Die Famile wandelt sich und bleibt doch konstant
Das Landesmuseum Zürich und der Schweizerische Nationalfonds zeichnen gemeinsam ein zum Teil überraschendes Bild der Schweizer Familie. Auf den Spuren der Institution Familie der letzten 250 Jahre.
Im Land der Milliardäre sind Kinder keine Könige: Eines von 25 Kindern in der Schweiz, häufig unter sechs Jahre alt, lebt in Armut.
Chancengleichheit? Davon ist man weit entfernt: In den benachteiligten Schichten, ohne Berücksichtigung der Migranten, besucht nur eines von zehn Kindern das Gymnasium. Bei den privilegierten Schichten gehen sechs von zehn Kindern auf eine Maturitätsschule.
Diese Resultate wurden vom Nationalen Forschungsprogramm «Kindheit, Jugend und Generationen-Beziehungen im gesellschaftlichen Wandel» (NFP 52) erarbeitet. Sie bilden die Basis einer Ausstellung, die zur Zeit im Landesmuseum Zürich zu sehen ist.
«Es ist das erste Mal, dass die Ergebnisse eines solchen Programms Gegenstand einer Ausstellung sind», freut sich Pasqualina Perrig-Chiello, Leiterin des Forschungsprogramms. Über die Resultate der Forschungen ist sie weniger erfreut.
«Die Idee, ‹bei uns ist alles in Ordnung›, ist in der Schweiz fest verankert, aber weit von der Realität entfernt», erklärt die Forscherin. So erklärt einer von sieben Jugendlichen, keine «angemessene» Ausbildung erhalten zu haben; sei das, weil er sich vernachlässigt gefühlt hat oder zum Erfolg gedrängt wurde, ohne jedoch wirklich gefördert worden zu sein.
Rollenaufteilung im Haushalt
Und wie hat sich die Familie entwickelt? Existiert die «klassische» Familie überhaupt noch? Die Leiterin des NFP 52 schickt die grossen demografischen Veränderungen voraus.
Mit der längeren Lebendauer der Menschen lebten mehrere Generationen gleichzeitig, aber mit weniger Personen, da die Geburtenzahl sinke. Und die neue Rolle der Frau habe auch die Rolle der Familie völlig verändert.
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SNF
Man müsse aber die Tragweite der Umwälzungen relativieren: «Lediglich 1,2 Prozent der Haushalte teilen Haushaltsarbeit, berufliche Beschäftigung und Betreuung der Kinder partnerschaftlich auf», betont Perrig-Chiello. In rund der Hälfte aller Schweizer Haushalte arbeiteten die Männer Vollzeit und die Frauen blieben zu Hause.
Klassisches Modell lebt
Auch ein anderes Klischee, nämlich dass die traditionelle Familie am Ende sei, wird revidiert: Vier von fünf Kindern in der Schweiz lebten unter einem Dach mit verheirateten Eltern.
«Überdies haben die Kinder einen Bruder oder eine Schwester», fügt Pasqualina Perrig-Chiello an. «Das Einzelkind ist nicht mehr die Regel.»
Aber die Gruppe jener Paare und namentlich der Frauen, welche ein Leben ohne Kinder wählen, hat an Bedeutung gewonnen. «Ist das nun aus purem Egoismus, weil die Gesellschaft schizophren ist, indem sie jungen Frauen sagt, sie sollten möglichst viel in ihre Ausbildung investieren und dann, wenn sie Kinder haben, selber zurechtkommen müssen? Dies sind Fragen, welche die ganze Gesellschaft betreffen sollten», schliesst die Forschungsleiterin.
Das NFP 52 wurde 2003 mit einem Budget von 12 Mio. Franken gestartet und besteht aus 29 Forschungsprojekten. Zwei Berichte werden nächstens publiziert: Der erste über die Beziehungen zwischen den Generationen im Juni dieses Jahres, der zweite über die Kindheit und Jugend in der Schweiz im August.
swissinfo, Ariane Gigon, Zürich
(Adaption und Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)
Die Sonderausstellung «Familien – alles bleibt, wie es nie war» im Landesmuseum Zürich dauert bis am 14. September 2008.
Sie widmet sich der sozial- und kulturgeschichtlichen Entwicklung der Familie in der Schweiz ab 1750.
Ein reicher Bilderparcours ermöglicht den Besucherinnen und Besuchern eine Reise durch die letzten 250 Jahre der Schweizer Familiengeschichte, angereichert mit persönlichen Zeugenberichten und wissenschaftlichen Daten.
Die Ausstellung integriert Forschungsergebnisse, die im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Kindheit, Jugend und Generationen-Beziehungen im gesellschaftlichen Wandel» (NFP 52) erarbeitet worden sind.
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