Wer führt die Fifa aus dem Chaos?
Wer führt die Fifa aus dem Chaos, wer verleiht ihr wieder Stabilität und Glaubwürdigkeit? Oder hält der Zerfall der einst so stolzen Organisation weiter an? Ein Standpunkt von Fifa-Insider und -Experte Guido Tognoni.
Der Kongress vom 26. Februar soll die ersten Fragen beantworten und den Weltverband nach den traumatischen Ereignissen des vergangenen Jahres in ruhigere Gewässer lenken.
Voraussetzung dazu ist die Annahme des Reformpakets durch die über 200 Delegierten der nationalen Verbände, was angesichts des Drucks, der weiterhin von den Justizbehörden der USA und auch der Schweiz auf den Weltverband ausgeübt wird, der Fall sein dürfte.
Offen bleibt die Frage, ob die Justiz auch vor der kommenden Generalversammlung nochmals ihre Muskeln spielen lässt und das grosse Funktionärstreffen von Zürich mit weiteren Aktionen irritiert. Gründe dafür gäbe es ausreichend.
Was ist nicht alles passiert seit Ende Mai: Verhaftungen, Enthüllungen, Geständnisse, Sperren und Rücktritte in einem Masse, das vor der gemeinsamen Intervention der amerikanischen und Schweizer Justiz Ende Mai nicht für möglich gehalten wurde. Die Fifa ist mit einem Schlage nicht mehr das, was sie einmal war, und sie wird es noch lange Zeit nicht mehr sein.
Aus einer Organisation, die sich für unantastbar hielt und sich auf einem eigenen Planeten wähnte, ist ein fragiles Gebilde geworden, das sich weitgehend der Aufsicht amerikanischer Anwälte unterwerfen musste und seither alles unternimmt, damit sie formaljuristisch nicht als Täterin, sondern als Opfer von Verfehlungen Einzelner dastehen darf.
Dass dabei die drei wichtigsten Funktionäre des Weltfussballs, Fifa-Präsident Sepp Blatter, Uefa-Präsident Michel Platini und Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke, allesamt ihrer Ämter enthoben wurden, sind die Höhepunkte des filmreifen Fifa-Dramas, das weitgehend von unbekannten Mitgliedern der einst belächelten verbandseigenen Ethik-Kommission geschrieben wurde.
Die hausgemachte Krise der Fifa
Nach jahrelangen Korruptionsvorwürfen hatte die Schweizer Polizei im Mai und Dezember letzten Jahres in Zürich insgesamt neun hohe Fifa-Funktionäre wegen Verdachts auf Korruption verhaftet.
Bisher sind drei von ihnen an die USA ausgeliefert worden. Die US-Justiz ermittelt unterdessen auch gegen Ex-Fifa-Präsident Joseph Blatter. Dieser weist nach wie vor alle Vorwürfe zurück.
Blatter nach wie vor uneinsichtig
Und dass der vom Hof gejagte Sepp Blatter die absurde Ansicht vertrat, er sei als Fifa-Präsident nicht der Ethik-Kommission unterstellt, war der verzweifelte Versuch eines Mannes, der über vier Jahrzehnte schillernd für den Namen Fifa stand, die sporthistorische Zeitenwende nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Die neue Epoche der Fifa fordert vieles: Amtszeitbeschränkungen, Lohntransparenz, Trennung von Politik und Kommerz, Klärung des juristischen Status, saubere Amtsführung, Einbezug aller für den Fussball massgeblichen Kreise in die Entscheidungsfindung, Reduktion der ausufernden Kommissionen, Verbesserung der Entwicklungsprogramme, faire Ausschreibungen – an sich alles Themen, die zur normalen Entwicklung einer Organisation gehören sollten.
Diese wurden aber in der Vergangenheit trotz Abermillionen von Franken, die für sogenannte Neustrukturierungen ausgegeben worden sind, krass vernachlässigt.
Wer soll die Fifa in ihr neues Zeitalter führen? Fünf Kandidaten sind im Rennen, von denen sich der grösste Aussenseiter, der Südafrikaner Tokyo Sexwale, möglicherweise noch vor der Wahl zurückziehen wird. Falls Sexwale eine Kampagne geführt hat, blieb sie weitgehend unsichtbar. Favoriten sind Scheich Salman Al-Khalifa aus Bahrein und Gianni Infantino aus der Schweiz, der von der Uefa als Ersatz für den gesperrten Michel Platini portiert wurde.
«Standpunkt»
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Scheich Salman, aktueller Präsident des asiatischen Kontinentalverbandes, steht für den Aufstieg der Golf-Staaten, die – wie etwa Katar – ihr wirtschaftliches Gewicht auch auf den Weltsport ausdehnen wollen. Für Gianni Infantino geht es darum, der Uefa in der Fifa jenen Einfluss zu sichern, welcher Europa als sportlicher und kommerzieller Schwerpunkt des Weltfussballs gebührt.
Eine von der Fifa abgekapselte Uefa wäre für die Zukunft des Weltverbandes keine gute Ausgangslage: die Fifa braucht die Uefa, die Uefa braucht die Fifa nicht. Im Falle eines Erfolgs von Scheich Salman wird vieles davon abhängen, welche Herkunft die Schlüsselfiguren in der Administration mitbringen.
Champagne: durchdachtes Programm, aber ohne Rückhalt
Wahlkämpfer Gianni Infantino verspricht im Falle eines Erfolgs die Aufblähung der WM-Endrunde von 32 auf 40 Mannschaften, ein Plan, der bei Fussballkennern Kopfschütteln und bei den Grossklub Widerstand hervorruft. Dass der Aussenseiter Jérôme Champagne, der jede Stimme brauchen kann, um nur schon die erste Wahlrunde zu überstehen, auf solche Ankündigungen verzichtet, spricht ebenso für ihn wie sein durchdachtes Programm, mit dem man nicht in jedem Punkt einverstanden sein muss, das aber für viel Verständnis für die Probleme des Weltfussballs spricht.
Der Franzose würde für einen grösseren Finanzausgleich zwischen den armen und den finanziell immer weiter enteilenden Klubs einstehen. Aber Einzelkämpfer Champagne, einst von Sepp Blatter als engster Mitarbeiter aus der Fifa entlassen, hat keine Hausmacht hinter sich, wie dies bei Salman mit Asien und Infantino mit Europa der Fall ist.
Bleibt noch Ali Bin Hussein aus Jordanien. Der Prinz schaffte bei der letzten Wahl beachtliche 73 Stimmen, er wird aber dieses Ergebnis nicht wiederholen können. Im Mai 2015 war Prinz Ali ein von der Uefa unterstützter Protestkandidat gegen Sepp Blatter. Dieses Motiv fällt seit der Verbannung Blatters weg, und die wichtigste Frage ist, an wen Prinz Alis Stimmen nach dessen Ausscheiden gehen – an Salman oder Infantino?
Denn zuletzt wird jede einzelne Stimme zählen. Der Sprung von den mehr oder weniger zuverlässig gesicherten Stimmen, welche die beiden Kandidaten ins «Endspiel» tragen werden, bis zur Mehrheit von 105 der 209 Verbände ist gross. Und das Ergebnis dürfte sehr knapp ausfallen. Es sei denn, die beiden Spitzenkandidaten einigen sich in letzter Minute: eine Fifa-Führung mit dem Präsidenten Salman und dem neuen CEO Infantino als Chef der Verwaltung wäre eine pragmatische Lösung.
Noch wehren sich beide Kandidaten gegen ein solches Ansinnen. Aber noch ist Wahlkampf. Bis zum Freitag, den 26. Februar, ist einiges möglich – von weiteren Polizeiaktionen bis zur Einigung der beiden Favoriten auf die gemeinsame Machtverteilung in einer neuen Fifa.
Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.
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