Auf den Spuren des Leoparden
17 Spiel- und Dokumentarfilme, darunter zwei aus der Schweiz, bewerben sich in diesem Jahr am Filmfestival in Locarno um den Goldenen Leoparden. Dieser wurde erstmals 1968 verliehen, in einer Zeit, die vom Prager Frühling und von Studentenrevolten geprägt war.
Am Mittwoch, 6. August, wird die 67. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals Locarno eröffnet, ein Schauplatz von Entdeckungen und Begegnungen, aber auch von Debatten, Polemiken und kleiner Skandale, die nur selten die Sommerpause überleben.
Unbestrittene Hauptfigur der Schau ist der Leopard, der erst seit 1968 existiert. Die damalige Festivalausgabe, die von Sandro Bianconi und Freddy Buache kuratiert worden war, hätte beinahe nicht stattgefunden.
Über viele Jahre, bis 1968, war die Auszeichnung, die im Wettbewerb verliehen wurde, ein kleines Segelschiff, in Einklang mit dem Bild der Stadt am See.
Die Einführung des Leoparden ist noch immer ein Rätsel.
Gemäss einer Legende ist die gefleckte Raubkatze nichts anderes als der Löwe, der auf dem Wappen der Stadt dargestellt ist.
Bei der Eröffnung des Festivals sagte der tschechoslowakische Regisseur Jiří Menzel, der in jenem Jahr Jury-Präsident war, er werde sich zu den fünf Wettbewerbsfilmen, die aus dem Sowjetblock stammten, nicht äussern – als Zeichen, dass er mit der Besetzung seines Landes nicht einverstanden sei. Nur wenige Wochen zuvor waren Soldaten der UdSSR und anderer Warschauer-Pakt-Staaten in Prag einmarschiert.
Die offizielle Jury, die sich in der Sache uneinig war, zog sich zurück. Darauf wurde die Jugend-Jury mit der Aufgabe betraut. Ein Entscheid, der nicht unbemerkt blieb. Sandro Bianconi kann sich noch an einen Artikel erinnern, der 1997 in der Berner Tageszeitung Der Bund veröffentlicht wurde: «Von einer Mehrheit der Presse in deutscher Sprache und vom lokalen Bürgertum wurde ich des Stalinismus und der Komplizenschaft mit den Invasoren beschuldigt, die in die Tschechoslowakei einmarschiert waren. Ich erinnere mich an eine Zeitungsüberschrift: «Östliche Invasorenfilme in Locarno» und an eine ganze Reihe von Kritiken und Beschimpfungen.»
Die Festivalausgabe 1968 war auch von den Studentenunruhen geprägt. Wie bereits in Cannes wurde der Saal im Theater Kursaal am Abend der Preisverleihung von dutzenden jungen Leuten besetzt. Sie warfen der Festivalleitung vor, die wirtschaftlichen Interessen der USA zu bevorteilen. Es kam beinahe zu heftigen Zusammenstössen, aber die Polizei intervenierte nicht. Dem italienischen Regisseur Maurizio Ponzi wurde von der Jugendjury wie vorgesehen der Goldene Leopard überreicht.
Im Jahr darauf, als erstmal eine offizielle Jury amtete, wurde einer der Väter der Schweizer nouvelle vague geehrt, nämlich Alain Tanner mit seinem Film Charles Mort ou vif. In den folgenden gut 40 Jahren reiste die Filmtrophäe, die vom Tessiner Künstler Remo Rossi geschaffen worden war, fast um die ganze Welt – in die USA mit Jim Jarmusch oder in den Iran mit Jafar Pahani, ohne jedoch bis jetzt jedoch in Afrika oder Ozeanien Halt gemacht zu haben.
Die Preisträger des Goldenen Leoparden im Internationalen Wettbewerb seit 1968
Zwei Schweizer Filme im Wettbewerb
In diesem Jahr stehen 17 Spiel- und Dokumentarfilme im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden, darunter 13 Weltpremieren. Auch zwei Schweizer Filme von zwei quasi «Locarno-Stammgästen» sind mit dabei.
Mit Con Cure, the life of another, einem Film mit Spielort Dubrovnik, das kaum dem Krieg entkommen ist, kehrt Andrea Štaka ans Festival zurück – acht Jahre, nachdem sie mit Das Fräulein im Internationalen Wettbewerb den Goldenen Leoparden geholt hatte.
Der Westschweizer Filmemacher Fernand Melgar, der bereits mit La Forteresse (Goldener Leopard in der Kategorie Cineasti del Presente) und mit Vol Spécial in Locarno präsent war, wird L’Abri zeigen, einen Dokumentarfilm über Obdachlose. Der Film ist das letzte Kapitel seiner Trilogie zum Thema Ausländer in der Schweiz.
Piazza Grande: Love Island von Jasmila Žbanić (Kroatien/Deutschland, Schweiz, Bosnien-Herzegowina), Pause von Mathieu Urfer (Schweiz), Schweizer Helden von Peter Luisi (Schweiz) und Sils Maria von Olivier Assayas (Frankreich/Deutschland/Schweiz)
Internationaler Wettbewerb: Cure – The Life of Another von Andrea Štaka (Schweiz) und L’Abri von Fernand Melgar (Schweiz)
Nachwuchswettbewerb «Cineasti del presente»: They Chased Me Through Arizona von Matthias Huser (Schweiz).
Grafico: Duc-Quang Nguyen/Übertragung aus dem Italienischen: Gaby Ochsenbein
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