Genf wirbt mit Roadshow in eigener Sache
Vor 200 Jahren ist Genf der Eidgenossenschaft beigetreten. Der Westschweizer Kanton markiert das Jubiläum mit einer Bustour durch die Schweiz. Die Roadshow hat auch zum Ziel, manche Vorurteile abzubauen. swissinfo.ch hat in Luzern einen Augenschein genommen.
An einem klaren Tag geniesst man vom KKL in Luzern, dem berühmten Kultur- und Kongresszentrum neben dem Bahnhof, einen herrlichen Blick über die Stadt, den Vierwaldstädtersee und die nahen schneebedeckten Berge. Heute ist es leicht bewölkt. Und ein ganz anderes Panorama tut sich unter dem gewaltigen KKL-Dach auf. Es ist Genf mit seinem See und seiner Umgebung, aber nur als Bild, das der Schweizer Künstler Zep auf die Breitseite eines grossen Busses aufgemalt hat.
Luzern im Herzen der Schweiz ist der jüngste Halt in einer ehrgeizigen PR-Offensive des Kantons Genf. Es sind hauptsächlich private Sponsoren, welche die 2 Millionen Franken aufgebracht haben, um eine zweimonatige Roadshow durch die 26 Kantone der Schweiz zu organisieren. Anlass ist der Beitritt des Kantons Genf zur Eidgenossenschaft vor 200 Jahren, am 19.Mai 1815.
Frühlingsgefühle sind zu spüren, und der Sommer scheint nahe zu sein. Auf einer Seite des Busses kniet ein galanter Genfer vor einer der übergrossen und wunderschönen Dame Helvetia – im Hintergrund sehen wir das Bild eines Genfer Brunnens in Herzform.
«90 Prozent des Kantons Genf grenzt an Frankreich, daher sind viele Schweizer überzeugt, dass wir etwas anders sind. Aber wir wollen zeigen, dass wir zu 100 Prozent Schweizer sind. Und wir wollen uns bedanken für die Hochzeit mit der Eidgenossenschaft, die vor genau 200 Jahren stattfand», sagt Ivan Pictet, Präsident der Fondation pour Genève und Initiator des Projekts «Genf besucht die Schweiz». Pictet war früher Senior Partner der Pictet Private Bank, einer alteingesessenen Privatbank in Genf. «Ohne die Schweiz wäre Genf nicht eine so einzigartige internationale Stadt», sagt er.
Die Organisatoren dieser Roadshow setzen auf einen bescheidenen und zugleich humorvollen Auftritt, indem sie den französischsprachigen Künstler Zep engagiert haben, der auch die Wanderausstellung über Genf entworfen hat. Das Hauptziel der Ausstellung ist vor allem eines: Man will mit den alten Vorurteilen über Genf aufräumen. Beispielsweise mit der weit verbreiteten Meinung, dass die Genfer arrogante Leute seien, die sich mehr für Frankreich als für die Schweiz interessieren, die ihre Staatsfinanzen nicht im Griff haben und sich am liebsten um ihre lokalen Angelegenheiten, die so genannten Genfereien, kümmern.
Diese Vorurteile begleiteten mich auf meinem Besuch durch das deutschsprachige Luzern.
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Was denken Schweizer über Genf?
Doch unter dem Strich schienen die Leute, mit denen ich sprach, eine positive Meinung über Genf zu haben.
Der ehemalige Schweizer Botschafter Luzius Wasescha, Co-Organisator der Roadtour, ist überzeugt, dass es an gegenseitigem Wissen über die Kantone mangelt. «Genf besteht nicht nur aus Banken, der UNO und schönen Brunnen. Genf ist auch ein Kanton mit viel Landwirtschaft – 42 Prozent seines Territoriums wird für Agrarzwecke genutzt», hält er fest.
Der Luzerner Politiker Lukas Gresch-Brunner besucht die Ausstellung und zeigt sich beeindruckt: «Die Ausstellung zeigt, dass Genf für unseren Alltag von grosser Bedeutung ist. In der Deutschen Schweiz erscheint Genf oft sehr weit weg. Das Wort ‹Genferei› kannte ich nicht. Es mag in Genf eine Bedeutung haben, aber hier nicht», so Gresch-Brunner.
Einige Tage vor Luzern hielt der Genfer Show-Bus in Thun. Und dort waren ganz ähnliche Kommentare zu hören. «Ich denke, die Genfer sind offene Menschen. Die Französischsprachigen sind entspannter als wir. Wenn jemand die Sprache kennt, kann man dort sehr gut leben, auch wenn es zu viele Reiche und Ausländer gibt», meinte eine Frau gegenüber dem Radio RTS.
«Die Griechen der Schweiz»
2012 veröffentlichte das rechts-nationale Wochenmagazin «Weltwoche» einen Artikel, in dem es sich über die französische Schweiz und insbesondere Genf als «Griechenland der Schweiz» lustig machte. Der Vorwurf lautete, die Welschen seien faul, trinkfreudig und arm.
Die Organisatoren der Genfer Roadshow wollen mit dieser Art von Vorurteilen und dem Eindruck eines unterentwickelten Kantons endgültig aufräumen. Politiker, Behördenvertreter und Geschäftsleute aus Genf treffen sich zu diesem Zweck mit Partnern der anderen Landesteile. In allen Ortschaften finden Treffen zwischen Genfer Delegationen und lokalen Behörden statt.
Der Genfer Wirtschaftsminister Pierre Maudet wird in Zürich mit Behörden- und Bankvertretern zusammen kommen, um die Eröffnung von Niederlassungen chinesischer Banken in der Schweiz zu thematisieren. In Zug wird es auch Gespräche mit wichtigen Repräsentanten von Rohstoff-Handelsfirmen geben, etwa von Glencore. Genf ist ebenfalls ein wichtiger Standort für den Rohstoff-Handel.
«Wir werden oft als Last gesehen, als Stadt mit vielen internationalen Organisationen und einem Ausländeranteil von 50 Prozent an der Wohnbevölkerung. Doch wir wollen aufzeigen, dass wir einen Beitrag zum Wohlstand in der Schweiz leisten. Wir sind beispielsweise der drittwichtigste Nettozahler in den Finanzausgleich», sagt Pictet.
Ein Eindruck vom «internationalen Genf»
Am Tag des Besuchs in Luzern suchen nur wenige Einheimische den Genfer Bus auf. Einer der Organisatoren macht einen Mangel an Werbung dafür verantwortlich. Doch am Nachmittag kommen mehrere Schülergruppen, um sich unter dem KKL-Dach ein Bild von Genf zu machen oder den Audio-Guides zuzuhören.
«Wofür steht denn WIPO?», fragt ein Schüler seinen Lehrer. Auf den Panels kann man die Antwort finden. Genf ist Standort für 32 internationale Organisationen, darunter die Weltgesundheitsorganisation, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und die wahrscheinlich weniger bekannte Organisation für Geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organization oder eben WIPO). Dieses internationale Genf soll besser bekannt gemacht werden.
«Wir wollen zeigen, dass in Genf getroffene Entscheidungen sich tagtäglich auf Bürger auf der ganzen Welt auswirken, zumindest wenn es um Dinge wie Handel, Arbeit, Gesundheit, Migration oder Menschenrechte geht», betont Pictet.
«Das internationale Genf» weist einen Wert von drei Milliarden Franken im Jahr für den Kanton Genf aus. Und dies will man auf der zweimonatigen Bus-Tour durch die Schweiz in den anderen Kantonen klar machen.
«Der Genfer Sitz der Vereinten Nationen – der Palais des Nations – muss renoviert werden. Das ist ein kostspieliges Unterfangen und wird hauptsächlich von der UNO bezahlt, aber als Standortland müssen wir einen zusätzlichen Effort leisten. Wir müssen die Schweizer Parlamentarier überzeugen, dass sie unsere Anliegen unterstützen, damit Genf eine internationale Plattform bleiben kann. Denn dafür ist Genf weltweit bekannt», sagt Wasescha.
«Viele Parlamentarier sind der Auffassung, dass immer nur für Genf bezahlt wird, aber wir wollen ihnen zeigen, dass ein Teil unseres Einkommens tatsächlich von Genf stammt.»
Beitritt Genfs zur Eidgenossenschaft
1798 eroberten die französischen Revolutionstruppen die Schweiz und implementierten eine Einheitsverfassung. Am 15. April 1798, einen Monat nach der Besetzung Berns, erfolgte die Eroberung Genfs und der Anschluss an Frankreich. Genf blieb – unter dem Schutz von Napoleon Bonaparte -bis 1813 in französischer Hand.
Am 13.Dezember 1813 vertrieben österreichische Truppen die Franzosen. Genf konnte so seine Unabhängigkeit erlangen. Um einer Isolation vorzubeugen, entschloss sich Genf, der Schweizerischen Eidgenossenschaft beizutreten.
Zu diesem Zweck brauchte es eine Neuordnung des Territoriums mit einer Ablösung von Frankreich und einer neuen Verfassung. Die katholischen Deutschschweizer Kantone waren gegenüber dem «protestantischen Rom in der Schweiz» skeptisch eingestellt. Die Kongresse von Wien und Paris zogen dann die Grenzen neu und stimmten einer Gebietsvergrösserung zu. Sieben Gemeinden aus Savoyen und sechs Gemeinden aus der französischen Region Gex wurden Genf zugeschlagen. Die neue Verfassung wurde von den Genfer Bürgern am 14.August 1814 angenommen.
Am 19.Mai 1815 trat Genf offiziell der Schweizer Eidgenossenschaft bei. Die Kantone Wallis und Neuenburg traten ebenfalls in diesem Jahr bei.
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