Flüchtlingshilfe kritisiert Asyl-Föderalismus
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe fordert eine einheitliche Härtefälle-Regelung in der Schweizer Asylpolitik. Die unterschiedliche Praxis der Kantone führe zu Ungerechtigkeiten gegenüber Asylsuchenden, die sich illegal im Land aufhalten.
Unter dem seit 2007 geltenden Gesetz haben die 26 Kantone der Schweiz eine weitgehende Autonomie im Umgang mit «illegalen» Personen – unter ihnen auch bereits abgelehnte Asylsuchende. So können die Kantone ihnen eine temporäre Aufenthaltsbewilligung erteilen, statt sie auszuweisen.
Ein Asylsuchender, der mindestens fünf Jahre in der Schweiz gelebt hat, seine Integration nachweisen kann, und genügend Geld zum Leben verdient, kann auf eine Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen hoffen. Dabei darf eine Rückkehr in sein Ursprungsland nicht zumutbar sein.
Eine Untersuchung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) zeigt, dass sich wegen des grossen Ermessensspielraums der kantonalen Behörden bei der Anwendung des Gesetzes schweizweit sehr grosse Unterschiede gibt. Der «Haken» daran: Der Asylsuchende kann sich den Kanton, in dem sein Gesuch bearbeitet wird, nicht aussuchen.
«Härtefall-Lotterie»
Die Asylsuchenden werden den Kantonen also zugewiesen. Bereits beim Gesetzgebungsprozess habe seine Organisation davor gewarnt, dass diese Bestimmung zu einer «Härtefall-Lotterie» führen werde, sagte SFH-Generalsekretär Beat Meiner am Dienstag in Bern.
Die SFH fordert deshalb eine einheitliche Praxis – und zwar nach dem liberalen Vorbild der Westschweiz. Der Bund ist daran, eine Weisung an die Kantone vorzubereiten.
Laut Flüchtlingshilfe spalten sich die Kantone in zwei Lager: Einige würden die Härtefallbestimmung als Chance sehen, um bereits gut integrierten Menschen eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.
Andere Kantone würden die Auffassung vertreten, dass abgewiesene Asylsuchende, welche sich illegal in der Schweiz aufhielten und einer Wegweisungsaufforderung nicht nachkommen, nicht mit der Vergabe des Bleiberechts belohnt werden dürften.
Waadt: 500 Bewilligungen, Zürich 15
Die unterschiedliche Anwendung zeigt sich gemäss SFH auch in den Statistiken: Demnach wurden in den beiden Jahren seit dem Inkrafttreten der Regelung im Kanton Waadt über 500 Gesuche bewilligt, im Kanton Zürich nur deren 15.
Die unterschiedliche Anwendung sei einerseits auf eine Kann-Formulierung im Gesetz zurückzuführen, sagte Thomas Baur, der Verfasser des Berichtes. Zudem wies er auf unbestimmte Rechtsbegriffe in Zusammenhang mit der Bestimmung hin.
Die Flüchtlingshilfe fordert nun eine Angleichung der Praxis. Gegen einen ablehnenden Entscheid des Kantons soll Beschwerde erhoben werden können. Heute steht dem Antragssteller kein Rechtsmittel zur Verfügung.
Weiter soll in allen Kantonen eine Härtefallkommission eingesetzt werden, in der auch Integrationsfachleute Einsitz haben.
In welche Richtung die Angleichung gehen soll, ist für die SFH klar: «Die lösungsorientierte Haltung soll zum Durchbruch kommen», fordert Meiner.
Wenn jemand keinen legalen Status bekomme, kehre er trotzdem nicht in seine Heimat zurück und lebe hier unter prekären Bedingungen. Dies sei für die gesamte Gesellschaft von Nachteil.
Mehr NGO-Vertreter in den Kommissionen
Laut Baur ist in Zürich zusätzlich der Besitz eines Passes Vorbedingung für eine Bewilligung.
Andere Kantone hingegen würden es den Kandidaten erlauben, ihren Pass später nachzuliefern.
Baur bemängelte das Fehlen einer Rekurs-Kommission. «Es ist alarmierend, dass abgewiesene Asylsuchende keine Rekurs-Möglichkeiten gegen den Entscheid der Kantonsbehörden besitzen.»
Die SFH fordert nun den Aufbau von Beratungs-Kommissionen, in denen auch Vertreter der Zivilgesellschaft sitzen. Diese sollten die Behörden unterstützen. Bisher verfügten nur vier von 26 Kantonen solche Experten-Panels.
Auch Meiner sieht grossen Bedarf für Rekurs-Instanzen. Diese könnten mögliche behördliche Fehlentscheide einschränken, wenn über Bewilligungen aus humanitären Gründen verfügt werde.
Proteste in Zürich
In vergangenen Dezember hatten rund 150 abgewiesene Asylsuchende in einer Kirche in Zürich gegen die behördliche praktizierte Willkür protestiert. Sie bemängelten, dass Zürich bei Härtefällen restriktiver mit Bewilligungen umgehe als andere Kantone.
In einem weiteren bekannten Fall erhielt ein abgewiesener Asylsuchender aus dem Irak den Bescheid, das Land verlassen zu müssen. Er wurde verhaftet und sollte nach Schweden ausgewiesen werden, wo er erstmals um Asyl gebeten hatte.
Diese Politik steht im Einklang mit der Europäischen Union. Nur stellen Juristen fest, dass der 24-Jährige bereits in Schweden einen abschlägigen Bescheid erhalten habe. Er riskiere also bei einer Rückführung in den Irak sein Leben.
Der Iraker spielte in einem kürzlich produzierten Dokumentarfilm zum Thema der Schweizer Flüchtlingspolitik die Hauptrolle. Hilfsorganistionen sind der Meinung, es handle sich bei ihm um einen bewilligungswürdigen Härtefall, auch wenn er noch keine fünf Jahre im Land verbracht habe.
swissinfo, Urs Geiser und Agenturen
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)
Laut dem Bundesamt für Migration (BfM) wurden im vergangenen Jahr rund 16’600 Asylgesuche gestellt. Das bedeutet eine Zunahme von 53% gegenüber 2007.
Die meisten Flüchtlinge stammten aus Eritrea, gefolgt von jenen aus Somalia.
Die grösste Zunahme gegenüber dem Vorjahr erfolgte bei den Nigerianern, Irakern und srilankischen Flüchtlingen.
Ende 2008 blieben laut den Behörden immer noch 12’700 Gesuche unbearbeitet.
Das Bundesamt für Migration hat inzwischen bereits eine Härtefallweisung erarbeitet und in die Vernehmlassung geschickt. Sie soll im Mai oder Juni in Kraft treten.
Derzeit werden die Antworten aus den Kantonen ausgewertet, sagte BfM-Sprecher Jonas Montani. In der Weisung werden die Härtefall-Kriterien genauer umschrieben.
Die Kompetenz zur Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen bleibe aber bei den Kantonen, betont Montani. Dies habe der Gesetzgeber so gewollt.
Montani weist zudem darauf hin, dass die kantonalen Unterschiede nicht allein auf die Interpretation der Kriterien zurückzuführen seien. In manchen Kantonen seien Wegweisungen nicht vollzogen worden, so dass es nun mehr potenzielle Härtefälle gebe.
(Quelle: InfoSüd)
Im Sommer 2008 lebten in der Schweiz knapp 17’000 abgewiesene Asylsuchende, die vom Sozialhilfestopp betroffen waren.
Gemäss Angaben der Kantone bezogen von ihnen rund 3500 Personen Nothilfe.
Es ist nicht bekannt, ob die übrigen rund 13’500 Menschen die Schweiz verlassen haben oder als Sans-Papiers weiter im Land leben.
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