Anita Braun – die Vollzeit-Mutter
Sie fühlt sich heute in Deutschland daheim. Nur eines fehlt ihr: der Vierwaldstättersee. Anita Braun wollte eine Veränderung und fand ihr neues Leben in der Region Aachen. Mit drei eigenen und drei Pflegekindern hat sie sich ganz der Kindererziehung verschrieben.
Ein lauschiger Garten im Dorf HürtgenwaldExterner Link in der deutschen Eifel. Wir sitzen mit Anita Braun am Gartentisch. Vom Wohnzimmer aus beobachten uns ihre drei Pflegekinder neugierig durchs Fenster. Zwei Jungs (14 und 8 Jahre alt) und ein Mädchen (12). Ihre drei eigenen Kinder, zwischen 20 und 17 Jahre alt, sind nicht anwesend. Später wagen sich die Pflegekinder hinaus und spielen im weitläufigen Garten.
Braun wird als Pflegemutter vom Staat entschädigt. «Finanziell wäre das in der Schweiz nicht machbar», sagt sie und zeigt auf das grosse Haus. «Dafür wäre meine Arbeit als Kinesiologin besser anerkannt.» Doch für die Auslandschweizerin ist klar: «Ich bin in Deutschland daheim.» In die Schweiz geht sie sehr gern, aber nur noch in die Ferien.
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Was ist Heimat?
Die Luftveränderung
Anita Braun wird 1968 in Luzern geboren und wächst dort auf. Nach der Schule absolviert sie eine kaufmännische Lehre. Ab Ende 1990 ist sie immer wieder für längere Zeit zu Besuch bei Freunden in Deutschland. So reift in ihr der Gedanke, auszuwandern. «Ich brauchte mal frische Luft, Veränderung», sagt Braun.
Im Herbst 1992 zieht sie nach Deutschland, in die Wohngemeinschaft ihrer Freunde in der Region Aachen. Dort kümmert sie sich um alles Mögliche: «Haushalt, Küche, Kinder, Garten.»
In der Zwischenzeit hat sie den Deutschen Axel näher kennen und lieben gelernt. 1996 ziehen sie zusammen und feiern ein Jahr später Hochzeit, in Luzern. Weil sie in Deutschland keinen Job findet, arbeitet sie dort während eineinhalb Jahren in einem Treuhandbüro. Die Woche über lebt sie in einer kleinen Wohnung in Luzern, an den Wochenenden reist sie «nach Hause», nach Deutschland, wie sie das Land schon damals bezeichnet.
Durch diesen Wiedereinstieg ins Berufsleben findet sie schliesslich bei einem Steuerberater in Aachen eine Stelle und gibt den Zweiwohnsitz in Luzern auf. 1999, 2000 und 2002 kommen die Kinder, alle drei sind schweizerisch-deutsche Doppelbürger.
Bereits 1999 nimmt Braun einen Teilzeitjob als Buchhalterin an. Nach der Elternzeit kann sie dort weiter arbeiten. Auch heute noch ist sie «ein paar wenige Stunden pro Monat» dort beschäftigt. Den Job beim Steuerberater hingegen kündigt sie.
Die Herausforderung
Schon früh war Anita Braun überzeugt, dass es neben der Schulmedizin Alternativen gibt. So hatte sie als Kind einen extremen Heuschnupfen, der heute jedoch vollkommen geheilt ist. «Von meinem Sackgeld habe ich mir homöopathische Arzneimittel gekauft. Ich war schon immer ganzheitlich interessiert», sagt sie. Nach der Geburt ihres Sohns Jannis klemmte sie sich beim Niesen einen Nerv ein. «Durch Meditation konnte ich diesen selber wieder lösen.»
Die Selbstheilung wird für sie ein wichtiges Thema. Anfang der 2000er-Jahre nimmt sie die heilende Wirkung ihrer Hände wahr. Ein neues Gesetz in Deutschland kommt ihr dabei entgegen, so kann sie sich 2005 selbständig machen und eine Praxis für Selbstheilung eröffnen.
In der Zwischenzeit ist ihre älteste Tochter in die Schule eingetreten. Sie hat grosse Schwierigkeiten. Von der Schule werden den Eltern Lösungswege aufgezeigt. Doch diese erscheinen Braun zu belastend für ihre Tochter. Deshalb sucht sie nach anderen Möglichkeiten und stösst dabei auf die Kinesiologie. Sie macht eine Ausbildung, und nach zahlreichen Aus- und Weiterbildungen legt sie ihren Schwerpunkt auf pädagogische Kinesiologie und frühkindliche Entwicklung, unter dem Motto «Lerne das Lernen».
«Dann entdeckte ich meine Leidenschaft für die ‹Biochemie der Psyche› – also für alles, was mit dem Gehirn, seiner Arbeitsweise und der Wirkung auf den Körper und die Psyche zu tun hat. Daraus wuchs der Zweig ‹Lerne das Leben› mit Allergie- und Trauma-Arbeit sowie Coaching auf dem Weg hin zu einem glücklichen, erfüllten, selbstbestimmten Leben.»
Heute habe sie viel damit zu tun, «mit gutem Gefühl gut für sich selbst sorgen und Nein sagen zu lernen, sich abgrenzen und aus emotionalen Abhängigkeiten lösen zu können und auf diesem Weg mit den Menschen die Basis für dauerhafte Gesundheit zu etablieren», betont Braun.
Die Pflegekinder
2003 macht die Auslandschweizerin die Ausbildung zur Tagesmutter, im Jahr darauf bewirbt sie sich als Bereitschafts-Pflegefamilie beim Kinderheim. Das Ehepaar nimmt Heimkinder bei sich auf, für zwei bis drei Wochen. Schon bald – im Mai 2005 – nehmen sie ein schwer krankes Baby für einige Monate in Bereitschaftspflege – Anita Braun hat ihre Berufung gefunden.
«Diesen kleinen Erdenbürger in Dauerpflege aufzunehmen, war ein Abenteuer für sich. Und wir passten eigentlich überhaupt nicht ins Raster der Pflegefamilien», sagt sie lachend. Nach der Trennung von ihrem Ehemann arbeitet Braun weiter in der Bereitschaftspflege fürs Kinderheim und ist später auch direkt für die Jugendämter tätig.
Schliesslich kommen noch zwei weitere Kinder zu ihr in Dauerpflege, womit sie insgesamt sechs Kinder betreut. «Ich investiere viel in die Familie», sagt sie. Dazu gehören viele Fahrdienste für die Kinder, denn der öffentliche Verkehr ist in dieser hügeligen Region nicht gut ausgebaut.
Unterstützung im Haus erhält sie von einer Haushaltshilfe. Und natürlich müssen die Kinder auch mithelfen. Doch es sei nicht immer einfach mit den Pflegekindern, sagt sie. Alle drei seien von früheren Erfahrungen her stark traumatisiert. Immer wieder neue Lösungen für Krisen zu finden, begeistert Braun jedoch immer noch «wie am ersten Tag. Zu sehen, wie alle Kids gedeihen und allen Widrigkeiten zum Trotz ihren Weg finden, ist das schönste Geschenk für mich».
2012 gründet Braun den Verband für kindgerechte Bildung e.V.Externer Link Und im gleichen Jahr publiziert sie ein kleines Sachbuch («Ich glaube nur, was ich fühle!»Externer Link). «Das nächste Buch habe ich schon im Kopf», sagt sie.
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