Bergfilm mit Blockbuster-Potential
Der Schweizer Film hat kein glänzendes Jahr hinter sich: Publikumsrenner wie "Die Herbstzeitlosen" blieben aus. Der Überraschungserfolg des Jahres war die Ein-Mann-Produktion "Bergauf, bergab".
Die Zahlen zeigen ein schlechtes Bild: Rund 400’000 Zuschauer sahen sich 2008 im Kino einen Schweizer Film an. 2006 waren es noch über 1,3 Mio. Zuschauer. Damals war noch von einem nationalen Filmwunder die Rede.
Während der Marktanteil der Schweizer Filme 2006 – vor allem dank dem Publikumsrenner «Die Herbstzeitlosen» (2006 und 2007 insgesamt 600’000 Eintritte) – noch 9,6% betragen hatte, sank er von 5,4% im Jahr 2007 auf unter 4% im Jahr 2008.
Nicolas Bideaus «Lokomotiven», wie der Film-Chef des Bundesamtes für Kultur (BAK) Filme mit Blockbuster-Potential nennt, lockten keine Massen ins Kino: Weder «Tell», noch das Kornkreisdrama «Das Geheimnis von Murk» und auch nicht die teuerste Produktion aller Zeiten «Max & Co.» (30 Mio. Franken).
Verbesserungen
Seit Bideaus Amtsantritt im Herbst 2005 wurde immer wieder Kritik an seiner Filmförderungspolitik laut. Er setze auf einzelne Filme statt eine möglichst breite Palette von Produktionen zu fördern, wird ihm von der Filmbranche immer wieder vorgeworfen.
In einer Medienmitteilung räumt nun selbst das BAK ein, dass «das Schweizer Fördersystem verbessert werden muss». Neben der Erhöhung des Filmkredits seien auch strukturelle Anpassungen nötig.
Auf die Frage, ob es nun Zeit sei, die bestehende Förderungspolitik zu ändern, will der BAK-Filmchef jedoch nicht antworten. Sein Sprecher verweist swissinfo auf Bideaus Zitate gegenüber der Nachrichtenagentur sda von Ende November.
Kulturpolitik brauche Zeit, sich zu entwickeln, es daure eine Weile bis der Schweizer Film konstant sein Publikum finde, sagte dieser im Gespräch mit der Nachrichtenagentur.
In Zukunft sollen jedoch Filme, die ohne Hilfe des Bundes entstanden sind, aber beträchtliches Potenzial aufweisen, bei der Auswertung, doch noch unterstützt werden. «Man kann sich ja täuschen», so Bideau.
Erfolg nicht planbar
Erfolg ist nicht planbar: Mit dem Dok-Film «Bergauf, bergab» und der Tragikomödie «Home», der bisher lediglich in der Romandie lief, führen zwei kleinere Produktionen die Schweizer Fillmhitparade an. «Bergauf, bergab» von Hans Haldimann wurde mit rund 45’000 Eintritten völlig überraschend zum erfolgreichsten Schweizer Film 2008.
Zum Vergleich: Der neue James-Bond-Film «Quantum of Solace» unter der Regie des Schweizer Regisseurs Marc Forster verzeichnete an den Schweizer Kinokassen mit rund 750’000 Zuschauern am meisten Eintritte.
Die Ein-Mann-Produktion von Haldimann ist eine Antithese zu den grossen Hollywood-Blockbustern. «Bergauf, bergab» ist ein stiller Film über den harten Alltag der Bergbauern im Urner Schächental. Das einfache Leben der Familie Kempf, das Haldimann mit seiner Kamera bei ihren 18-Stunden-Arbeitstagen begleitet, steht in krassem Kontrast zur heutigen Konsum- und Freizeitwelt.
Je nach Jahreszeit lebt die Bergbauern-Familie mit ihrem Vieh auf einem anderen Hof: im Talboden, im «Bieler» auf 1120 Metern und oben an der Baumgrenze. Eine Lebensform, die am Verschwinden ist und die vom Bund nicht finanziert wird, weil sie für ihn nicht existiert.
«Stiefmütterlich behandelt»
«Am Anfang stand eigentlich alles gegen diesen Film», sagt der Zürcher TV-Journalist Haldimann. Der Bund wollte sich nicht an der Finanzierung beteiligen. «Man liess durchblicken, dass man nicht glaubte, dass eine Person allein Kamera, Regie und Produktion führen kann.» Es habe auch geheissen, er wolle in seinem Film die Bergwelt idealisieren.
Dass der trotzdem zustande kam, grenzt an ein kleines Finanzierungswunder. Ohne den Beitrag verschiedener privater Stiftungen und dem finanziellen Zustupf aus dem Kanton Uri wäre der Film in dieser Form wohl nicht möglich gewesen, wie Haldimann sagt.
Ein weiterer Heimatfilm, der als Ein-Mann-Produktion entstand, hat es ohne Bundesfinanzierung unter die erfolgreichsten zehn Schweizer Filme geschafft: «Schönheiten des Alpsteins» von Thomas Rickenman.
Gemäss Haldimann werden die Individualisten in der Filmförderungspolitik «etwas stiefmütterlich» behandelt. «Statt nur die Nase zu rümpfen über diese ‹Einzeltäter›, könnte man sie ein bisschen mehr fördern», so Haldimann.
«Positive Grundhaltung»
Erfolgsgeheimnis habe er keines. «Grundsätzlich ist es sicher gut, wenn jemand das macht, was er mit dem Herz machen will und gar nicht gross an den Erfolg denkt», sagt er nur.
Ihm selbst habe besonders imponiert, wie die Kempfs trotz des harten Überlebenskampfes voller Optimismus und ohne zu jammern ihre Arbeit machen. «Es ist eine positive Grundhaltung, welche die Familie ausstrahlt und welcher vielleicht viele Leute in der Schweiz ein bisschen nachtrauern.»
Haldimann ist es offensichtlich gelungen, sich ein Stückchen von dieser Grundhaltung abzuschneiden. Er hat den Film trotz aller Widerstände realisiert – mit Erfolg.
swissinfo, Corinne Buchser
In den Kinos liefen Schweizer Filme 2008 schlecht, auf internationalen Festivals dagegen waren sie erfolgreich wie selten: 64 Filme erhielten 136 Auszeichnungen im Gesamtwert von 350’000 Franken.
Absoluter Spitzenreiter war Reto Caffis Kurzfilm «Auf der Strecke», der allein 32 Preise im Gesamtwert von etwa 60’000 Franken einheimste.
Der Spielfilm «Home» erhielt vier Preise im Gesamtwert von etwa 10’000 Franken.
An den Topfestivals von Berlin, Cannes, Venedig, Toronto und Sundance hatten Schweizer Beiträge auch dieses Jahr wenig Chancen. Aber mit 52 Filmen an wichtigen Festivals erzielte das Schweizer Filmschaffen fast ein so gutes Jahresergebnis wie im «Wunderjahr» 2006, als 55 Filme eingeladen wurden.
Am erfolgreichsten waren Dokumentar- und Kurzfilme, auffallend viele davon aus der Westschweiz. Darunter die beiden Doks «La mère» von Antoine Cattin und Pavel Kostomarov und «La forteresse» von Fernand Melgar.
«Bergauf, bergab» von Hans Haldimann: 44,350 Eintritte (Dok)
«Home» von Ursula Meier: 36’300 (Drama)
«Max & Co.» der Gebrüder Guillaume: 30’300 (Animation)
«Der Freund» von Micha Lewinsky: 30’000 (Drama)
«Schönheiten des Alpsteins» von Thomas Rickenmann: 23’500 (Dok)
«Marcello, Marcello» von Denis Rabaglia: 19’200 (Komödie)
«La forteresse» von Fernand Melgar: 18’700 (Dok)
«Bird’s nest» von Christoph Schaub und Michael Schindhelm: 17’600 (Dok)
«Nomad’s Land» von Gaël Métroz: 17’100 (Dok)
«Max Frisch, Citoyen» von Matthias von Gunten 15’600 (Dok)
(Stand 21. November)
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