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Der Tanz zwischen Enthusiasmus und Kritik

Kanidatinnen beim Aufwärmen für den Prix de Lausanne. Keystone

Der internationale Tanzwettbewerb Prix de Lausanne zeichnet jedes Jahr die grössten Talente der Welt mit einem Stipendium aus. Kritiker und Künstler sind sich nicht immer einig über Sinn und Zweck dieses Wettbewerbs. Eine Kontroverse.

Wer den Erfolg sucht, erntet oft auch Kritik. Dies geht auch dem Prix de Lausanne so, jenem prestigeträchtigen internationalen Tanzwettbewerb, an dessen Final am 2. Februar die acht besten Kandidatinnen und Kandidaten mit einem Stipendium ausgezeichnet werden.

Der Wettbewerb sorgt bei den einen für Enthusiasmus, ist bei anderen aber ein Reizwort. «Der Preis ist veraltet», sagt der brasilianische Choreograf Guilherme Botelho, der in Genf lebt.

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Ballettstar sinniert über das Älterwerden

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der Haupttänzer und Leiter der K-Ballet Company in Tokio ist das zweite Mal als ehrenamtliches Jury-Mitglied am Genfersee dabei. Er hatte 1989 am Prix de Lausanne die Goldmedaille gewonnen. Dieser Preis war zur Initialzündung seiner Karriere geworden. swissinfo.ch: Welche Bedeutung hat der Prix de Lausanne? Tetsuya Kumakawa: Es ist eine ganz besondere Veranstaltung. Vielen jungen…

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«Nicht mehr zeitgemäss»

«Der Wettbewerb in Lausanne scheint die Bedeutung des zeitgenössischen Tanzes vergessen zu haben», kritisiert Botelho. «Die Prüfungen, denen sich die Kandidatinnen und Kandidaten unterziehen müssen, sind stark in Richtung klassischer Tanz orientiert und mit den Pirouetten, den Entrechat-Sprüngen und Portés sehr kodifiziert.»

Der Wettbewerb lasse somit kaum Interpretationsspielraum und Kreativität zu. «Dies ist im zeitgenössischen Tanz viel besser möglich, der viel mehr im Einklang mit unserer Epoche ist, die eine personalisierte Kunst kennt, die Emotionen auslösen kann.»

Botelho, der mit seiner Tanzkompagnie Alias in der ganzen Welt auftritt, ergänzt, dass die Ausbildung im zeitgenössischen Tanz in der Kulturpolitik der europäischen Länder eine wichtige Rolle spiele.

«In Frankreich, zum Beispiel, widmet sich der Grossteil der choreografischen Zentren dieser Disziplin. Und in der Westschweiz gibt es seit zwei Jahren ein Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) in zeitgenössischem Tanz. Das sind Beweise, dass diese künstlerische Ausdrucksform nicht ignoriert werden kann.»

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Tänzer nach Lähmung zurück auf der Bühne in Bern

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Widdowson stiess 2011 zum Bern Ballett und machte rasche Fortschritte. Als er zu Besuch bei Verwandten in Grossbritannien weilte, wurde er auf der Strasse angegriffen und brach sich das Genick. Die Ärzte befürchteten, er könne nie mehr gehen. Nun ist er aber zurück auf der Bühne und tanzt vor Schweizer Publikum. (Julie Hunt, swissinfo.ch)

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«Spitzenleistungen fördern»

Ganz anders sieht es Jean-Pierre Pastori, Schweizer Kritiker und Tanzhistoriker aus dem Kanton Waadt: «Zum Evaluationsprogramm des Prix de Lausanne gehört sehr wohl eine Prüfung in zeitgenössischem Tanz. Das Problem ist, dass viele junge Choreografen diese Prüfung nicht als das anerkennen. Sie sehen darin eher eine neoklassische Disziplin. Doch das ist eine engstirnige Sicht!»

Der Nutzen des Wettbewerbs liege aber anderswo, betont der Historiker. «Es geht darum, jungen talentierten Tänzerinnen und Tänzern eine Ausbildung in einer grossen Schule wie der Opéra in Paris oder dem Royal Ballet in London zu ermöglichen, die sie sich sonst nicht leisten könnten.»

Und wer keine Ausbildung mehr brauche, erhalte die Chance auf ein Stipendium für ein einjähriges Praktikum in einem renommierten internationalen Ensemble. «Wenn dort dann ein Posten frei wird, kann eine Praktikantin, ein Praktikant als Mitglied eingestellt werden.» Dies sei eine solide Referenz für einen Lebenslauf, so Pastori.

1949 in Lausanne geboren. Journalist, Schriftsteller und Tanzhistoriker.

Seit 2008 Direktor der Schloss Chillon Stiftung im Kanton Waadt.

Zudem seit 2012 Direktor der Fondation Béjart Ballet Lausanne.

Zu seinen Publikationen gehören «Une histoire de passions: la danse à Lausanne», 1999. «Béjart Ballet Lausanne: 20 ans», 2006. «Renaissance des Ballets russes», 2009.

Pastori wurde 1999 Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres (Ritter des Ordens der Künste und der Literatur) der französischen Republik.

Wohltätigkeit oder Förderung?

Spielt also der Prix de Lausanne nichts anderes als die Rolle einer Rekrutierungsfirma? «Nein», entgegnet Tanzhistoriker Pastori. «Das Ziel ist zuallererst, Spitzenleistungen zu fördern.»

Guilherme Botelho vergleicht den Prix de Lausanne eher mit einer philanthropischen Organisation, die talentierten aber wenig bemittelten Artistinnen und Artisten finanziell unter die Arme greift.

Diese Ansicht greift Pastori zu kurz: «Wohltätigkeit steht nicht auf dem Menu des Wettbewerbs. Er hat nichts zu tun mit anderen Wettbewerben in Tokio, New York oder Moskau, wo die Kandidierenden lediglich mit einer Medaille oder Geld belohnt werden», antwortet er.

«Lausanne ist kein Ort für sportliche Leistungen, kein Schlüssel zu einer Goldgrube. Ich möchte betonen, dass jene Person, die in Lausanne gewinnt, über das grösste Entwicklungspotenzial verfügt», so Pastori.

1962 in Sao Paulo, Brasilien, geboren. Choreograf. Lebt und arbeitet in Genf.

Mit 16 beginnt er mit dem Tanzen. Zwei Jahre danach Anstellung als Tänzer beim Grand Théâtre in Genf.

1987 kreiert er seine erste Choreografie.

1993 macht er sich unabhängig und gründet die Tanzkompanie Alias.

Zu seinen Stücken gehören «Le poids des éponges», «Les cabots», «Sideways Rain», «Camelô».

Verwöhnte Europäer, asiatische Kämpfer

Spielt also der Prix de Lausanne nichts anderes als die Rolle einer Rekrutierungsfirma? «Nein», entgegnet Tanzhistoriker Pastori. «Das Ziel ist zuallererst, Spitzenleistungen zu fördern.»

Guilherme Botelho vergleicht den Prix de Lausanne eher mit einer philanthropischen Organisation, die talentierten aber wenig bemittelten Artistinnen und Artisten finanziell unter die Arme greift.

Diese Ansicht greift Pastori zu kurz: «Wohltätigkeit steht nicht auf dem Menu des Wettbewerbs. Er hat nichts zu tun mit anderen Wettbewerben in Tokio, New York oder Moskau, wo die Kandidierenden lediglich mit einer Medaille oder Geld belohnt werden», antwortet er.

«Lausanne ist kein Ort für sportliche Leistungen, kein Schlüssel zu einer Goldgrube. Ich möchte betonen, dass jene Person, die in Lausanne gewinnt, über das grösste Entwicklungspotenzial verfügt», so Pastori.

Der 41. Internationale Wettbewerb für junge Tänzerinnen und Tänzer findet vom 27. Januar bis 2. Februar 2013 im Théâtre de Beaulieu in Lausanne statt. Rund 75 Kandidierende zwischen 15 und 18 Jahren aus aller Welt nehmen daran teil.

Der Wettbewerb war 1973 von Elvire und Philippe Braunschweig ins Leben gerufen worden.

Seit damals ist der Wettbewerb Partnerschaften mit fast 60 Ballettschulen und Tanzkompagnien auf der ganzen Welt eingegangen.

Bis heute haben bereits über 4000 Nachwuchstänzerinnen und -tänzer aus 70 Ländern in Lausanne ihr Können unter Beweis gestellt.

Mehr als 300 Preisträgerinnen und Preisträger haben ein Stipendium oder einen Preis erhalten – für viele der Startschuss zu einer internationalen Karriere.

(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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