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Wie die Schweizer Klimaseniorinnen Südkorea inspirieren

Klimaaktivist:innen vor dem Verfassungsgericht in Seoul, das über eine Klimaklage gegen die südkoreanische Regierung entschied.
Klimaaktivist:innen vor dem Verfassungsgericht in Seoul, das über eine Klimaklage gegen die südkoreanische Regierung entschied. Keystone

Südkorea gehört zu den führenden Volkswirtschaften der Welt, aber seine Klimapolitik missachtet die Menschenrechte. Jetzt gibt es zwei Klimaklagen. Beide haben einen starken Bezug zur Schweiz.

Der 29. August 2024 wird all den jungen Menschen noch lange im Gedächtnis bleiben, die sich vor dem südkoreanischen Verfassungsgericht in Seoul versammelt hatten. An diesem Tag entschied das Gericht dort historischesExterner Link: Das nationale Klimaschutzgesetz schütze die Grundrechte künftiger Generationen nicht.

Gwanhaeng Lee ist Anwalt bei «Solution for Our Climate» (SFOCExterner Link), einer Organisation, die den Fall beobachtet hat. Er ist überzeugt, dieser Erfolg ist auf die globale Dynamik der Klima-Urteile zurückzuführen.

«Die jüngsten Siege in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz haben den Grundstein für die koreanische Klage gelegt», sagt er zu SWI swissinfo.ch.

Die Vereinigung «Youth 4 Climate Action», welche die Klimastreik-Bewegung in koreanischen Schulen anführt, hatte 2020 eine erste Klage eingereicht. Sie warf der Regierung vor, unzureichende Emissionsreduktionsziele zu setzen und damit die Grundrechte der Bürger zu verletzen. In der Folge wurden drei weitere Klagen eingereicht, womit sich die Zahl der Kläger auf 255 erhöhte.

Südkoreanisches Klimagesetz ist teilweise verfassungswidrig

Das südkoreanische Verfassungsgericht, eines der höchsten Gerichte des Landes, stellte in seinem Urteil fest, dass ein Teil des nationalen Gesetzes zur Klimaneutralität verfassungswidrig sei. Insbesondere das Fehlen rechtlich verbindlicher Emissionsminderungsziele für den Zeitraum 2031-2049 lasse die Rechte jüngerer Generationen ausser Acht und belaste deren Zukunft in unangemessener Weise.

Laut der Nachrichtenagentur ReutersExterner Link hat das Umweltministerium erklärt, dass es das Urteil respektiere, es werde Massnahmen ergreifen. Die Regierung und die Nationalversammlung müssen das Gesetz nun bis zum Ende Februar 2026 anpassen.

Gleichzeitig wies das Gericht einen Klagepunkt zurück. Das Ziel der Regierung, die Emissionen bis 2030 um 40% gegenüber dem Stand von 2018 zu senken, verstösst somit nicht gegen die verfassungsmässigen Rechte des Landes.

Südkorea will bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Noch gehört der asiatische Staat zu den zehn Ländern mit den höchsten CO2-EmissionenExterner Link der Welt.

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Das richtige Timing des EGMR-Urteils zur Schweiz

Das Urteil des südkoreanischen Gerichts gilt als historisch. «Es ist das erste Mal in Asien, dass ein Gericht Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Nachlässigkeit beim Klimaschutz anerkennt», sagt Gwanhaeng Lee.

Sejong Youn ist Direktor von «Plan 1.5», einem Rechtsvertreter der Kläger. «Der Zeitpunkt war sehr günstig», sagt er. Tatsächlich erfolgte das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg (EGMR) gegen die Schweiz kurz vor der öffentlichen Anhörung des Falls in Korea.

«Wir konnten dem Verfassungsgericht aufzeigen, dass es bei Fällen, in denen mehr Klimabemühungen gefordert werden, eine globale Tendenz zu positiven Urteilen gibt», sagt Sejong Youn.

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Am 9. April hatte der EGMR der Beschwerde der «Klimaseniorinnen», einer Schweizer Vereinigung von mehr als 2500 Frauen über 70, stattgegeben. Es verurteilte die Schweiz wegen Verletzung der Menschenrechte im Umweltbereich. Dies war das erste Mal, dass der EGMR einen Staat für schuldig befand, ungenügende Massnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, und den Schutz der Menschenrechte mit der Einhaltung von Umweltverpflichtungen verknüpfte.

Ein Domino-Effekt

In seiner Entscheidung stellte das südkoreanische Verfassungsgericht auch fest, dass das Gesetz Standards zur Quantifizierung des Treibhausgasreduktionsziels enthalten sollte, so Sejong Youn. «Dies widerspiegelt, was im wichtigen Urteil des EGMR enthalten ist.»

Im Fall der Schweiz hatte der EGMR Defizite bei der Umsetzung der Klimapolitik zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens festgestellt. Der Gerichtshof monierte, die Schweizer Regierung habe es versäumt, die Treibhausgasemissionen zu quantifizieren, welche das Land noch ausstossen kann, um die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen.

Klagen zum Klimawandel nehmen weltweit zu, und in vielen Urteilen wird die Verantwortung von Regierungen und grossen Unternehmen anerkannt. Nach Angaben des Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment wurden im Jahr 2023 mindestens 230 neue KlimaklagenExterner Link eingereicht. Insgesamt gibt es mehr als 2600, vor allem in den USA.

«Wir hoffen, dass der Sieg in Südkorea bald einen Dominoeffekt auslöst, der ähnliche Erfolge in ganz Asien nach sich ziehen wird», sagt Gwanhaeng Lee. Ähnliche Klimaprozesse sind auch in JapanExterner Link und TaiwanExterner Link im Gang.

Wie ein Zebra gegenüber dem Löwen

Doch die jungen Südkoreanner:innen sind nicht die einzigen, die mit der Klimapolitik ihres Landes unzufrieden sind.

In einer im März dieses Jahres gestarteten PetitionExterner Link wirft «60 Climate Action», eine Gruppe von 123 Personen über 50, der Regierung vor, unzureichende Emissionsreduktionsziele zu setzen. Sie kritisiert vor allem, dass die Behörden keine Massnahmen zum Schutz der älteren Bevölkerung vor den Risiken des Klimawandels vorsehe.

«Die Regierung schützt die Würde und das Recht auf Leben älterer Menschen nicht», sagt Park Tae-joo, Mitglied von «60 Climate Action». Gefährdete älteren Menschen mit der Klimakatastrophe allein zu lassen, sei, als würde man ein altes Zebra einem Löwen überlassen.

Eine Gruppe von Menschen über 50 Jahren hat eine Petition gestartet, in der die südkoreanische Regierung aufgefordert wird, ältere Menschen besser vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen.
Eine Gruppe von Menschen über 50 Jahren hat eine Petition gestartet, in der die südkoreanische Regierung aufgefordert wird, ältere Menschen besser vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen. SFOC

Der Bericht des koreanischen Umweltministeriums über die Auswirkungen des Klimawandels, der 2020 veröffentlicht wurde, zeigt, dass die Bevölkerung über 65 Jahre am stärksten von der globalen Erwärmung betroffen ist. Der Ausschuss, der die Petition ins Leben gerufen hat, argumentiert auch, dass ältere Menschen bei Hitzewellen am häufigsten sterben und am meisten unter gesundheitlichen Problemen leiden.

Erfahrungsaustausch zwischen der Schweiz und Südkorea

Die Aktion in Südkorea wird von der Vereinigung «SFOC » unterstützt und ist eng mit derjenigen der Schweizer «Klimaseniorinnen» verbunden. Vor einigen Monaten reiste ein Mitglied der südkoreanischen Organisation in die Schweiz, um sich mit ihnen zu treffen, um «Ideen und Erfahrungen auszutauschen».

Diese Anregungen waren offenbar wertvoll. Die Schweizer Seniorinnen erläuterten die Schwierigkeiten, den Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und den individuellen gesundheitlichen Auswirkungen zu beweisen. Sie betonten auch die Notwendigkeit, die Petition mit soliden wissenschaftlichen Daten zu unterfüttern. Gwanhaeng Lee sagt: «Sie unterstrichen, wie wichtig es ist, die Sache beharrlich weiterzuverfolgen, da Klimaprozesse langwierig und komplex sind.»

Zur Untermauerung ihres Anliegens stützte sich die Gruppe von Senior:innen in Südkorea auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Berichten des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC), der Weltgesundheitsorganisation und der koreanischen Behörde für Krankheitskontrolle und Prävention.

In Südkorea gibt es laut Gwanhaeng Lee keine Grundlagenforschung zu den Auswirkungen des Klimawandels auf gefährdete Gruppen wie die ältere Bevölkerung. «Dieser Mangel bestärkt uns in der Annahme, dass die Regierung keine ausreichenden Massnahmen zum Schutz älterer Menschen ergriffen hat.»

«60 Climate Action» hat seine Petition an die Nationale Menschenrechtskommission weitergeleitet. Die Vorlage ist zwar nicht rechtskräftig, sollte aber laut Gwanhaeng Lee zu einer Reihe von politischen Empfehlungen führen und die Regierung dazu bringen, Massnahmen zum Schutz der durch den Klimawandel am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen umzusetzen.

Editiert von Veronica De Vore

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