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Eine Stadt klagt gegen die Banken

Vom Drogendealer zum Makler: Keith Taylor in "Cleveland versus Wall Street". Saga Production

Eine Stadt im amerikanischen Bundesstaat Ohio tut, was sich Millionen von Menschen nach der Finanzkrise wünschen: Das kleine Cleveland klagt gegen die Banken - jedenfalls im Film"Cleveland vs. Wall Street - Mais mit dä Bänkeler" von Jean-Stéphane Bron.

Angeklagt sind insgesamt 21 Banken – darunter auch die Schweizer Grossbank Credit Suisse. Cleveland macht Wall Street für die Subprime-Krise und die Tausenden von Häuser-Zwangsversteigerungen verantwortlich.

Dieser Prozess hat in der Realität nie stattgefunden, die Anwälte der Banken haben ihn verhindert. Das Gerichtsverfahren wird in der Dokufiktion des Westschweizer Regisseurs Jean-Stéphane Bron geführt, der Prozess ist fiktiv – doch alles andere ist real.

Zwangsräumungen mit Pistole

Da ist etwa der Zeuge Robert Kole, der seinen Dienst bei den Hausräumungen quittierte, weil er diese nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Mit der Pistole im Anschlag drang er jeweils in die Häuser der verschuldeten Eigentümer ein, als wären es Schwerverbrecher.

Nachdem er einer 86-jährigen Frau das Zuhause entreissen musste, weil sie die Hypothekarzinsen nicht mehr zahlen konnte, habe er im Auto geweint. Sie hatte versucht, sich in ihrer Panik die Kleider vom Leib zu reissen. «Es hätte meine Grossmutter sein können», sagt Cole vor Gericht.

Vom Drogendealer zum Makler

Ein weiterer Zeuge ist Keith Taylor, der vom Drogendealer zum Makler wurde. Zu seiner Arbeit als Makler sei er gekommen, als er dem Boss eines Immobilienbüros Drogen vorbeibrachte. Als Dealer habe er sich etwas mit Geldgeschäften ausgekannt, wie er sagt.

Je höher der abgeschlossene Kredit, desto mehr Geld habe für die Makler herausgeschaut, wobei Subprime-Kredite wegen der horrenden Zinsen am lukrativsten waren, erklärt Taylor das System. Da sei auch schon mal bei den Lohnangaben der Kreditsteller geschummelt worden.

Dass die Menschen in den Ghettos von Cleveland plötzlich so gut verdienten, darüber hätten sich weder die Kreditinstitute noch die Banken gewundert. «Sie foutierten sich darum», so Taylor. Die Banken hätten die Augen geschlossen, weil mit dem Subprime-Geschäft fette Gewinne winkten. Dies führte in Cleveland dazu, dass Leute Kredite für bis zu 20 Häuser aufnehmen konnten, obwohl sie keinen Job hatten.

Wenn der Makler an die Tür klopft

Frederick Kushen und Raymond Velez, deren Haus zwangsversteigert wird, sagen ebenfalls vor Gericht aus. Kushen, der als Hausmeister arbeitet, hat keine Ahnung, wo er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Zukunft unterkommen wird. Auch die Zukunft von Bauarbeiter Velez und seiner Familie ist alles andere als gesichert.

Bei beiden hatten eines Tages Makler an die Tür geklopft und ihnen ein «Produkt» angeboten. Dass es sich dabei um Subprime-Kredite handelte, für die sie als finanzschwache Personen mit rund 8,5% fast doppelt so hohe Zinsen bezahlten als bei herkömmlichen Hypotheken wussten sie nicht.

So schlug der Makler Velez einen Kredit von 40’000 Dollar vor. Velez nahm diesen auf und erhielt später problemlos einen zweiten Kredit für 71’000 Dollar. Das einst für 26’000 Dollar gekaufte Haus wurde vom Makler auf 71’5000 Dollar geschätzt, obwohl Velez weder einen Tennis-Platz noch ein Whirlpool gebaut, sondern lediglich die Wände neu gestrichen hatte.

20’000 Familien verloren ihr Haus

Während zahlreiche Staaten ihre Banken mit Rettungspaketen in Milliardenhöhe unterstützten, bleiben die Menschen, die in Folge der Subprime-Krise ihr Hab und Gut verloren und immer noch verlieren, auf sich gestellt.

In Cleveland haben über 20’000 Familien ihre Häuser verloren. Betroffen sind vor allem die armen Quartiere im Osten der Stadt wie etwa Slavic Village, das als «Ground Zero» der Subprime-Krise gilt.

Cleveland ist heute eine Geisterstadt, verlassen, verwüstet und unheimlich: Die Türen der Einfamilienhäuser sind mit Holz verbarrikadiert, überall zerbrochene Fensterscheiben und Graffiti, die Gärten, Veranden und Strassen sind menschenleer – es ist als seien die Menschen vor einer Katastrophe geflüchtet.

Die Quartiere wurden von Gangs in Beschlag genommen, die Kriminalitätsrate in Cleveland stieg. Stadt und Steuerzahler zahlen alljährlich Millionen von Dollar für die Pflege, die Verbarrikadierung und den Abriss der verwaisten Häuser.

«Quartiere geplündert»

Für das Jury-Mitglied Barbara Anderson, die sich in der Organisation «Empowering and Streghtening Ohio’s People» mit Aktionen in den Banken für die Hauseigentümer engagiert, ist klar: «Es war geplant, sich auf dem Rücken der Schwarzen, der Minderheiten, der Armen und der alten Menschen zu bereichern», sagt sie. Die Millionen-Boni der Bank-Manager basierten auf deren Unglück, so die schwarze Frau.

Das System habe sich gezielt an die Leute der Unterschicht gerichtet, die sich mit Finanzen nicht auskannten, so ein anderes Jury-Mitglied. «Sie haben unsere armen Quartiere geplündert», sagt Jim Gallagher, der ebenfalls der Jury angehört.

«Nicht schuldig!» Das Urteil fällt am Schluss trotzdem zu Gunsten von Wall Street aus: Die Jury folgt der Argumentation des Bankenanwalts Keith Fisher und nicht Josh Cohen, dem Anwalt der Stadt- für die Verurteilung der Banken fehlt eine Stimme.

Für Fisher sind die Betroffenen selbst Schuld an ihrem Los. Sie hätten einfach mehr haben wollen, als sie sich leisten konnten – wie Kinder, die ein Spielzeug wollen, dass sie nicht haben können.

Man könne Wall Street nicht anklagen, nur weil die Banken so hohe Gewinne machten – auch wenn man natürlich gerne die Erfolgreichen und Reichen ins Visier nehme.

Die Opfer der Zwangsversteigerungen sind die Dummen: Ihnen wird vorgeworfen, dass sie den «American Dream» verwirklichen wollten, der ihnen in Form von Subprime-Krediten zum Greifen nah auf dem Silbertablett präsentiert wurde.

«Bezahlter Preis zu hoch»

Der Film endet nicht im Gerichtssaal, sondern mit US-Präsident Barack Obama. «Wir werden das ändern!», verspricht er den Menschen in einer Fernsehshow.

Die Menschen in Cleveland zeigten, dass man gegen das übermächtige Finanzsystem auf demokratische Weise Widerstand leisten könne , sagt Jean-Stéphane Bron gegenüber swissinfo.ch. Ein System dessen konkrete Folgen und Interdependenzen – wie etwa die Verbindung zwischen Zürich und Wall Street, Credit Suisse und Cleveland – im Film veranschaulicht würden.

Für Bron – der ursrpünglich einen Film über die Schweizer Grossbank UBS machen wollte, aber nicht in die Welt der Banker vorstossen konnte – ist denn auch die entscheidende Frage: «Wird die Gesellschaft wieder die Kontrolle über die wirtschaftliche Macht übernehmen, die fast schon religiöse Züge angenommen hat?»

Er hoffe, dass der Film eine Debatte über neue Wirtschaftsformen auslöst. «Denn der Preis, den wir bezahlten, ist zu hoch», so Bron.

Corinne Buchser, swissinfo.ch

Der 1969 in Lausanne geborene Jean-Stéphane Bron studierte an der Ecole cantonale d’Art in Lausanne (ECAL).

Nach «Connu de nos services» (1997) über den Fichenskandal und «La bonne conduite» (1999) über Begegnungen von Menschen unterschiedlicher Nationalität im Fahrschulauto realisierte er den Kinofilm «Mais im Bundeshuus – Le génie helvétique» (2003), der in der Schweiz einen grossen Erfolg feierte.

Seine Dokumentarfilme erhielten in Europa und in den USA mehrere Auszeichnungen, darunter den Preis Original Vision der New York Times.

2006 realisierte er mit «Mon frère se marie» seinen ersten Spielfilm.

«Cleveland versus Wall Street» war im Mai im Rahmen der Quinzaine des Réalisateurs am Filmfestival in Cannes uraufgeführt worden.

Der Film hat in Frankreich ein riesiges Medienecho ausgelöst. Das französische Kinopublikum stürmt die Säle.

In den französischen Medien wird immer wieder die intellektuelle Aufrichtigkeit von Jean-Stéphane Bron unterstrichen: Er hat es gewagt, die Mittel des Kinos einzusetzen, wo die Justiz versagt; er bringt Licht in die Vorgänge, die zur Vertreibung von 20’000 Familien aus ihren Häusern geführt haben; und er stellt die Opfer der finanziellen Machenschaften der Banken ins Zentrum.

Der Dokumentarfilm startet am 9. September in den Deutschschweizer Kinos und am 15. September in der Romandie.

Die Aktionärsinteressen-Vertreterin Actares hat «rund hundert» klagewillige UBS-Aktionäre auf ihre Seite gezogen. Um frühere Top-Banker wie Marcel Ospel oder Peter Kurer vor Gericht zu bringen, braucht die Gruppe aber noch einen potenten Geldgeber.

Actares führe Gespräche mit Institutionen wie Pensionskassen, sagte der Direktor der Organisation, Roby Tschopp. Je mehr Zeit aber verstreiche, desto schwieriger werde eine Klage, sagte er gegenüber Nachrichtenagentur SDA.

Actares trommelt zusammen mit dem Brüsseler Investorendienstleister Deminor seit Ende Juni unzufriedene UBS- Aktionäre zusammen, um die ziemlich sicher hohen Kosten für eine Klage decken zu können. Eine erste Frist, die sie sich bis zum 15. August gesetzt hatten, verstrich wegen mangelnder Unterstützung durch institutionelle Anleger ohne Ergebnis.

Nun setzt sich die Organisation eine neue Frist bis zum 15. September, um die grösseren Anleger doch noch ins Boot zu holen. Die Zeit drängt: Nachdem die UBS-Aktionäre an der Generalversammlung im April der Bank-Führung für 2008 und 2009 die Décharge (Entlastung) erteilt hatten, müssten die Aktonäre bis zum 15. Oktober handeln.

«Falls wir keinen Erfolg haben, überlegen wir uns, auf Basis des Jahres 2007 zu handeln», sagte Tschopp. Für jenes Jahr, das der UBS die ersten Milliardenverluste wegen der US-Hypothekenkrise einbrockte, haben die obersten Verantwortlichen im April keine Décharge erhalten. Damals war Marcel Ospel oberster Chef der UBS.

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