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Eine Schweiz zum Lachen

Die Schweizer Diplomatie und die Weltpolitik: Viktor Giacobbo (Mitte) als Botschaftsrat Stefan Balsiger. Keystone

Seit Donnerstag läuft Kabarettist Viktor Giacobbo erster Spielfilm. Ist "Ernstfall in Havanna" ein neuer Meilenstein in der Schweizer Komödie?

«Sprechen Sie nicht in Ihrer Geheimsprache!» So schnauzt der Polizeichef von Havanna einen Schweizer Diplomaten und seinen Leibwächter an, die beschuldigt werden, eine zweite Kuba-Krise ausgelöst zu haben und – als ob dies nicht schon genug wäre – Schweizerdeutsch zu sprechen.

Das ist eine Szene aus «Ernstfall in Havanna». Hauptdarsteller: Der Schweizer Cabarettist Victor Giacobbo, der damit sein Filmdébut gibt. Regisseurin ist Sabine Boss, das Drehbuch schrieb Giacobbo zusammen mit Domenico Blass. Mit der Politkomödie soll endlich wieder ein Schweizer Film zu einem Kinohit werden.

Satire in der Schweiz?

Im Ausland ist Schweizer Satire ebenso wenig bekannt wie der Deutschschweizer Dialekt, der in den Ohren der kubanischen Polizei wie eine Geheimsprache tönt. Man erinnert sich höchstens an Grock, den Erfinder des modernen Clowns, oder an einige wenige andere Komiker wie Emil oder Walter Roderer – und das auch nur in deutschsprachigen Ländern.

Die Schweizer Presse erwartet von «Ernstfall in Havanna» denselben Erfolg, wie der Film «Die Schweizermacher» 1978 hatte, der mit fast einer Million Kinobesuchern immer noch den Rekord in der schweizerischen Filmgeschichte hält. «Ernstfall in Havanna» gibt uns die Gelegenheit, einen Blick auf die Geschichte der Deutschschweizer Komödie zu werfen.

Die Schweiz hat, obwohl es nicht den Anschein macht – eine lange Caberet-Tradition. Pionier war Rudolf Salis, der 1881 «Le Chat Noir» gründete. Wichtig auch das 1916 entstandene, dadaistische Cabaret «Voltaire» in Zürich sowie die «Pfeffermühle», eine Gruppe von Exil-Deutschen um Erika Mann. Ferner das Cabaret «Cornichon», Symbol für den kulturellen Widerstand gegen den Nationalsozialismus und Vorläufer der politischen Satire in der modernen Schweiz.

Film profitiert vom Cabaret

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg schöpfte der Schweizer Film aus dem Cabaret-Fundus und produzierte einige seiner erfolgreichsten Werke. Filme, die im Ausland zwar nicht bekannt sind, aber vor allem in der Deutschschweiz als eigentliche Marksteine nationaler Identität gelten: «HD-Soldat Läppli» und «Demokrat Läppli» von Alfred Rasser, «Polizischt Wäckerli» von Schaggi Streuli, «Ein Schweizer Namens Nötzli» von Walter Roderer und der bereits erwähnte Film «Die Schweizermacher» mit Cabarettist Emil Steinberger.

«Ernstfall in Havanna» mit Viktor Giacobbo knüpft also an eine feste Tradition an, wie in jüngster Zeit schon die beiden relativ erfolgreichen Filme «Katzendiebe» und «Komiker» mit den Kabarettisten Beat Schlatter und Patrick Frey.

Giacobbo, der Komiker der (Deutschschweizer) Nation

Allein die Präsenz Giacobbo in «Ernstfall in Havanna» ist eine Garantie für den Film, der mit drei Mio. Franken für Schweizer Verhältnisse recht teuer war. Mit Giacobbo soll der Erfolg von «Die Schweizermacher» noch übertroffen werden.

Der 1952 geborene Komiker ist für das Publikum des Deutschschweizer Fernsehens eine Art Mythos. Seine monatliche Satire-Sendung «Viktors Spätprogramm» gibt es schon seit zwölf Jahren, und die Einschaltquoten sind immer noch so hoch, dass darob populäre Sendungen wie die Politshow «Arena» vor Neid erblassen könnten.

Berühmt wurde Giacobbo mit Figuren wie dem Macho-Agglo-Tölpel Harry Hasler, dem phlegmatischen Kiffer Fredy Hinz oder dem Inder Rajiv mit dem unverkennbaren Gespür fürs Geschäftemachen. Giacobbo ist der typische Komiker in einem Fernsehen, das sonst eine spärliche Satire-Tradition hat.

Giacobbo verdiente sich seine Sporen im Theater ab, bevor er eine berühmte Figur auf dem Bildschirm wurde. Er verliess die Theaterbühne deswegen aber nie. Zurzeit realisiert er zusammen mit anderen bekannten Schweizer Kabarettisten ein anderes Projekt: das «Comedy House» im alten Casino von Winterthur, das zu einem Zentrum für das Genre in deutscher Sprache werden soll.

Ein Film ohne Ecken und Kanten

Seit Donnerstag sind jetzt alle Augen auf den Film «Ernstfall in Havanna» gerichtet. Es ist die Geschichte eines zweitrangigen Schweizer Diplomaten, der zwar ehrgeizig, aber doch unbeholfen ist. Botschaftsrat Stefan Balsiger (Viktor Giacobbo) führt in Abwesenheit des Botschafters einen amerikanischen Senator ins Nachtleben von Havanna ein und löst schliesslich eine zweite Kuba-Krise aus, an der ein faszinierendes Zimmermädchen, CNN, die kubanische Polizei, der Schweizer Aussenminister und der amerikanische Präsident beteiligt sind.

Eine Geschichte, die für alle Leute in der Schweiz, die jeglichen direkten Kontakt mit der grossen Politik meiden wollen, ein echter Alptraum wäre. Allerdings beisst die Satire im Film nie richtig, das Bild der Schweiz gleicht einem etwas schläfrigen, rückständigen, aber dennoch sympathischen Land; einem Land, das in jedem Fall sympathischer ist als die Grossmacht USA oder gar das totalitäre Kuba.

«Ernstfall in Havanna» tut niemandem weh – ganz im Gegensatz zu seinem Vorbild «Die Schweizermacher». Dieser Film thematisierte die schweizerische Immigrationspolitik, und Regisseur Rolf Lyssi erhielt schwere Drohungen von Seiten der extremen Rechten. Bei «Ernstfall in Havanna» können sich Rechte wie Linke mit dem Diplomaten Balsiger identifizieren, mit seiner unbeabsichtigten und typisch schweizerischen Revolte gegen die nationalen und internationalen Eliten. Der Erfolg des Films liegt also auf der Hand…

Andrea Tognina

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