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Kläranlage als Exportschlager?

Bau und Unterhalt der Kanalisation verschlingen Milliarden - das neue Konzept könnte dies überflüssig machen. Keystone

In Kanton Solothurn steht eine Welt-Neuheit: Ein Einfamilienhaus mit eigener Kläranlage, Spezial-Toiletten und Urin-Aufbereitung.

Das Pilot-Projekt stösst im Ausland auf grosses Interesse.

“Natürlich müssen auch die Männer sich setzen”, sagt Hansruedi Siegrist von der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG). “Sonst funktioniert die Urin-Trennung nicht.”

Dass Urin und Fäkalien getrennt werden, ist einer der zentralen Bestandteile der Pilot-Anlage “Aquamin” im solothurnischen Zuchwil. Aus dem Urin soll Phosphor zurück gewonnen werden, aus den Fäkalien entsteht Klärschlamm, der kompostiert werden kann.

“Die Klein-Kläranlage in Zuchwil ist weltweit einzigartig”, freut sich der Abwasser-Spezialist.

Kläranlage im Keller

Die Kläranlage steht im Keller des Hauses. In einem ersten Schritt wird das Abwasser mit Bakterienschlamm biologisch gereinigt. Dann kommt es in ein Reinigungsbecken mit einer Membrane, einer Art feinstes Sieb. “Die Poren der Membrane haben einen Durchmesser von 0,04 Mikrometern”, erklärt Siegrist.

In diesen 0,00004 Millimeter grossen Löchern bleiben nicht nur Bakterien, sondern auch Viren hängen. “Das Wasser ist hygienisch einwandfrei.” Ein Teil des gereinigten Wassers wird für die WC-Spülung und die Gartenbewässerung wieder verwendet.

Damit kann der Trinkwasser-Verbrauch des Haushalts um rund 30% gesenkt werden. In der Schweiz wird das WC mit Trinkwasser gespült, der durchschnittliche Tagesverbrauch 162 Liter.

Der Rest des gereinigten Abwassers des Pilot-Hauses gelangt via ein Biotop – wo zusätzlich Mikro-Verunreinigungen mit dem Sonnenlicht abgebaut werden – in eine Versickerungs-Anlage.

Interessen aus Ost-Europa

Eine Membran-Anlage kostet heute zwischen 20’000 und 30’000 Franken. In ländlichen Gebieten wie dem Jura, wo der Anschluss per Kanalisation an die Abwasser-Reinigungs-Anlage aufwändig und teuer käme, kann eine Haus-Kläranlage somit auch finanziell attraktiv sein.

Aber auch im Ausland interessiert man sich für die Entwicklung aus der Schweiz, die in diesem Bereich neben Deutschland und Schweden Pionier-Arbeit leistet.

“Aus Tschechien hat sich ein Interessent gemeldet, und in Polen stellen wir das System im nächsten Jahr an einer Konferenz vor”, sagt Siegrist.

In Ost-Europa seien die Häuser in vielen Dörfern an gar keine Kanalisation angeschlossen, hier könnte das neue System eingesetzt werden, weil die Kosten für die Kanalisation und die zentrale Kläranlage entfallen.

Das gereinigte Abwasser könnte in diesen oft eher trockenen Gebieten zudem gespeichert und im Sommer für die Bewässerung des Gartens eingesetzt werden.

Neue Impulse für ein altes System

Am Aquamin-Projekt beteiligt sind neben der EAWAG der Kanton Solothurn, der Nachhaltigkeits-Bereich der ETH Zürich und eine Privatfirma. Die Haus-Kläranlage im Neubau-Gebiet in Zuchwil soll in den nächsten drei Jahren Antworten liefern, wie solche Anlagen die bestehende Abwasser-Bewirtschaftung ergänzen könnten.

Die zentrale Siedlungs-Entwässerung der Schweiz wurde ursprünglich als Kanalisations-System konzipiert, um Regenwasser zu entsorgen und die Abwasser-Probleme der Städte zu lösen.

In den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts rückte wegen der starken Verschmutzung von Flüssen und Seen der Gewässerschutz in den Mittelpunkt: Es wurden immer mehr Abwasser-Reinigungs-Anlagen gebaut.

Entlastung der Kanalisation

“Die Siedlungs-Entwässerung ist ein Milliarden-Unternehmen”, sagt Siegrist. Allein im Kanton Solothurn beträgt der so genannte “Wiederbeschaffungswert” 3 Mrd. Franken, das heisst, soviel würde ein Neubau der Kanalisationen und Kläranlagen kosten.

Das System aber ist extrem teuer und es kommt an seine Grenzen: Abwässer versickern durch undichte Kanäle und verschmutzen das Grundwasser, oder sauberes Grundwasser gelangt in die Kanalisation und verdünnt das Abwasser, was die Reinigung erschwert.

Der Klärschlamm darf wegen den Spurenstoffen und dem BSE-Risiko nicht mehr als Dünger verwendet werden, sondern muss verbrannt und deponiert werden.

Sache von Generationen

Die zentrale Abwasserentsorgung könnte durch dezentrale Elemente wie eben die Haus-Kläranlage ergänzt und entlastet werden, schaut der Spezialist der EAWAG in die Zukunft.

“Das dauert aber Generationen, bis es so weit ist. Die Lebensdauer einer Kanalisation liegt bei rund 80 Jahren”, weiss Siegrist.

Bereits vorher muss sich die Pilot-Familie in Zuchwil umgewöhnen, und zwar nicht nur die Männer, die sich setzen müssen: “Monats-Binden verträgt das System auch nicht.”

swissinfo, Philippe Kropf

Eine Membran-Reinigungs-Anlage kostet 20’000 bis 30’000 Franken. Die Urin-Trennung kostet zusätzlich.

Im Pilothaus können rund 30% Wasser durch Recycling gespart werden.

Durchschnittlich verbrauchen die Schweizer 162 Liter Trinkwasser pro Tag.

Der Wert der Kanalisation und Reinigungs-Anlagen in der Schweiz beträgt Milliarden von Franken.

Im Kanton Solothurn wurde ein Einfamilienhaus mit eigener Kläranlage gebaut. Es gilt als weltweit einzigartiges Pilot-Projekt.

Urin und Fäkalien werden getrennt aufbereitet. Dabei kommen Schlamm-Filter und Membranen zum Einsatz.

Das aufbereitete Wasser ist hygienisch einwandfrei und wird für die WC-Spülung und den Garten rezykliert.

Im Ausland stösst das Projekt auf Interesse. In Gebieten im Osten Europas könnte die Lösung den Bau von Kanalisation und Reinigungs-Anlagen ersetzen.

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