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Die Stimme der Schwalben im Kampf für Freiheit

Jean-Marie Etter - Präsident der Stiftung Hirondelle. Stiftung Hirondelle

Kriegerische Konflikte, Diktaturen: Auf diesem Terrain bewegt sich die Schweizer Stiftung Hirondelle. Die Journalisten-Organisation baut seit über 10 Jahren in Krisengebieten neue Medien auf.

Im Gespräch mit swissinfo legt Stiftungspräsident Jean-Marie Etter dar, was Hirondelle für Frieden und Demokratie getan hat.

Hirondelle ist überzeugt, dass freie und offene Information das geeignete Mittel ist, um gegen Unterdrückung und Ausbeutung zu kämpfen. Mit Radiosendungen durchbrechen die Journalistinnen und Journalisten die Mauer des Schweigens. Viele Personen erhalten eine Stimme, die ansonsten nie zu Wort kämen.

swissinfo: Wie hat das Projekt begonnen?

Jean-Marie Etter: 1994 war ich Generalsekretär der Schweizer Sektion von «Reporter ohne Grenzen» und arbeitete bei Radio Agatashya in der Gegend der Grossen Seen in Afrika. Nachdem das Flugzeug des ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana abgeschossen wurde, verstanden wir, dass sich etwas aussergewöhnlich Wichtiges ereignet hatte.

Wir entschieden, unsere Solidarität mit den uns eigenen Mitteln auszudrücken. Mit Hilfe der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) gründeten wir 1995 die Stiftung Hirondelle. Wir übernahmen den Namen von Radio Agatashya, was soviel bedeutet wie Schwalbe.

swissinfo: Auf welchen Werten basiert Ihre Arbeit?

J.M.E.: Es gibt einerseits professionelle Werte. Ich glaube an journalistische Grundsätze, die universelle Gültigkeit besitzen und in der Praxis angewendet werden müssen.

Daneben gibt es ethische Werte wie den Respekt der Menschenwürde, Ehrlichkeit und Transparenz. Unser aller tiefster Grundsatz ist jedoch die Unabhängigkeit von wirtschaftlicher und politischer Macht.

Im Jahr 2001 haben wir ein Statut verabschiedet, in dem wir unsere Grundsätze festhalten: Unabhängigkeit, Professionalität, Ehrlichkeit, Sachlichkeit.

swissinfo: Welchen Einfluss kann ein unabhängiges Medium in einem Land haben, das keine freie Information kennt?

J.M.E.: Einen fundamentalen Einfluss. Der Rechtsstaat fusst ja nicht nur auf den drei anerkannten Pfeilern Exekutive, Legislative, Judikative, sondern auch auf freier Information. Leider wird dieser Aspekt in den Reden über die gute Regierungsführung gerne vernachlässigt.

Ich bin wirklich überzeugt: Ohne eine unabhängige Information kann sich ein Land nicht korrekt entwickeln.

Es gibt Nichtregierungs-Organisationen (NGO), die nicht unter einfachen, aber irgendwie akzeptablen Bedingungen arbeiten. Das Problem beginnt, wenn die Bedingungen sich so stark verschlechtern, dass die NGO ihre Zelte abbrechen. Das ist der Zeitpunkt, an dem wir versuchen, präsent zu sein.

swissinfo: Hirondelle hat vielen Personen, Organisationen und politischen Parteien eine Stimme gegeben. Ist ihre Unabhängigkeit nie in Frage gestellt worden?

J.M.E.: Ganz selten. Aber es ist schon geschehen. Beispielsweise mit dem liberianischen Präsidenten Charles Taylor oder anderen Regierungen. Wir fordern dann umgekehrt die Kritiker auf, zu sagen, wo wir genau die Unabhängigkeit verletzt haben. Meistens hören wir danach nichts mehr.

Einige unserer Mitarbeiter haben die Verwirklichung ihrer Grundsätze teuer bezahlt – mit Gefängnis oder Misshandlungen. Aber ich muss auch unterstreichen, dass unsere Journalisten häufig sehr bestimmt sind. Sie haben schon lange vor Hirondelle gegen das System gekämpft.

swissinfo: Am 30.Juli wird es die ersten freien Wahlen seit über 40 Jahren in der Republik Kongo geben. Hirondelle ist in diesem Land seit 2002 präsent. Sicherlich ein wichtiger Moment?

J.M.E.: Im Hinblick auf die soziale Verantwortung und die enorme Zahl wahlberechtigter Personen (55 Millionen) ist es sicherlich einer der wichtigsten Momente für unsere Stiftung.

Ein Radio wie Okapi – unser Radio im ehemaligen Zaire – hat die gesellschaftliche Entwicklung im Kongo in den letzten vier Jahren stark beeinflusst. Ich höre häufig von Bewohnern aus Kongo, dass Okapi ihr Forum, ihre Piazza geworden ist. Okapi ist der lebendige Beweis, welch wichtige Rolle eine unabhängige Berichterstattung für ein Land haben kann.

swissinfo: Welche Herausforderungen stehen in Zukunft an?

J.M.E.: Die grösste Herausforderung besteht darin, unsere Radiostationen am Leben zu erhalten. Die Geldgeber zeigen oft nur ein kurzfristiges Engagement ohne langfristige Visionen. Aber gerade in Krisen- und Schwellenländern braucht es viel Zeit.

Die Spender verhalten sich teilweise wie Investoren, teilweise wie Politiker. Ich habe den Eindruck, dass die Wichtigkeit des Aufbaus freier Medien in der Entwicklungspolitik vollkommen unterschätzt wird.

Wir wachsen aber auch, und dies ist nicht immer einfach. Dass wir uns dabei verstärkt exponieren, stört mich allerdings nicht. Es gehört zu unserem Job, Personen Steine in den Weg zu legen, die von korrupten Systemen profitieren.

swissinfo, Luigi Jorio
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

In Partnerschaft mit den Vereinten Nationen (UNO) betreibt die Stiftung Hirondelle mit Sitz in Lausanne seit 2002 das Radio Okapi in der Demokratischen Republik Kongo. Es handelt sich um das grösste Radioprojekt der UNO.

Die Stiftung Hirondelle will zudem ein Radio im Sudan aufbauen. In Sierra Leone soll dies ebenfalls in internationaler Zusammenarbeit geschehen.

Früher gab es einen Sender im Kosovo.

Hirondelle besitzt zudem das Star Radio in Liberia, das 1997 als neutrales Medium in Hinblick auf die Präsidentschaftswahl gegründet wurde.

Das älteste Projekt von Hirondelle ist jedoch kein Radio, sondern die Presseagentur Arusha in Tansania, welche die Arbeit des Internationalen Kriegsverbrechertribunals in Ruanda begleitete.

Das Budget der Stiftung Hirondelle betrug im Jahr 2005 rund 8 Mio. Fr.

15% der Mittel stammen aus der Schweiz, der Rest aus 12 anderen Ländern.

Mitarbeiter: rund 150

Die Sendungen der Radiostationen erreichen regelmässig 20 Mio. Hörer.

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