Sozialversicherungen
Die Schweiz verfügt über verschiedene Sozialversicherungen, die Risiken in den Bereichen Arbeit, Gesundheit, Familie und Alter abdecken.
Der schweizerische Sozialstaat lässt sich schwer mit anderen Ländern vergleichen, weil er zahlreiche Versicherungen mit unterschiedlichen Mechanismen umfasst. Zu den Eigenheiten gehören der geringe Anteil von Steuergeldern bei der Finanzierung, die grosse Bedeutung der individuellen Vorsorge und der Einfluss privater Institutionen.
Der Föderalismus und die direkte Demokratie haben ebenfalls einen grossen Einfluss auf die Sozialwerke. In der Regel verlangsamen sie die Einführung von Hilfen, manchmal wirken sie aber auch beschleunigend. So wurde beispielsweise die Invalidenversicherung 1960 eingeführt, nachdem mehrere Initiativen ein solches Instrument gefordert hatten. Der Mutterschaftsurlaub hingegen wurde erst 2005 eingeführt, nachdem er von der Stimmbevölkerung zunächst abgelehnt worden war.
Im internationalen Vergleich nehmen die Sozialausgaben der Schweiz in Prozent des BIP eine mittlere Position ein, die nahe am EU-Durchschnitt liegt.
Altersvorsorge
Das Schweizer Rentensystem beruht auf drei Säulen: der obligatorischen staatlichen Vorsorge (Alters- und Hinterlassenenversicherung, AHV), der beruflichen Vorsorge (BVG) und der individuellen privaten Vorsorge.
Die Höhe der AHV-Rente hängt von den Beitragsjahren und dem Einkommen ab. Sie soll das Existenzminimum sichern. Wenn Renten, weitere Einkommen und das Vermögen die minimalen Lebenskosten nicht decken, können staatlich finanzierte Ergänzungsleistungen zur AHV beantragt werden.
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Invalidenversicherung (IV)
Die Invalidenversicherung ist obligatorisch. Finanziert wird sie durch Beiträge von Angestellten und Arbeitgebenden sowie durch den Bund über verschiedene Steuern.
Die IV greift, wenn eine Person aufgrund einer Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit nicht oder nur teilweise erwerbstätig sein kann. Die Versicherung finanziert Massnahmen, um die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, sowie Voll- oder Teilrenten.
Erwerbsausfallentschädigungen (EO)
Diese Versicherung ist obligatorisch und wird durch die Beiträge von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden finanziert. Die EO gleicht den Einkommensausfall bei Militärdienst, Zivildienst, Zivilschutz, Mutterschaft und Vaterschaft aus.
Seit 2005 haben Frauen nach der Geburt eines Kindes während 14 Wochen Anspruch auf eine Entschädigung für den Verdienstausfall in der Höhe von 80% des Lohnes.
Seit 2021 haben Männer Anspruch auf zwei Wochen bezahlten Urlaub, den sie innerhalb von sechs Monaten ab Geburt ihres Kindes beziehen können. Wie beim Mutterschaftsurlaub beträgt die Entschädigung 80% des durchschnittlichen Erwerbseinkommens.
Ebenfalls seit 2021 haben Eltern, die ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen oder reduzieren, um ein gesundheitlich schwer beeinträchtigtes Kind zu betreuen, Anspruch auf einen 14-wöchigen Betreuungsurlaub, der über die Erwerbsersatzordnung mit 80% des Lohnes entschädigt wird. Der Urlaub kann zwischen den Elternteilen aufgeteilt werden.
Arbeitslosenversicherung
Alle Angestellten in der Schweiz, die das Rentenalter noch nicht erreicht haben, sind obligatorisch gegen Arbeitslosigkeit versichert. Die Versicherungsbeiträge werden je hälftig von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden bezahlt.
Um in den Genuss der Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu kommen, müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein:
- In den letzten zwei Jahren vor der Arbeitslosigkeit mindestens 12 Monate gearbeitet haben
- In der Schweiz wohnhaft sein
- Eine Arbeitserlaubnis besitzen
- Sich bei einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) melden
- Persönliche Schritte unternehmen, um eine neue Stelle zu finden
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Die Arbeitslosenentschädigung beträgt 70% (80% mit unterhaltsberechtigten Kindern) des Durchschnittslohns, der in den letzten sechs bis zwölf Monaten der Beschäftigung verdient wurde. Das Arbeitslosengeld wird in der Regel zwei Jahre lang gezahlt, es gibt jedoch zahlreiche Ausnahmen.
Ausgesteuerte Arbeitslose ab 60 Jahren können Überbrückungsleistungen erhalten. Diese sichern die Existenz bis zur Rente.
Krankenversicherung
Die Grundversicherung ist für alle in der Schweiz wohnhaften Personen obligatorisch. Sie wird direkt von den Versicherten finanziert. Alle Einwohner:innen zahlen eine monatliche Prämie an eine private Krankenkasse. Wer in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, kann beim Wohnkanton eine Prämienverbilligung beantragen.
Die Krankenpflegeversicherung deckt nach Erreichen eines Fixbetrages (Jahresfranchise) und unter Berücksichtigung eines Selbstbehaltes die meisten Gesundheitsprobleme ab, von einer Geburt über ärztliche Besuche und Spitalaufenthalte bis hin zu schweren Krankheiten. Die meisten verschreibungspflichtigen Medikamente werden übernommen.
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Unfallversicherung
Arbeitnehmende sind durch ihren Arbeitgebenden automatisch gegen berufliche Unfälle und Berufskrankheiten versichert. Wenn sie mehr als 8 Stunden pro Woche bei demselben Arbeitgebenden arbeiten, sind sie auch gegen Nichtberufsunfälle versichert.
Hausfrauen und Hausmänner, Kinder, Studierende sowie Rentner:innen müssen sich bei ihrer Grundkrankenversicherung gegen Unfälle versichern. Auch Selbstständige und Freiberufler:innen sind nicht obligatorisch gegen Unfälle versichert.
Familienzulagen
Die Funktionsweise und Höhe der Familienzulagen kann von Kanton zu Kanton unterschiedlich sein. In der Regel werden sie von den Arbeitgebenden, den Selbstständigen und den Kantonen finanziert.
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Ziel der Familienzulagen ist es, die Kosten, die durch die Betreuung eines oder mehrerer Kinder entstehen, teilweise zu kompensieren. Erwerbstätige können für jedes Kind bis zu seinem 16. Geburtstag eine finanzielle Unterstützung von mindestens 200 Franken pro Monat beantragen. Anschliessend gibt es für jedes sich in Ausbildung befindliche Kind bis 25 Jahre eine Zulage in der Höhe von mindestens 250 Franken.
Einige Kantone haben auch eine Geburts- oder Adoptionszulage eingeführt.
Sozialhilfe
Personen in finanziellen Schwierigkeiten, für die Leistungen aus den Sozialversicherungen nicht ausreichen, die diese nicht in Anspruch nehmen konnten oder keinen Anspruch mehr darauf haben, können Sozialhilfe beantragen. Die Sozialhilfe soll jedem Menschen ein Existenzminimum garantieren.
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Die Sozialhilfe wird in der Regel durch kommunale und kantonale Steuern finanziert. Sie wird von den Kantonen geregelt und meist von den Gemeinden umgesetzt. Ihre Funktionsweise und die Höhe der Unterstützung können daher je nach Wohnort stark variieren.
Personen, die finanzielle Unterstützung benötigen, sollten sich an ihren regionalen Sozialdienst wenden. Die Unterstützung wird von Fall zu Fall je nach Situation und Bedarf gewährt. Bis auf einen kleinen Freibetrag darf kein Vermögen vorhanden sein.
Sozialhilfeleistungen erhalten häufig ältere Menschen, deren Rente zu niedrig ist, Alleinerziehende, aber auch ausgesteuerte Arbeitslose, denen es nicht gelungen ist, wieder eine Stelle zu finden, hoch verschuldete Personen oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Lohn nicht ausreicht, um den Haushalt zu ernähren.
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Fast 10% der Wohnbevölkerung in der Schweiz erhalten eine Form von Sozialhilfe im weitesten Sinne: Ergänzungsleistungen zur Altersvorsorge, Familienzulagen, Wohngeld, Alimentenbevorschussung oder umfassende wirtschaftliche Unterstützung für das tägliche Leben.
Mängel im System
Trotz der in der Schweiz bereitgestellten Hilfen fallen viele Menschen durch die Maschen des Netzes und befinden sich in einer sehr prekären Lage. Etwa ein Drittel der Personen, die Anspruch auf Sozialleistungen haben, verzichten darauf, Hilfe zu beantragen.
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Das System ist komplex und viele kennen ihre Rechte nicht. Informationen sind manchmal schwer zu erhalten und die zuständigen Stellen sind nicht immer gut erreichbar. Viele Menschen haben Schuldgefühle und befürchten, dass sie stigmatisiert werden, wenn sie staatliche Unterstützung beantragen. Darüber hinaus sehen einige Kantone vor, dass ein Teil der gewährten Sozialhilfe zurückbezahlt werden muss, wenn sich die wirtschaftliche Situation der Betroffenen verbessert.
Ausländerinnen und Ausländer laufen sogar Gefahr, dass ihnen die Aufenthaltsgenehmigung entzogen wird, wenn sie Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Und Personen ohne Aufenthaltsbewilligung wollen nicht das Risiko eingehen, von den Behörden festgenommen oder gar abgeschoben zu werden.
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Im Jahr 2020 waren 8,5% der Bevölkerung von Armut betroffen, trotz der Sozialversicherungen.
Weitere Informationen über das Schweizer Sozialsystem:
- Liste und Beschreibung der verschiedenen Leistungen auf der Website des Bundesamtes für SozialversicherungenExterner Link
- die Geschichte der sozialen Sicherheit in der SchweizExterner Link
- die Arbeitslosenversicherung auf der offiziellen Website ch.chExterner Link
- die Funktionsweise der Sozialhilfe auf der Website der Konferenz für Sozialhilfe (SKOS)Externer Link
- die Sozialhilfe in Zahlen auf der Website des Bundesamts für Statistik (BFS)Externer Link
- die Sozialleistungen im internationalen Vergleich auf der Website des BFSExterner Link
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Versicherungen
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