grosse, internationale Schweizer Marke ist an den vier wichtigsten «Fashion Weeks» in Paris, New York, Mailand und London präsent: Akris.

Auch der Schuhhersteller Bally hat sich in den 1970er-Jahren in die Mode auf internationalem Niveau gewagt. Zwei Beispiele, welche Schweizer Politikerinnen gerne immer wieder hervorheben.

So sorgte etwa die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey 2003 für eine weltweite Sensation, als sie die Grenze zwischen Nord- und Südkorea überschritt. Ganz in Weiss, mit roten Bally-Schuhen, die mit einem weissen Schweizerkreuz geziert waren.

swissinfo.ch: In der Haute Couture haben sich die Schweizer Walter Steiger, Laurent Mercier oder Jean-Luc Amsler in Paris einen Namen gemacht. Welchen Platz hat die Mode in der Schweiz?

Nic Ulmi: Die Modewelt besteht aus verschiedenen Nischen und Parallelwelten, mit zum Teil sehr unterschiedlichen Werten, Ethiken und Arbeitsweisen. In der Schweiz gibt es viele kleine Labels, die ausschliesslich im Inland produzieren und die sehr nahe am Handwerk sind. Wer die Produktion auslagert, wählt hauptsächlich Länder im Osten Europas.

swissinfo.ch: Seit langer Zeit wurde diese Welt von männlichen Modeschöpfern dominiert. Doch nun scheint es, dass gegenwärtig mehr und mehr Frauen Männer-Kollektionen entwerfen. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

N.U.: Es ist schwierig, herauszufinden, ob es eine grundsätzliche Erklärung dafür gibt, da jede Modemacherin ihre eigene Geschichte hat. Es könnte aber einen strategischen Grund geben: Die Männermode ist noch eine Art jungfräuliches Terrain. Da die Männer in Modesachen eher konservativ sind, gibt es da noch Platz zu erobern. Wenn ich mit diesen Frauen spreche, stelle ich fest, dass sie eine Menge zu bieten haben.

Während es schon lange viele kleine Labels für Frauen gab, ist dies für Männer noch Neuland. Doch die Männer beginnen, sich zu emanzipieren, ihre Konsumgewohnheiten ähneln immer mehr jenen der Frauen. Es geht ihnen nicht mehr nur darum, ein komfortables und den Konventionen des Arbeitsplatzes entsprechendes Kleidungsstück auszuwählen, sondern auch um die Freude an der Kleidung als Definition ihrer Identität und der Beziehungen mit der Aussenwelt.

swissinfo.ch: Die Modewelt ist also im Umbruch?

N.U.: Die Schweizer Modewelt ist in Wallung, mit vielen jungen, interessanten Designern, aber auch mit Initiativen, diese besser in Szene zu setzen und zusammenzubringen.

Dieses recht neue Phänomen zeigt sich in der Ausbildung. Es gibt zwar schon lange Modeschulen, doch sind diese eher technisch ausgerichtet, mehr auf die Schneiderei als auf das Design. Seit einigen Jahren gibt es in Basel und Genf zwei Ausbildungsgänge, die universitär ausgerichtet sind.

Dort wird theoretisch erarbeitet, wie man ein Kleidungsstück entwirft, welchem Zweck es dienen soll – eine Reflexion über die visuellen und ästhetischen Universen, welche die Mode begleiten.

Dazu gehört auch der ganze psychologische und soziologische Hintergrund, der aus der Mode eine globale soziale Tatsache macht, ein zentrales Element beim Erschaffen einer Identität.

swissinfo.ch: Letztes Jahr hat der Textilverband Schweiz den Swiss Award, den er an den Fashion Days von Zürich an internationale Designer vergeben hatte, abgeschafft. Wie wird die Kreativität in der Schweiz gefördert?

N.U.: Neben den eidgenössischen Designpreisen, die das Bundesamt für Kultur (BAK) jedes Jahr ausrichtet, verfügen die Hochschulen über ein ganzes Arsenal an Preisen, Stipendien oder Hilfestellungen bei der Kreation eines Labels. Spezialmagazine wie die Annabelle in der deutschsprachigen oder Edelweiss in der französischsprachigen Schweiz richten auch Preise aus.

Andererseits hat dieses Jahr erstmals «Mode Suisse» stattgefunden, ein Showroom für Profis, im Frühling und im Oktober jeweils in Zürich und Genf. Diese Veranstaltung verhilft den Schweizer Modemachern zu einer neuen Sichtbarkeit ausserhalb der Boutiquen.

Es gibt auch Strukturen wie etwa TJ Studio in Lausanne. Das ist ein Produkte-Büro, das Kontakte mit Vermittlern schafft, Lieferanten, Material und Produzenten findet sowie den Fabrikationsprozess und die Marketingstrategie begleitet. Kurz, es erlaubt einem jungen Modemacher, basierend auf seinen Entwürfen eine eigene Kollektion herzustellen. Solche Angebote sind sehr neu und entsprechen einem echten Bedürfnis.

swissinfo.ch: Textilien waren der erste grosse Motor der Schweizer Exportindustrie. Dieser Sektor, der im 19. Jahrhundert 12% der Arbeitnehmenden beschäftigte, ist heute im Niedergang. Ist das nicht eine Gefahr für die Bekleidungsindustrie?

N.U.: Klar gab es eine Abnahme des Textilbereichs innerhalb der Schweizer Wirtschaft, doch im internationalen Markt konnte die Schweiz ihren Platz halten. Und das ist vielleicht sogar ein Faktor, der die Mode behindert.

Ich möchte gerne das Beispiel Belgiens erwähnen, wo die Textilbranche in den 1980er-Jahren total eingebrochen ist, auch wenn das Land in die Mode investiert hat, um deren Haut zu retten.

Überraschenderweise hat sich dieses Engagement ausbezahlt, denn die Textilkrise brachte eine grosse Erfolgsgeschichte der belgischen Mode auf internationalem Niveau ins Rollen, die seit den 1990er-Jahren anhält.

Nun gibt es in der Schweiz keine vergleichbare Krise, denn Textilien, die namentlich dank technischen Innovationen international noch sehr gut laufen, brauchen die Schweizer Mode nicht.

Doch es gibt Zeichen, dass die Textilindustrie sich entscheiden könnte, ein wenig mehr ins Design zu investieren, was der Schweizer Mode wirklich erlauben könnte, abzuheben.

Die Schweizer Mode verfügt über eigene Stärken, beispielsweise den charakteristischen Kulturmix des Landes. Zudem sind sich junge Designer der herausragenden Qualitäten von Schweizer Textilien bewusst, die sich besonders dank technischer Innovationen erhöht haben. Und dies kann die Beziehungen zwischen Mode und Material nur verstärken.

Die Fashion Days finden vom 7. bis 10. November im Schiffbau Zürich statt. Organisiert werden sie vom Event-Spezialisten IMG Fashion, der auch für die Fashion Weeks in Berlin verantwortlich zeichnet.

8. November: «Würdigung der Jugend» – Mit dem 9. Annabelle-Preis wurde die 26-jährige Julia Winkler ausgezeichnet, eine der fünf Finalistinnen, alle Neuabgängerinnen von Modeschulen.

9. November: «Würdigung der Diversität» – Modeschau der jungen Schweizer Textildesigner Portenier Roth, Marc Stone, LBD (Little Black Dress) White, Javier Reyes, Kazu Hugler.

Ferner wird der Fibers & Yarns Award der Oerlikon Gruppe, weltweit grösster Hersteller von Textilmaschinen, an das Modedesign-Institut der Universität Donghua in Shanghai, China, vergeben.

Von 2000 bis 2010 zeichnete der Textilverband Schweiz junge Designerinnen und Designer mit dem Swiss Textiles Award aus. Das Preisgeld (100’000 Franken 2010) galt lange Zeit als das höchste. Seit 2011 gibt es den Award nicht mehr.

Ob in Luzern oder Zürich, die Endphase des Wettbewerbs fand immer anlässlich eines grösseren Events statt: zuerst am Festival Gwand in Luzern, später bei den Stella Contemporary Fashion Awards und, 2010 ein einziges Mal, an den Zurich Fashion Days.

Der Swiss Textiles Award wurde dieses Jahr ersetzt durch einen Filmpreis, den Golden Velvet Award. Der Präsident des Internationalen Filmfestivals Locarno, Marco Solari, wird den Preis am 15. November an junge Filmschaffende verleihen, die in ihrem Werk die Qualität von Schweizer Textilien eingefangen haben.

(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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