Deponie Kölliken, ein Dreckfass ohne Boden
In der Steinzeit des Umweltschutzes, vor 30 Jahren, galt sie als fortschrittlich, jetzt entpuppt sie sich als Altlast ohne Ende: Die Sondermülldeponie Kölliken, deren komplexer und aufwendiger Rückbau um die Hälfte mehr kosten wird, als geplant.
Angefangen hat alles mit einem Festakt im Jahr 1978. Da sprachen stolze Lokalpolitiker von einer «Pioniertat zum Schutz der Umwelt».
Die Deponie entspreche «in hydrologischer und technischer Hinsicht praktisch vollständig» seinen Vorstellungen «für die gefahrlose Lagerung von Industrieabfällen», hielt der zuständige Gewässerschutz-Beamte der Eidgenossenschaft damals fest.
«Man hat die Natur vollständig überschätzt», sagt der Geschäftsführer der Deponie, Jean Louis Tardent, 32 Jahre später gegenüber swissinfo.ch.
Auf den Festakt folgten schon bald die Reklamationen erboster Anwohner, die sich über den Gestank beschwerten. Im Dorfbach verendeten die Fische. Dennoch vergingen noch einige Jahre, bis der Gemeinderat 1985 die Schliessung der Deponie verfügte.
Augen zu und durch
Zwischen 1975 und 1985 kam Sondermüll aus der ganzen Schweiz nach Kölliken. Die Betreiber der Anlage vertrauten auf die Ehrlichkeit der Lieferanten.
Chemische Proben bei der Anlieferung gab es keine. Die Kontrollen waren large und wenig exakt. «Beide Augen zu und durch», lautete damals das Motto.
Der Skandal
Dass es trotz Gestank und den Reklamationen von besorgten Anwohnern Jahre dauerte, bis Laboranalysen angeordnet und eine Expertenkommission eingesetzt wurde, begründet Tardent mit den damaligen Strukturen.
«Betreiber der Deponie war das Gewässerschutzamt des Kantons Aargau. Dessen Amtschef war gleichzeitig Chef der Aufsichtsbehörde. Die Anwohner mussten ihre Reklamationen beim Chef der Aufsichtsbehörde anbringen, der sich dann selber an der Nase hätte nehmen sollen.»
Ein Artikel in der Weltwoche, die bisher geheim gehaltene Laborresultate zum Zustand des Grundwassers veröffentlichte, sorgte schweizweit für einen Skandal und führte schliesslich zur Schliessung der Deponie.
Kilo um Kilo
Seit November 2007 wird der Giftmüll in Kölliken fast Kilo um Kilo abgetragen. «Wir entnehmen Proben, die von einem neutralen Labor analysiert werden. Aufgrund von 50 Parametern, entscheidet sich, was mit dem Dreck passiert», erzählt Tardent.»
Der Müll, der in Kölliken entsorgt wird, wird entweder in Hochtemperaturöfen verbrannt, anderweitig behandelt oder anderswo endgelagert.
Massive Mehrkosten
Nach einem Brand im Juni 2008 mussten zudem die Sicherheitsmassnahmen angepasst werden. Das alles hat zur Folge, dass das Konsortium der Sondermülldeponie, das mehrheitlich aus den Kantonen Aargau und Zürich besteht, mit zusätzlichen Kosten von 222 Millionen Franken rechnet. Damit wird die Sanierung rund 670 Millionen kosten.
«Die Entsorgung kostet je nach Kategorie des Drecks mehr oder weniger. Die Spannweite reicht von 30 bis zu 480 Franken pro Tonne. Die Realität hat gezeigt, dass es gegenüber den Modellrechnungen eine Verschiebung in Richtung der teuren Entsorgungsschienen gibt. Da ist niemand Schuld, das ist naturgegeben», stellt Jean Louis Tardent fest.
Sicherung über Jahrhunderte
Tardent wurde nach der Schliessung als Geschäftsführer angestellt. «Meine Aufgabe wäre es eigentlich gewesen, die Deponie wieder zu eröffnen und den Rest der Grube aufzufüllen.» Doch stattdessen musste das Gelände mit einer Entwässerungsanlage gesichert und eine Kläranlage gebaut werden.
«Seither ist die Kontamination im Umfeld der Deponie zurück gegangen. Wir haben praktisch Zustände wie vor dem Beginn der Mülllagerung», sagt Tardent. «Die Deponie wäre eigentlich gesichert. Doch die Sicherungsanlagen müssten über Jahrhunderte betrieben werden. Die baulichen Massnahmen sind endlich. Deshalb kam man zum Schluss, dass eine Sicherung teurer kommt, als ein Rückbau.»
Temporäres Wahrzeichen
So kam es, dass in Kölliken nun ein temporäres, europaweit bisher einmaliges Wahrzeichen hat, eine spektakuläre, 198 Meter lange und 170 Meter breite Rundbogenkonstruktion.
An diese tragende Struktur angehängt ist die eigentliche Entsorgungshalle, welche die Deponie überspannt und dank permanentem Unterdruck die Aussenwelt vor Emissionen schützt.
Bonfol vor dem Start
Der Abbau des Mülls geschieht mit Baggern und Lastwagen. Auch deren Kabinen stehen unter Unterdruck und haben eine eigene Luftversorgung. Nach dem aktuellen Stand der Planung wird der Rückbau bis mindestens Ende 2013 dauern. Was danach mit dem fünf Fussballfelder grossen Gelände passiert, ist noch nicht klar.
Lange wird das Kölliker Wahrzeichen nicht einmalig bleiben: Im April beginnen die Arbeiten zum Rückbau der Giftmülldeponie im jurassischen Bonfol. Eine ähnliche Halle wie in Kölliken ist bereits gebaut.
Andreas Keiser, Kölliken, swissinfo.ch
Gemäss dem Bundesamt für Umwelt gibt es in der Schweiz rund 40’000 bis 50’000 Standorte mit Altlasten. Die Verschmutzung ist auf öffentliche oder private Deponien, Rückstände von Unfällen oder militärische Übungsmanöver zurückzuführen.
Rund 10 Prozent der Standorte werden als kontaminiert bezeichnet. Sie bedrohen Mensch und Umwelt. Sie müssen schnellstmöglich saniert werden.
Erst mit Inkrafttreten der Altlasten-Verordnung im Jahr 1998 wurden die gesetzlichen Grundlagen zur Beseitigung dieses belastenden Erbes geschaffen.
Bisher sind erst 200 bis 300 Altlasten-Standorte saniert worden. Es werden 20 bis 30 Jahren nötig sein, bis alle Standorte saniert sind. Die Kosten werden auf 5 Milliarden Franken geschätzt.
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