Annäherung an den Islam als Reise zum eigenen Ich
Wieso wollen sich alle Muslime in die Luft sprengen und den Westen vernichten? Das 30. Theater Spektakel zeigt die Performance "Made in Paradise" der Künstler Yan Duyvendak und Omar Ghayatt. Eine schonungslose Konfrontation mit den eigenen Vorurteilen.
Eigentlich wollte der holländisch-schweizerische Performance-Künstler Yan Duyvendak nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 zusammen mit der Dramaturgin Nicole Borgeat in Kairo Jihadisten interviewen. Doch es kam anders: Er lernte keine Terroristen, sondern nur «normale» Menschen kennen.
«Ich realisierte, dass ich keine Ahnung habe von der islamischen Kultur», sagt der 44-jährige Yan Duyvendak über seinen Gastaufenthalt anfangs 2007 in Ägypten, der von der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia finanziert wurde.
Er sei sich seiner Cliché-Vorstellungen über die Welt der Muslime bewusst geworden, die hauptsächlich auf Medienberichten beruhten. Duyvendak begann, sich mit dem Alltag der ägyptischen Bevölkerung zu befassen, hinter die Fassade der Vorurteile zu schauen.
Konfrontation mit sich selbst
Die Annäherung an die muslimische Kultur wurde zur Konfrontation mit dem eigenen Ich. «Indem man sich auf das Andere, das Fremde einlässt, begegnet man sich selbst», so Duyvendak.
Diese «Spiegelung mit dem Anderen», wie er es nennt, steht im Zentrum von «Made in Paradise». Ziel der Performance sei nicht, den Islam zu erklären. Es gehe auch nicht darum, eine heile Welt zu zeigen, sondern um die eigene Haltung zur islamischen Kultur und zu sich selbst.
«Made in Paradise» erzählt von den Ängsten und Missverständissen, die entstehen, wenn die sozialen und kulturellen Codes und Orientierungspunkte ins Wanken geraten, aber auch von den Momenten der «Entschleierungen».
Gegenseitige Zweifel
Duyvendak schuf die Performance zusammen mit dem ägyptischen Künstler Omar Ghayatt, den er in Kairo kennengelernt hatte. Auch Ghayatt ist in eine ihm fremde Welt eingetaucht, als er für sein Szenografie-Studium in die Schweiz kam.
Er habe bei seiner Ankunft in der Schweiz das Bild einer Gesellschaft ohne Werte im Kopf gehabt, wo die Leute überall Sex hätten, erzählt der 32-Jährige. Eine Gesellschaft, die kurz vor dem Ende stehe.
Den Zusammenprall der Kulturen bekamen die beiden Künstler auch bei den Arbeiten zu «Made in Paradise» hautnah zu spüren.
Er habe anfangs gedacht, dass er als Araber nur eine Marionette im Projekt sein werde, so Ghayatt. Duyvendak und Borgeat hingegen hegten Zweifel, ob Ghayatt es mit dem Projekt ernst meinte.
Denken von rechts nach links
Für die Zusammenarbeit mussten Duyvendak und Ghayatt nicht nur diese unterschwelligen Vorurteile durchbrechen, sondern auch die eigenen Denkmuster.
«Die arabische Sprache wird von rechts nach links geschrieben, die lateinische von links nach rechts. Ich glaube, dass wir auch so denken», so Ghayatt.
Früher habe er immer versucht zu zeigen, wie ähnlich sich die westliche und die arabische Kultur seien. Doch mittlerweile habe er gelernt, dass es gerade wichtig sei, die Unterschiede zwischen den Kulturen zu berücksichtigen. «Es sind genau diese Unterschiede, die eine Begegnung spannend machen», sagt Ghayatt.
«Durch dieses Projekt habe ich nicht nur eine andere Sicht auf meine Kultur und Religion, sondern auf mich selbst erhalten. Es ist, als könnte ich meine unbewussten Denk- und Verhaltensmuster aus Distanz betrachten.»
Nur Bruchteile
Bereits vor der Vorstellung von «Made in Paradise» müssen die Zuschauer selbst einen Schritt machen: Schuhe ausziehen, heisst die Devise.
Die Performance, die immer wieder mit der Ironie spielt, besteht aus 14 Fragmenten. Dabei geht es etwa um 9/11 – «das beliebteste Stück» -, einen Tanz mit Terroristen oder eine muslimische TV-Sexologin. Insgesamt haben Duyvendak und Ghayatt über fünf Stunden Material bereit.
In einer demokratischen Abstimmung nach Schweizer Beispiel wählen die Zuschauer selber, welche Fragmente sie sehen wollen. Das Publikum sieht damit immer nur Bruchstücke des Ganzen. Die fragmentarische Annäherung zeigt: Es gibt keine absolute Wahrheit, weder zum Islam, noch zur Begegnung mit dem Anderen.
«Das Thema ist zu gross und komplex, als dass man es an einem Abend abhandeln könnte», sagt Duyvendak.
Manche Fragmente sind denn auch bis heute in Arbeit und werden es gemäss den beiden Performance-Künstlern wohl auch bleiben. So etwa «Burka des Westens», das davon handelt, dass wir im Westen Burkas tragen, ohne es zu merken.
Grenzen ausloten
In ihrer Performance loten die Künstler auch ihre eigenen Grenzen aus. So etwa im Fragment «Mit geschlossenen Augen», wo Ghayatt die Besucher auf eine physische Reise in die Abläufe eines Gebets einlädt.
Farbige Gebetsteppiche werden auf dem Boden ausgebreitet, und Ghayatt erläutert die Waschrituale, das Niederknien und Verbeugen.
«Für mich ist das eine riesige Herausforderung, es ist eine Gratwanderung», sagt Ghayatt. «Denn ein Moslem würde nie auf einer Bühne beten.» Auch wenn er in der Performance ja nicht wirklich bete, könnte es doch so ausgelegt werden. Angesichts der aktuellen Islam-Debatte in der Schweiz könnte sein «Geschenk» an das Publikum auch als Propaganda ausgelegt werden.
Die Zuschauer sind gefordert, müssen ihre eigenen Denkmuster und Klischee-Bilder hinterfragen. Sie hätten viele positive Reaktionen erhalten, doch nicht alle Zuschauer könnten mit dem Gebotenen umgehen, so die beiden Künstler. «Manche haben Mühe, vielleicht weil sie um sich Mauern gebaut haben und denken, dass sie diese brauchen», vermutet Duyvendak.
Corinne Buchser, swissinfo.ch
«Made in Paradise» wird am 26. und 27. August im Rahmen des 30. Zürcher Theater Spektakels aufgeführt.
Zum 30. Geburtstag reflektiert das Zürcher Theater Spektakel die eigene Geschichte und zeigt Produktionen von 33 Gruppen aus 15 Ländern. Regionale Schwerpunkte bilden Holland, Lateinamerika und die Schweiz.
Das Festival feiert sein Jubiläum nicht mit Firlefanz, sondern mit Inhalten: mit hochkarätigem Tanz, Theater und Zirkus.
Wie immer in den letzten 29 Ausgaben wirft es kritische Blicke auf soziale und wirtschaftliche Bedingungen in aller Welt. Treu bleibt es auch seiner Vorliebe für innovatives Theater.
Man habe ein «populäres Festival ohne populistische Anbiederung» auf die Beine gestellt, fasste der künstlerische Leiter Sandro Lunin die künstlerische Stossrichtung zusammen.
Das Zürcher Theater Spektakel dauert noch bis am 30. August.
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