Hermann Hesse: Das Tessin im Herzen
Hermann Hesse ist der meistgelesene deutschsprachige Autor. Er kam 1919 ins Tessin, als "der komische Deutsche mit dem Strohhut."
Der Literatur-Nobelpreisträger, seit 1924 Schweizer Bürger, lebte 43 Jahre bis zu seinem Tod in Montagnola.
«Hier ist die Sonne intensiver und wärmer, die Berge sind röter, hier wachsen Kastanien, Trauben, Mandeln und Feigen. Die Menschen sind gut, wohlerzogen und freundlich…». So beschrieb Hermann Hesse einmal seine neue Heimat.
Er kommt 1919 im Alter von 42 Jahren nach Montagnola. Die Gegend lässt ihn nicht mehr los: Der «Goldhügel» (collina d’oro) bei Lugano wird sein neues und definitives Zuhause.
«Hesse war von der italienischen Kultur fasziniert, er liebte die Landschaft und die Tessiner als einfache und unaufdringliche Leute», sagt Regina Bucher. Sie ist Direktorin des Museums Hermann Hesse. Es wurde 1997 in Montagnola eröffnet, direkt neben dem ersten Wohnhaus Hesses.
Schubkarren für die Post
«Ich traf ihn erstmals, als ich sechs Jahre alt war: Hesse war gerade nach Montagnola gezogen», erinnert sich Giulio Petrini auf einer CD, auf der Tessiner Zeitzeugen über ihren damaligen Mitbürger erzählen.
Die Jungen im Dorf gaben dem rätselhaften, scheuen und nachdenklichen Neuzuzüger, der auch Bilder malte, den Spitznamen «il paciügon». Die wenig respektvolle Bezeichnung in Tessiner Dialekt bedeutet soviel wie «Wirrkopf» oder «Chaot.»
Nach einigen Jahren wurde Giulio Petrini Posthalter von Montagnola. Und Hesse erhielt als zweiter Schweizer (nach Karl Spitteler) im Jahr 1946 den Nobelpreis für Literatur. 1924 hatte der gebürtige Deutsche die Schweizer Staatsbürgerschaft angenommen.
Literatur-«Popstar» ohne Allüren
«Hesse war eine sehr freundliche und reservierte Person. Aber für mich bedeutete er jede Menge Arbeit! Pakete, Telegramme, stapelweise Briefe. Er erhielt mehr Post als das ganze restliche Dorf zusammen», erinnert sich Petrini.
Das öffentliche Interesse an Hesse wuchs nach dem Nobelpreis von 1946 noch weiter an. Das Postamt musste sogar einen Schubkarren kaufen, um alle Sendungen an Hesse ausliefern zu können.
Hesse beantwortete alle Schreiben (es gibt mehr als 35’000 Briefe von ihm!), aber er hasste allzu viel öffentliche Aufmerksamkeit. Auf der Höhe seiner Karriere liess er am Eingang zu seinem Haus ein Schild befestigen: «Bitte keine Besuche!»
Anfänglich ein Unbekannter
Hesse war sich im Jahr 1919 in einer äussert heiklen Phase seines Lebens nach Montagnola gekommen. Er hatte Streit mit seiner Familie und auch einen Selbstmordversuch hinter sich. Er wohnte ganz einfach, in einer Wohnung ohne Heizung, die zum Komplex der schönen Casa Camuzzi gehörte.
«Anfänglich kannte ihn niemand», sagt Regina Bucher. «Hesse verkaufte seine Aquarelle, schrieb, verbrachte etliche Stunden im Garten und machte lange Spaziergänge.»
Seine Gewohnheit, ausgedehnt und stets zu Fuss durch die Landschaft zu gehen, trug ihm den Spitznamen des «ewigen Wanderers» ein.
Gegen den Krieg
Hesse war ein überzeugter Anti-Nationalsozialist. Wie seine Freunde Thomas Mann und Bertolt Brecht hatte er mit der Publikation von kritischen Artikeln auf den Aufstieg von Adolf Hitler und dessen Partei NSDAP reagiert.
Während des Krieges verhalf er Hunderten von Personen zur Flucht aus Deutschland. Einige beherbergte er in seinem Haus.
Hesse wurde aber nie Mitglied einer Partei. «Er hasste Dogmen und vorgefertigte Anschauungen der Realität», sagt Regina Bucher.
Vielleicht ist es genau diese Unabhängigkeit des Denkens, die Hermann Hesse zum Klassiker werden liess. Nach wie vor ziehen seine Werke junge Leserinnen und Leser aus aller Welt in seinen Bann.
100 Millionen Bücher weltweit
Keine Frage: Hesse beziehungsweise seine Bücher sind Kult geworden. Zum Beispiel die Geschichte von «Siddharta», dem Sohn eines reichen indischen Brahmanen, der inneres Glück und seinen eigenen Lebensweg jenseits von jeglichem Konformismus sucht.
«Hermann Hesse hat es geschafft, universelle, immer gültige Werte zu vermitteln», so die Direktorin des Hesse-Museums. «In einer Gesellschaft, die allen alles verspricht, kann man sich leicht verlieren. Es ist daher wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und ohne Angst den eigenen Weg zu beschreiten», sagt Bucher. Hesse könne dabei behilflich sein.
Die Werke von Hermann Hesse sind in 60 Sprachen übersetzt worden. Die weltweite Auflage hat die Schallmauer von 100 Millionen Büchern überschritten.
swissinfo, Marzio Pescia, Montagnola
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Hermann Hesse ist der meistgelesene und meistverkaufte deutschsprachige Autor.
Die letzten 43 Jahre seines Lebens verbrachte er in Montagnola im Kanton Tessin.
Dort fand er auch seine letzte Ruhestätte.
Hermann Hesse wird am 2.Juli 1877 im süddeutschen Calw geboren.
1919 zieht er nach Montagnola.
Dort schreibt er u. a. die Klassiker «Siddharta», «Narziss und Goldmund», «Steppenwolf» und das «Glasperlenspiel».
1924 wird er Schweizer. Während des Zweiten Weltkriegs verhilft er vielen Juden zur Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland.
1946 erhält Hesse den Nobelpreis für Literatur.
Er stirbt in Montagnola am 9.August 1962.
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