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Todesschüsse: Wieder Debatte über Armeewaffen

Drei Personen wurden 2011 in der Schweiz durch Schüsse aus Armeewaffen getötet. Keystone

Nachdem diesen Monat erneut zwei Menschen durch Schüsse aus Armeewaffen getötet worden waren, werden Rufe nach strengeren Vorgaben im Umgang mit Ordonnanzwaffen und deren Aufbewahren zu Hause wieder lauter. Die Opfer waren 21 und 23 Jahre alt.

Anfang November hatte ein Mann seine Freundin mit einem Sturmgewehr erschossen. Der Schütze war bereits früher polizeilich erfasst worden. Er war unter anderem im Jahr 2008 wegen Drohung und Sachbeschädigung zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Zehn Tage später kam ein Mann bei einem Unfall mit einer Armeepistole ums Leben. Eine Freundin hatte gemeint, sie halte keine echte Waffe in der Hand, als sie die Pistole auf ihn richtete und abdrückte.

Nach den neusten Todesschüssen haben Polizei- und Justizbehörden der Kantone und die Armee eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Diese soll abklären, wie der Informationsaustausch über strafrechtliche Ermittlungen gegen Militärangehörige verbessert werden kann. Unter anderem, damit man die Armeewaffen von Leuten konfiszieren könnte, von denen eine Gefahr ausgehen kann.

Zu anderen Optionen, die diskutiert werden, gehört eine bessere Kontrolle und Sicherheit von Munitionsdepots der Armee oder die Möglichkeit, den Verkauf von Munition in Waffenläden oder Vereinen zu erschweren.

Aktive Wehrpflichtige der Schweizer Armee können ihre Armeewaffe zu Hause aufbewahren, in den meisten Fällen aber keine Munition. Bisher wurde nicht bekannt, ob bei den beiden jüngsten tödlichen Fällen Armeemunition benutzt wurde.

Nachdem die Schweizer Stimmberechtigten erst im vergangenen Februar eine Initiative abgelehnt hatten, welche die Aufbewahrung der Armeewaffen zu Hause verboten hätte, scheint es wenig wahrscheinlich, dass sich in dieser Hinsicht etwas einschneidend ändern könnte.

Hände gebunden

Nach einer Sitzung am Mittwoch räumte die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats (SIK) ein, dass die Armee von den Justiz- oder Polizeibehörden die notwendigen Informationen über Militärangehörige, von denen eine Gefahr ausgehen könnte, erst erhalte, wenn ein Verfahren abgeschlossen worden sei.

Die Kommission beschloss aber, keine Sofortmassnamen zu verlangen, sondern das Thema Anfang nächsten Jahres bei Anhörungen mit Kantonsbehörden und dem Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten weiter zu erörtern. Der Entscheid war nur äusserst knapp gefallen, mit Stichentscheid des Präsidenten.

Die Kommission sei vom Verteidigungsministerium (VBS) «über die Massnahmen orientiert worden, welche die Armee seit dem Sommer 2010 zur Minimierung des Missbrauchsrisikos im Zusammenhang mit Ordonnanzwaffen ergriffen hat. Sie ist einhellig der Meinung, dass die letzten tragischen Ereignisse niemals hätten passieren dürfen», hiess es in einer Erklärung der SIK.

Armeesprecher Daniel Reist erklärte gegenüber swissinfo, es sei Sache der Politik, zu entscheiden, ob es Gesetzesrevisionen brauche, um den Informationsaustausch zu verbessern oder den Verkauf von Munition einzuschränken.

«Letzten Endes hat das Schweizer Stimmvolk mit grosser Mehrheit entschieden, dass Armeewaffen zu Hause aufbewahrt werden sollen», sagte Reist.

«Es ist ein Problem für die Armee, und wir sind sehr besorgt und drücken den Angehörigen der Opfer unsere Anteilnahme aus. Aber wir können nicht wirklich viel mehr tun, als den Leuten aufzuzeigen, dass sie für ihre Waffen verantwortlich sind und sie zu instruieren, was es bedeutet, eine Waffe aufzubewahren und in den Händen zu halten.»

Wenn sich herausstellen sollte, dass bei den zwei letzten Fällen Armeemunition verwendet worden sei, handle es sich sicher um gestohlene Munition.

Datenschutz contra Sicherheit

Der Anwalt Victor Györffy, ein Sprecher der Nichtregierungs-Organisation Grundrechte, erklärte gegenüber swissinfo.ch, für einen verstärkten Informationsaustausch zwischen Armee und kantonalen Polizeibehörden brauche es eine Gesetzesrevision.

Damit es zu Änderungen komme, wäre es zwingend notwendig, dass das öffentliche Interesse am Informationsaustausch stärker wiege als der Schutz der Privatsphäre der betroffenen Person.

«Fragen, die sich stellen sind, welche Informationen hat die Polizei tatsächlich, und wie zuverlässig sind diese? Würden Informationen weitergeleitet, wenn jemand unter Verdacht steht, oder erst nach einer Verurteilung? Und welche anderen Details würden weiter gegeben?», sagte Györffy.

Reist stimmte zu, dass es «sehr schwierig» wäre, zu definieren, in welchen Fällen die Polizei Informationen an die Armee weiterleiten sollte.

«Wir müssen eine Grenze definieren zwischen dem Schutz einer Person und dem Schutz der Privatsphäre, und von der anderen Seite geht es um das Interesse, zu wissen, wer eine Gefahr für die Gesellschaft sein könnte», sagte Reist. «Es ist sehr schwierig, diese Linie zu ziehen.»

Solche Entscheide wären sehr offen für Auslegungen und würden zwangsläufig auch Informationsaustausch über andere Leute mit einbeziehen, die in eine Straftat verwickelt, aber nicht angeklagt wären, so Györffy.

«Es ist wirklich schwierig, zu sagen, ob jemand eine Waffe haben sollte oder nicht. Ob jemand einer Straftat beschuldigt oder verurteilt worden ist, ist dabei nur ein Aspekt.»

«Es kann auch Leute geben, die nie einer Straftat beschuldigt wurden, die aber eine Gefahr darstellen werden – und man kann sagen, dann ist es zu spät», erklärte Györffy.

13. November, Boudry (Neuenburg): Zwei junge Männer und eine Frau spielen mit einer Softair-Waffe, die einer echten Waffe täuschend ähnlich sieht. Dann holte einer seiner Freunde seine Armeepistole hervor. Später nahm die Frau diese Pistole in die Hand, drückte ab und traf einen der beiden Männer in die Brust. Sie hatte gedacht, sie halte nicht die echte Waffe in der Hand.

4. November, St L éonard (Wallis): Eine 23 Jahre alter Mann erschiesst im Streit seine 21 Jahre alte Freundin mit seinem Sturmgewehr. Der Mann war polizeilich erfasst Er war unter anderem wegen Drohung und Sachbeschädigung zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden.

24. Mai, Schafhausen, (Bern): Bei einer Zwangsräumung erschiesst ein 35 Jahre alter Mann einen Polizisten, ein weiterer Beamter wurde verletzt. Der Schütze war aus der Armee entlassen worden, hatte aber nie ein Aufgebot erhalten, seine Waffe abzugeben.

Nach Schätzungen – genaue Zahlen sind nicht bekannt – gibt es in Schweizer Haushalten zwischen 1,2 und 2 Millionen Schusswaffen.

In der Schweiz soll es pro Jahr mehr als 300 Todesfälle geben, bei denen Armeewaffen eine Rolle gespielt haben.

Die Waffenschutz-Initiative, über die im Februar 2011 abgestimmt worden war, hatte auf die Einrichtung eines zentralen Waffenregisters (statt wie heute kantonal), einen Bedarfs- und Fähigkeitsnachweis für den Umgang mit Waffen und ein Verbot des privaten Erwerbs von Serie-Feuerwaffen und so genannten «Pump Action Guns» abgezielt.

Zudem verlangte die Initiative, dass Armeewaffen (Ordonnanzwaffen) im Zeughaus und nicht zu Hause aufbewahrt werden sollten.

Das Volksbegehren war 2007 von einer Allianz von Nichtregierungs-Organisation lanciert worden. Auf politischer Ebene wurde es von der Linken unterstützt.

Abstimmungsresultat: Ja: 43,7%, Nein: 56,3% Stimmbeteiligung: 48,8%.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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