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Klima-Paket mit viel Sonderwünschen

Kanzlerin Angela Merkel und Aussenminister Frank Walter Steinmeier im EU-Klimagipfel in Brüssel. Keystone

Die EU einigte sich in Brüssel auf ein Paket von Klimaschutzmassnahmen - und rief die USA dazu auf, ihrem guten Beispiel zu folgen. Umweltorganisationen waren jedoch enttäuscht ob der vielen Ausnahmeklauseln.

«Wir beenden einen Gipfel, der in die Geschichte Europas eingehen wird», fasste der französische Präsident Nicolas Sarkozy mit geschwellter Brust das letzte Treffen der europäischen Regierungschefs unter französischem EU-Vorsitz zusammen.

Besonders stolz war er auf die Einigung beim Hauptthema Klimaschutz: «Es gibt keinen anderen Kontinent auf der Welt, der sich derart verbindliche Regeln auferlegt.»

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso rief die Welt und vor allem die USA auf, dem guten europäischen Vorbild zu folgen. «Die Nachricht an die weltweiten Partner ist: Yes, you can – ihr könnt das auch tun, und die Ziele erreichen, die wir uns gegeben haben», sagte er in Anlehnung an den Wahlkampf-Slogan des neuen US-Präsidenten Barack Obama.

Drei mal zwanzig

Nach einer Nacht schwieriger Verhandlungen einigten sich die Regierungschefs der 27 EU-Staaten gestern auf das Massnahmen-Paket, mit dem die bereits früher beschlossenen ehrgeizigen Klimaziele der EU erreicht werden sollen: Bis 2020 soll der Ausstoss des Treibhausgases CO2 – im Vergleich zu 1990 – um mindestens 20% sinken, erneuerbare Energien sollen 20% des Bedarfs liefern und die Energie soll um 20% effizienter genutzt werden.

Das Paket mit dem eingängigen Etikett «drei mal zwanzig» besteht aus einem ganzen Bündel von Gesetzestexten. Teilweise hat man sich bereits vor dem Gipfel geeinigt, so etwa auf die Förderung umweltfreundlicher Energie (siehe Kasten).

Massnahmen für mehr Energieeffizienz werden in einer ganzen Serie von Entscheiden fortlaufend beschlossen, ein Beispiel ist das Verkaufsverbot für Energie intensive Glühbirnen.

Herzstück: CO2-Handelssystem

Heftig rang man auf dem Gipfel noch über das eigentliche Herzstück des EU-Klimaschutzes: Das Handelssystem für CO2, das die Grossindustrie sowie Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke erfasst. Die Grossverschmutzer erhalten CO2-Quoten, die sie verkaufen können, wenn sie weniger CO2 ausstossen. Falls sie mehr CO2 ausstossen, müssen sie an der Börse Verschmutzungsrechte zukaufen.

Das CO2-Handelssystem existiert seit 2005, funktionierte bisher aber eher schlecht als recht. Ein Hauptgrund war, dass die EU-Staaten ihren Industrien zu grosse Quoten zugeschanzt hatten. Die EU-Kommission hatte deshalb vorgeschlagen, dass die grossen Verschmutzer ab 2013 ihre CO2-Quoten auf dem Markt ersteigern müssen.

Italien und Osteuropa bremsen

Dagegen wehrten sich Italien und die osteuropäischen Staaten. Zu diesen «üblichen Verdächtigen» gesellte sich aber auch Deutschland – obwohl sich Regierungschefin Angela Merkel einst als «Klimakanzlerin» hatte feiern lassen. Die Osteuropäer fürchteten eine dramatische Steigerung der Tarife für den Strom aus Kohlekraftwerken, Merkel ein Abwandern der deutschen Industrie in Länder ohne Klimaschutz-Regeln.

Der EU-Vorsitzende Sarkozy erzielte die Einigung, indem er nach allen Seiten Zugeständnisse machte: Osteuropa erreichte, dass die Betreiber der Kohlekraftwerke ihre CO2-Verschmutzungsrechte erst 2020 voll ersteigern müssen. Zudem wird diesen Ländern ein Teil der Quoten aus Solidarität zugeteilt.

Merkel erreichte, dass der grösste Teil der Industrie die Verschmutzungsrechte gratis erhält, sofern sie die Energie effizient nutzt.

Weiter dürfen die einzelnen EU-Länder sich einen erheblichen Teil ihrer nationalen CO2-Reduktion anrechnen lassen, indem sie billigere Klimaprojekte in Entwicklungsländern realisieren. Ob die Aufweichungen das ehrgeizige Klimaziel der EU gefährden, das beibehalten wird, ist gegenwärtig kaum abschätzbar.

Umweltorganisationen kritisieren Konzessionen

Hart kritisierten der WWF, Greenpeace und weitere Umweltorganisationen die Konzessionen an die Industrie. «Dies ist ein schwarzer Tag für die europäische Klimapolitik», schrieben sie in einer gemeinsamen Stellungnahme, «die europäischen Regierungschefs haben ihre Versprechen verraten und dem globalen Kampf gegen den Klimawandel den Rücken zugekehrt.»

Simon Thönen, Brüssel

Die Schweizer Delegation an der Weltklimakonferenz im polnischen Posen sieht die Klimaverhandlungen mit Blick auf ein neues globales Abkommen Ende 2009 in Kopenhagen auf Kurs.

Laut Bundesamt für Umwelt (BAFU) seien bei den Verhandlungen zur Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls die Industrieländer aufgefordert, möglichst schnell ihre Reduktionsziele für die Zeit nach 2012 festzulegen.

Zudem sollten die so genannten flexiblen Mechanismen verbessert werden.

Damit erreichen die Industrieländer einen Teil ihrer Klimaziele: sie unterstützen Klimaprojekte in Schwellen- und Entwicklungsländern.

Weiter braucht es laut BAFU Lösungen, wie CO2-Senken aus dem Wald- und Landwirtschaftsbereich wiederum der nationalen Treibhausgasbilanz anzurechnen wären.

Die Idee einer globalen, verursachergerechten CO2-Abgabe hatte Bundesrat Moritz Leuenberger erstmals an der Klimakonferenz von Nairobi im November 2006 zur Sprache gebracht.

2007 stellte er in Bali einen ersten Finanzierungs-Vorschlag vor, der inzwischen konkretisiert und im Juli 2008 vom Gesamtbundesrat genehmigt wurde.

In der Schweiz würden nach dem Vorschlag mit der Abgabe nach dem aktuellen Stand der CO2-Emissionen bei 2 Dollar pro Tonne (rund 0,5 Rappen pro Liter Treibstoff) rund 60 Mio. Franken generiert.

Der Beitrag würde für Konsumenten und Wirtschaft keine zusätzliche Belastung bedeuten. Er könnte aus den Erträgen der bereits bestehenden nationalen Instrumente finanziert werden, also aus dem Klimarappen und der CO2-Abgabe.

Die Pro-Kopf-Emissionen von CO2 in der Schweiz liegen heute bei etwas über 7 Tonnen.

Die Umweltorganisationen kritisierten die Klimabeschlüsse des Brüsseler EU-Gipfels sehr hart.

Ganz anders hatten sie sich zur Förderung der erneuerbaren Energien geäussert, die sie mit Begeisterung begrüssten.

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