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Design macht Technologie benutzerfreundlicher

Designer helfen mit, die Erfahrungen der Leute mit Technologien zu verbessern. Keystone

Junge Schweizer Programmierer gehören zur Avantgarde bezüglich neuartiger technologischer Oberflächengestaltung. Ingenieure lernen von Designern einen spielerischen Zugang zur Materie. Das Potenzial wird zur Produktion ganz ungewöhnlicher Tools genutzt.

«Wir nehmen uns wirklich Zeit, um über Innovation nachzudenken», sagt Laurent Bolli gegenüber swissinfo.ch. Er ist Gründer und Leiter von Bread and Butter, einem Beratungsunternehmen für visuelles Design in Lausanne, das auf neue digitale Oberflächengestaltung spezialisiert ist. Bolli machte an der renommierten Hochschule für Kunst und Design in Lausanne eine Ausbildung zum Industriedesigner.

Bread and Butter ist Partner von Ozwe, ein Unternehmen für Software-Entwicklung. Gründer von Ozwe ist Frédéric Kaplan, ein Forscher für künstliche Intelligenz und der erste an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPLF) nominierte Professor für digitale Menschlichkeit.

Kaplan und Bolli haben zusammen Bookapp entworfen und lanciert, das Content für alle Weboberflächen an Kundenwünsche anpasst. Derzeit schliessen sie die erste digitale Ausgabe der Gesamtwerke von Jean-Jacques Rousseau ab, aus Anlass des 300. Geburtstags des schweizerisch-französischen Schriftstellers.

«Unser semantisches Vorgehen, das die Namen in Rousseaus Werken nach Häufigkeit und Vorkommen sammelt, wird uns die Rekonstruktion seines sozialen Netzwerkes erlauben, genauso wie das heute Facebook tut», sagt Bolli.

Die französische Zeitung Le Monde sowie die Französische Nationalbibliothek haben das Team beauftragt, an ihren jeweiligen nächsten digitalen Produktionen zu arbeiten.

«Zeichen der Reife»

Kaplans Firma entwickelt auch den ersten Computer ohne Maus oder Tastatur, der allein durch Handbewegung bedient werden kann. Kaplan und Bolli spielen auch eine aktive Rolle bei der Lift Conference, ein alljährlich stattfindendes Tech-Event, das seit seiner Lancierung 2006 in Genf weitherum als «Innovationsbeschleuniger» anerkannt ist.

Durch Einführung eines besseren Verständnisses des sozialen Technologie-Potenzials bei Leuten aus allen Altersschichten – und zwar nicht nur Computerfreaks, die am Voraussehen von Trends interessiert sind, soll «Veränderung in Chancen umgewandelt werden». Aus der Lift Conference haben sich schon zahlreiche neue Partnerschaften entwickelt.

«Mit Künstlern zusammenzuarbeiten ist entscheidend, sagt Laurent Hug, Gründer und publizistischer Vorsitzender der Lift Conference, gegenüber swissinfo.ch. «Es ist ein Zeichen der Reife, wenn wir uns an diese wenden, damit sie uns helfen, unsere Ideen zu entwickeln. Die grössere mentale Flexibilität der Künstler kann Horizonte erweitern», so Hug.

Obwohl die Lift Conference über Jahre hinweg künstlerische Wagnisse aufgenommen hat, sucht sie immer noch nach dem besten Mittel, gemeinsame Projekte anzuregen.

User-Freundlichkeit

Die bedeutendsten akademischen Hubs für Computer-Wissenschaften in der Schweiz sind sich heute der Notwendigkeit bewusst, kreative Akteure zu involvieren, um bessere Oberflächengestaltungen und Produkte zu kreieren. Die Eidgenössischen Technischen Hochschulen Zürich (ETHZ) und Lausanne (EPFL) verfolgen mehrere gemeinsame Projekte mit Kunsthochschulen.

«Einer der Fehler, die wir begingen, als wir Wuala entwickelten (Programm für sichere Online-Datenspeicherung, 2009 von LaCie akquiriert), war, dass wir zu sehr auf die Technologie fokussiert waren und zu wenig auf das Design und die Benutzerfreundlichkeit», erklärt Dominik Grolimund, der damals Student an der ETHZ war.

«Manche Ingenieure sind besessen von Algorithmen und berücksichtigen selten die User-Freundlichkeit eines Produkts», sagt Grolimund. Viele Start-ups würden zusätzliche Funktionsweisen anhäufen, weil sie glaubten, diese seien ein Mehrwert. «Aber schliesslich erhöht dies lediglich die Komplexität des Produktes.»

Grolimunds erste Erfahrung brachte ihn zum Schluss, dass Design eine wichtige Rolle spielt. Aber es sei nicht leicht, jemanden zu finden, der «designmässig» denke und ein Projekt von Anfang an bis zur Übergabe an den Kunden verfolgen könne.

Grolimund freut sich, dass einer der Mitgründer seines zweiten Start-ups, Slip (eine Job-Plattform, die Profile aus dem Social Web pflückt und «Traumjobs» an die richtigen Leute liefert), ein Designer ist. «Weil wir von Beginn an einen ‹Design-Zugang› hatten, ist unsere neue Site so einfach wie möglich: keine komplizierte Oberflächengestaltung, keine überflüssigen Funktionsweisen», so der Ex-ETHZ-Student.

Und er fügt bei, dass das Terminabsprache-Programm Doodle in seiner bemerkenswerten Einfachheit eine schweizerische Erfindung war.

«Intensive Innovation»

Grolimund ist der Ansicht, dass die Einführung eines Kurses über Game (Spiel)-Design an der Zürcher Hochschule der Künste, neben anderen ähnlichen Vorgehen, auch dazu dienen kann, die digitalen Benutzeroberflächen zu verbessern.

Laurent Bolli stimmt überein: «Spiele sind ein Bereich intensiver Innovation, wo alle wichtigen Veränderungen in Sachen Benutzerfreundlichkeit und Oberflächengestaltung stattfinden.» Obwohl «Gamification» (siehe auch Spalte rechts) d a s neue Modewort ist und als grösste Zufahrt zur Forschung gilt, findet es Bolli überraschend, dass das Vokabular für Bewegungen im Zusammenhang mit Spielen noch nicht wirklich eingeführt ist.

In Anbetracht der hohen Relevanz in allen digitalen Feldern der Interaktionsprinzipien, welche die Spiele regeln – wenn auch ohne die Unterhaltungskomponente – , begrüsst Bolli die Initiative der Zürcher Hochschule der Künste.

«Der Schlüssel für erfolgreiche Pionierarbeit in der digitalen Oberflächengestaltung ist Arbeit im Herzen von Technologie und Design – beides zusammen», betont der Direktor von Bread and Butter.

«Design thinking» ist ein Ausdruck, der auf den Menschen ausgerichtetes Design bezeichnet, und eine Methodik, die sich auf Interaktivität mit den Benutzern konzentrieren. Diese Methodik wurde ursprünglich an der Stanford Universität (USA) erfunden und von Wirtschaftshochschulen in der ganzen Welt aufgenommen, auch von jener in St. Gallen.

«Gamification» ist ein Ausdruck, der die Anwendung von «Game-Design-Denken» bei «Nicht-Game-Applikationen» bezeichnet, dies zur Anreicherung von Erfahrungen und Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit.

Zürich

Die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ) arbeitet mit der Zürcher Hochschule der Künste zusammen, vor allem im Bereich der Robotertechnik.

Swiss artists-in-labs ist eine Zusammenarbeit zwischen der Zürcher Hochschule der Künste, dem Institute for Cultural Studies in the Arts (ICS), einem Zentrum für Kulturanalyse, Kulturtheorie und Kulturgeschichte in den Künsten, und dem Bundesamt für Kultur (BAK). Langfristige Aufenthaltsprogramme für Künstler in verschiedenen Forschungslaboratorien sowie eine Reihe von Ausstellungen erforschen die Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft mit dem Ziel, Design-Innovation zu stimulieren. Eine ziemlich erfolgreiche Initiative, obwohl das Projekt immer noch «geheimnisumwittert» ist.

Lausanne

Die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) arbeitet mit der Ecole cantonale d’art de Lausanne (ECAL) in einem gemeinsamen Projekt zusammen:

EPFL+ECAL LAB wurde gegründet zur Erforschung «einer neuen Beziehung zwischen Technik und Design mit dem Ziel Innovation». Das Projekt arbeitet mit verschiedenen Designerschulen zusammen, wie die ECAL, Les Ateliers de Paris, das Royal College of Art in London sowie das California College of Arts in San Francisco, und zwar in Themenbereichen wie Werkstofftechnik, virtuelle Realität, Mensch-Maschinen-Schnittstellen. Digitale Produktionsmethoden oder Solarenergie.

Genf

Die Genfer Hochschule für Kunst und Design bietet Master-Programme für Interaktionsdesigner an, zum Beispiel innovative Technologieanwendung (durch neue Technologien entstandene Designpraktiken). Das Programm bringt eine neue Generation von Webdesignern mit charakteristischem Schweizer Stil hervor.

Die Lift Conference 2013 wird vom 6. bis 8. Februar im Internationalen Konferenzzentrum in Genf stattfinden. KLeinere jährliche Ausgaben gibt es auch in Südkorea und Frankreich (Marseille).

(Übertragung aus dem Englischen: Jean-MIchel Berthoud)

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