Schweizerin hilft in Israel
Rucksäcke aus alten Segeln: Die Schweizerin Tabea Oppliger bietet Frauen einen Ausweg aus der Zwangsprostitution und den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt.
Es war eine Begegnung mit Folgen: Tabea Oppliger war mit ihrer sechs Wochen alten Tochter im Zürcher Rotlichtmilieu unterwegs, und plötzlich näherte sich ihr eine Frau. «Es war klar zu erkennen, dass sie eine Prostituierte war», erzählt sie. Die Unbekannte fragte: «Darf ich Tochter küssen?»
Tabea Oppliger bejahte. «Dieser Kuss mit dem Lippenstift auf das Köpfchen meines Babys hat zugleich mein Herz gebrandmarkt.»
Sie wurde aktiv. Die heute 45-Jährige, die eine Weiterbildung als Sportmasseurin absolviert hatte, bot den Sexarbeiterinnen an, sie zu massieren. Sie hat gesehen, wie körperlich und psychisch belastend die Arbeit der Frauen war.
Arbeit statt Mitleid
Bei ihren Begegnungen hörte Oppliger immer wieder denselben Satz: «Ich brauche kein Mitleid, ich brauche einen Job.» Denn aus der Zwangsprostitution aussteigen könne nur, wer eine Perspektive habe. Für Tabea Oppliger war deshalb klar: Sie wollte die Lücke zwischen Ausstieg und Reintegration in den Arbeitsmarkt schliessen.
Das war vor gut zehn Jahren. Heute führt die Schweizerin mit ihrem Mann Matthias ihr Sozialunternehmen «KitePride» in Israel, das zugleich ein Upcycling-Projekt ist.
Die Produktionsstätte befindet sich in einem Industriegebäude im Süden Tel Avivs. Auf zwei Stockwerken nähen Mitarbeitende Taschen, Rucksäcke und Accessoires aus alten Segeln und Fallschirmen.
«Danke», steht auf den Labels der Taschen darauf, «Sie haben der Person einen Rehabilitations-Arbeitsplatz verschafft, die diese Tasche genäht hat.»
Bei KitePride arbeiten Menschen, die den Ausstieg aus der Zwangsprostitution bereits geschafft haben. «Momentan arbeiten 13 Leute mit diesem Hintergrund bei uns», sagt Tabea Oppliger.
Hohe Erfolgsquote
Die meisten Mitarbeitenden kommen aus Osteuropa, mehrheitlich aus der Ukraine und aus Russland. 2018 hat Tabea Oppliger KitePride mit ihrem Mann gegründet. «Seither sind etwas mehr als 35 Leute bei uns ausgebildet worden.»
Ganz zu Beginn seien zwei oder drei Menschen wieder in die Prostitution zurückgekehrt. «Aber sonst sind alle geblieben», sagt Oppliger. «Wir haben eigentlich hundertprozentigen Erfolg.»
Spenden sind nötig
Das Unternehmen ist zu einem grossen Teil auf Spendengelder von jüdischen und mehrheitlich kirchlichen Stiftungen angewiesen. «Die Einnahmen bei KiteProde decken gerade mal die Produktionskosten», sagt Oppliger.
Tabea Oppliger realisierte bald, dass das Angebot von KitePride nicht ausreicht. «Es gibt so viele ehemalige Opfer von Menschenhandel, die eine Arbeitsstelle brauchen», sagt sie.
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Um noch mehr ehemaligen Opfern von Zwangsprostitution zu helfen, hat Oppliger ein Sozialprojekt lanciert. In Kursen lernen die Teilnehmenden Alltägliches: Rechnungen bezahlen, wie man sich bewirbt, aber auch welche Rechte sie haben. Ziel ist, dass sie im Leben wieder Fuss fassen. Für dieses Projekt erhält Tabea Oppliger unter anderem Geld von der israelischen Regierung.
Rettung, bevor es zu spät ist
Tommy ist eine der Frauen, die bei diesem zweiten Projekt mitgemacht hat. Die 29-jährige Israelin arbeitet heute als Köchin, unter anderem für den Mittagstisch von KitePride.
«Ich habe mehrmals versucht, auszusteigen», erzählt Tommy. Letztlich sei es immer an finanziellen Problemen gescheitert. Erst mit den Menschen bei Tabea Oppliger sei sie dazu bereit gewesen.
Dass Tabea Oppliger sich für Menschen wie Tommy einsetzt, liegt auch an ihrem Glauben. Sie ist wie ihr Mann in einer freikirchlichen Familie in Papua-Neuguinea aufgewachsen. Dort waren ihre Eltern missionarisch tätig.
Die freikirchliche Prägung ist für Tabea Oppliger zentral, ihr Glaube «ein Anker». «Ich bin damit aufgewachsen, dass man Nächstenliebe aus Überzeugung lebt», sagt sie.
Bekehren wolle sie niemanden. «In Israel ist Missionieren sowieso verboten, da müsste ich gleich das Land verlassen.»
Start-up-Paradies Israel
Dass die Schweizerin ihr soziales Unternehmen in Israel realisiert hat, begründet sie so: «Die Schweiz ist nicht der Ort, wo man Innovation willkommen heisst. Ich glaube, ich wäre noch heute am Warten auf alle Zertifikate, die nötig sind, um ernst genommen zu werden.»
Dass ihre Wahl ausgerechnet auf Israel fiel, war letztlich Zufall. «In Israel gibt es eine Start-up-Kultur, einen Nährboden für Pioniergedanken.»
Doch auch in Israel läuft nicht alles nur rund, das hat Tabea Oppliger im Lauf der Jahre gemerkt. «Die ganze Bürokratie ist uns über den Kopf gewachsen.» Obwohl sie unterdessen fliessend Hebräisch spricht, sei es schwierig, das System zu verstehen.
Unterdessen ist das Visum der Familie abgelaufen. Die Oppligers haben eine Aufenthaltserlaubnis beantragt. Seit Monaten warten sie auf den Entscheid. Doch es ist vorgesorgt: «Wir haben eine Leiterin für das Unternehmen eingestellt, eine Israelin, die das Ganze vor Ort führen wird.»
Sollte der Entscheid des Innenministeriums negativ ausfallen, will Tabea Oppliger zwischen der Schweiz und Israel pendeln.
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