Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Gefährliche Altlasten im Thunersee?

Der Felchen - wichtigster Schweizer Speisefisch - weist im Thunersee starke Deformationen der Geschlechtsorgane auf. Keystone Archive

Missbildungen an Felchen im Thunersee geben Anlass zu Besorgnis.

Als mögliche Ursache werden 3000 Tonnen Munition genannt, welche die Schweizer Armee vor einigen Jahrzehnten im See versenkt hat.

Seit drei Jahren stellen Fischer und Forscher an den Fortpflanzungs-Organen der Fische im Thunersee auffällige Veränderungen fest.

Mittlerweile weisen rund 70% aller Felchen solche Abnormitäten auf; und zwar in einem Ausmass und in einer Form, die weltweit einmalig sind.

Obwohl niemand mit Sicherheit sagen kann, auf was die Missbildungen zurückzuführen sind, ist die versenkte Munition mittlerweile zum Hauptverdächtigen geworden.

«Die Munitionsvorräte wurden zwischen 1940 und 1963 im See versenkt», erläuterte Hans Stucki vom Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) gegenüber swissinfo. «Es gab damals kein Gesetz, das solches verboten hätte.»

Insgesamt wurden rund 3000 Tonnen Munition – Patronen, Zünder und grosse Bomben – im See versenkt. «Chemische oder radioaktive Munition befand sich jedoch nicht darunter», versicherte Stucki.

Beunruhigung vor Ort

Alex Schwab ist ein passionierter Fischer. Auf seinem Boot im See draussen zeigte er sich empört darüber, dass eine der schönsten Seeregionen der Schweiz als Mülldeponie missbraucht wurde.

«Ich bin erstaunt über den völligen Mangel an Umweltbewusstsein in den vierziger Jahren», so Schwab. «Wenn eine Privatfirma so etwas getan hätte, wäre der Staat garantiert mit grobem Geschütz gegen die Verantwortlichen vorgegangen.»

Schwab ist nicht allein mit seinem Ärger. Bei anderen Thunerseefischern tönt es ähnlich. «Es ist ein Skandal», meinte einer. «Wenn wir auch nur die Innereien eines einzigen Fisches in den See werfen, erhalten wir eine Busse. Die Armee hingegen kann sich alles leisten. Ich meine, sie sollten die Munition da wieder herausholen.»

Kosten und Schwierigkeiten

3000 Tonnen Munition vom Seeboden zu bergen ist allerding praktisch unmöglich – nicht zuletzt aus dem gleichen Grund, der seinerzeit die Versenkung vermutlich als unproblematisch erscheinen liess: der Thunersee ist sehr tief; die Munition befindet sich 214 Meter unter dem Seespiegel.

«Natürlich wäre es besser, die Munition zu bergen», gab Stucki zu. «Aber wer soll das bezahlen? Das würde Hunderte von Millionen Franken kosten.»

Stattdessen hat das VBS in Zusammenarbeit mit dem Gewässerschutz und den Fischereibehörden des Kantons Bern eine Studie anberaumt, um herauszufinden, auf was die Missbildungen bei den Fischen zurückzuführen sind.

«Ich war schon sehr überrascht, als ich die Missbildungen an den Fischen sah», erklärte Peter Friedli vom kantonalen Fischereiinspektorat. «Wir prüfen die Felchen seit Jahren regelmässig, aber sowas habe ich bis vor kurzem noch nie gesehen. Ich mache mir grosse Sorgen. Die Gesundheit der Fische ist ein guter Gradmesser für die Gesundheit der Umwelt.»

Wasser für Zehntausende

Was Friedli und seinem Kollegen Ueli Ochsenbein vom kantonalen Gewässerschutz vor allem Sorgen macht, ist die Tatsache, dass verseuchtes Thunersee-Wasser nicht nur für die Fische ein ernsthaftes Problem wäre.

«Der Thunersee ist für die Menschen der Region Bern von enormer Bedeutung», sagte Ochsenbein zu swissinfo. «Er speist die Aare, aus der Hunderttausende von Bewohnern letztlich ihr Trinkwasser beziehen. Einfach gesagt – wir trinken Wasser aus dem Thunersee; und wenn dieser verseucht ist, dann haben wir ein ernsthaftes Problem.»

Ochsenbein betonte jedoch ausdrücklich, die Qualität des Trinkwassers stehe ausser Zweifel, und auch die Fische könnten ohne Bedenken verspeist werden.

«Im Moment gibt es keinen Grund zur Besorgnis, was das Trinkwasser angeht. Wir gehen davon aus, dass bei einem allfälligen Chemieleck im See die Konzentration im Wasser äusserst schwach wäre.»

Dennoch geben die beiden Männer zu, die genaue Ermittlung der Ursachen für die Entwicklungsstörungen bei den Fischen sei durchaus mit der sprichwörtlichen Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen zu vergleichen. Jedenfalls steht den Verantwortlichen noch sehr viel Detailarbeit bevor.

swissinfo, Imogen Foulkes, Thun
(Übertragung aus dem Englischen: Dieter Kuhn)

Seit dem Jahr 2000 werden im Thunsersee Fische mit Missbildungen gefunden. Heute weisen rund 70% der Thunsersee-Felchen solche Abnormitäten auf.

Zwischen 1947 und 1963 versenkte die Schweizer Armee auf einer Fläche von 4 km2 3000 Tonnen Munition im Thunersee.

Eine auf fünf Jahre angelegt Studie soll die Ursachen für diese Veränderungen ermitteln.

Der Thunersee versorgt mehrere hunderttausend Bewohner im Kanton Bern mit Trinkwasser.

Wasser- und Fischexperten betonen, dass die Missbildungen bei den Fischen und die möglicherweise damit verbundene Gewässerverschmutzung für die Menschen gegenwärtig kein Risiko darstellen.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft