Globalisierungs-Debatte von Gewalt überschattet
Die Schweizer Zeitungen verurteilen die Gewalt am Rande der Anti-G-8-Demonstrationen. Die massiven Sicherheits-Vorkehrungen werden als gerechtfertigt gesehen.
Kritik wird aber auch am Gipfel laut.
Die gewalttätigen Demonstranten hätten ihre Show erfolgreich durchgezogen, schreibt die Genfer Zeitung LE TEMPS: «Eingeschlagene Schaufensterscheiben, Scharmützel, Angst über der Stadt.»
Beinahe habe es eine kleine Gruppe vermummter Chaoten geschafft, die Anti-G-8-Demos für ihre sinnentleerten Zwecke zu missbrauchen, schreibt die BERNER ZEITUNG. «Den Mächtigen wirds so leicht gemacht. Sie können die politischen Inhalte, um die es eigentlich geht, getrost ignorieren – und die nach Evian geladenen Schwellenländer ungestört mit ein paar schönen Worten abspeisen.»
Hart ins Gericht mit den Randalierern geht der Zürcher TAGES ANZEIGER. Zusammen mit den Schaufenstern in der Genfer Innenstadt sei der Traum zerbrochen, die Hoffnung verloren gegangen, «die Bewegung sei erwachsen und zum ernst zu nehmenden Diskussionspartner geworden».
Fazit des TAGI: «Beim nächsten G-8-Gipfel wird den Bürgern wohl nur noch das Recht bleiben, stumm zu Hause zu sitzen. Der schwarze Block hat mit seiner Gewalt die Bewegung für eine andere, gerechtere Globalisierung zerschlagen.»
Sicherheitsmassnahmen gerechtfertigt
Für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG gibt es «zu viel Auslauf für Rädelsführer». Zwar warnt das Blatt vor einer Ausserkraftsetzung der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit. Das seien Grundrechte.
«Handlungsbedarf besteht gleichwohl», schreibt die NZZ weiter und plädiert für ein härteres Anfassen der Gewalttäter: «Auch Abschreckung darf hier Bestandteil des Arsenals sein.»
Der Einsatz deutscher Polizisten wird nachträglich gerechtfertigt. Die AARGAUER ZEITUNG: «Der Beizug deutscher Polizisten in dieser Ausnahmesituation hat sich bewährt. Weder das Schweizer Image noch die Souveränität des Landes leiden darunter.»
Deutschschweizer Chaoten
Der BLICK glaubt in Sachen G-8-Krawalle an einen Röstigraben: «Blut, Bier und Brände – Zürcher Chaoten randalierten in Genf, Berner Anarchisten schlugen in Lausanne vieles kurz und klein.»
Die Westschweizer Anti-G-8-Aktivisten seien empört, schreibt der BLICK: «Ein paar hundert Gewalttäter haben 100’000 friedliche Demonstranten als Geiseln genommen!»
Unser Planet habe einen grossen Bedarf an politischer Debatte, auch radikaler Art, schreibt die TRIBUNE DE GENEVE. Die «idiotischen Verwüstungen» drohten diese aber zu erdrosseln. Das Blatt warnt davor, Gewalt nach jeder grösseren politischen Manifestation als etwas Normales zu akzeptieren.
Kritik auch an G-8
«Lassen wir uns von den Krawallmachern nicht die Spielregeln diktieren, sondern konzentrieren wir uns auf das Wesentliche», mahnt die Lausanner 24 HEURES. Und das sei eine ernsthafte Debatte über die G-8 wie auch über die grossen Probleme, die unseren Planeten bedrohten. «Mit oder ohne Krawallanten: die G-8 muss sich früher oder später reformieren, wenn sie nicht untergehen will.»
Für die NEUE LUZERNER ZEITUNG sollten vor allem die G-8-Staaten die Lehren aus den gewalttätigen Ereignissen ziehen. «Schliesslich sind sie es, die mit ihren pompös inszenierten Gipfeln die Bühne schaffen für die Antiglobalisierer und ihre gewalttätigen Anhängsel.»
Zwar setzten sich gewalttätige Demonstranten über das Recht hinweg. «Doch am G-8-Gipfel gilt auch eher Macht vor Recht», schreibt die BASLER ZEITUNG. Und die BAZ empfiehlt deshalb der Schweiz, sich an die UNO zu halten.
Für den CORRIERE DEL TICINO sind jene Kritiken «nicht ganz von der Hand zu weisen», die sagen würden, der G-8-Gipfel sei «für nichts».
Noch deutlicher wird der Berner BUND. Bundespräsident Couchepin nenne den G-8-Gipfel ein «Forum», das weltdiplomatisch wichtig sei. «Mit Fug und Recht kann man die G-8-Inszenierung auch für ein Symbol alles dessen halten, was an der Globalisierung verabscheuenswert ist: das Halbseidene, Grossgekotzte, der Bluff und der Pfusch.»
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
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