Hermann Hesse fasziniert nachhaltig
Das kleine Hermann-Hesse-Museum in Montagnola im Tessin erweist sich als Publikumsmagnet. Vor allem Gäste aus Deutschland begeben sich in die Schweizer Wahlheimat des Literaturnobelpreisträgers, dessen 50.Todestag im Jahr 2012 begangen wird.
Mit einer Gesamtauflage von über 100 Millionen Exemplaren ist Hermann Hesse (1877-1962) der weltweit meistgelesene deutschsprachige Autor. Hesses Werke wurden in 62 Sprachen übersetzt. Seine Bücher üben weltweit eine anhaltende Faszination aus.
Dieses dauerhafte Interesse spiegelt sich auch im Besucherstrom des kleinen Hesse-Museums in Montagnola. Das Tessiner Dorf nahe Lugano war zum Zufluchtsort für Hesse geworden. Dort lebte der aus Calw (Baden-Württemberg) stammende Schriftsteller über 40 Jahre bis zu seinem Tod.
Das Museum war 1997 auf private Initiative in der Casa Camuzzi, dem ersten Wohnsitz Hesses in Montagnola, eröffnet worden. In der Dauerausstellung finden sich wertvolle Erstausgaben, unter anderem von «Siddartha» und dem «Glasperlenspiel» – bedeutende Werke, die im Tessin entstanden sind.
Patti Smith als Ehrengast
Hesses Schreibmaschine ist ausgestellt, aber auch sein berühmter Strohhut, mit dem er auf seine Ausflüge ging und der zu seinem Markenzeichen wurde. Persönliche Gegenstände sowie zahlreiche Fotos, Bücher und Aquarelle geben einen Eindruck vom Leben des Literaten.
Das Museum wird von einer Stiftung getragen, die neben dem Ausstellungsbetrieb auch zahlreiche Veranstaltungen organisiert, welche sich dem Werk und Leben des Nobelpreisträgers widmen.
Seit einigen Jahren lädt gleich neben dem Museum das Literaturcafé «Boccadoro» zum Verweilen ein. Dort finden Lesungen mit zeitgenössischen Schriftstellern statt. Oder auch Lesungen mit Nachfahren von Hermann Hesse, beispielsweise seiner Enkelin Eva Hesse. Sogar Rocklegende Patti Smith, eine Hesse-Verehrerin, trat an Ostern 2010 dort auf.
Deutsche Mehrheit unter ausländischen Besuchern
Das Museum zählt mittlerweile 16’000 Besucher pro Jahr. Das ist eine stolze Zahl für einen kleinen Ort wie Montagnola. Selbst das Kulturamt Luganos schielt etwas neidisch auf den Erfolg des benachbarten Museo Hesse.
Eine Stichprobenerhebung der Universität Lugano ergab, dass 61 Prozent der Besucher aus dem Ausland stammen, 7 Prozent aus dem Tessin und 32 Prozent aus anderen Kantonen der Schweiz.
Die meisten der ausländischen Gäste stammen aus Deutschland (71 Prozent) und Italien (14 Prozent), die restlichen kommen aus 16 Ländern in aller Welt (vor allem Japan, Südamerika, Osteuropa). Von den Schweizern sind die meisten in Zürich, Basel und Bern zu Hause.
Von Calw nach Montagnola
«Besonders erfreulich ist, dass wir viele wiederkehrende Besucher haben. Viele Deutsche planen ihre Ferien sogar extra im Tessin, um das Hesse-Museum zu besuchen», freut sich Museumsdirektorin Regina Bucher. Dabei gibt es auch kuriose Geschichten. Sie erzählt von einer jungen Deutschen, die zu Fuss von Calw, dem Geburtsort Hesses, nach Montagnola, seinem Sterbeort, gewandert war und eines Tages mit ihrer Gitarre vor dem Museumseingang sass.
Die Beweggründe für einen Besuch des Hesse-Museums oder einen Ausflug nach Montagnola auf den Spuren Hesses – es gibt auch Hesse-Wanderwege – sind natürlich sehr vielfältig. Die Japaner kommen beispielsweise, weil Hesses Erzählung «Unterm Rad» (1906) dort Pflichtstoff in der Schule ist. «Die Japaner lieben auch die Acquarelle Hesses», sagt Bucher.
Die anhaltende Attraktivität von Hesse ergibt sich laut Bucher durch die Themenbereiche «friedvolles Miteinander und Toleranz», die stets grosse Aktualität hätten. Auf individuellerer Ebene fasziniere Hesse und insbesondere «Siddartha» viele Personen, «die an einem Scheidepunkt in ihrem Leben stehen und Entscheide treffen müssen.»
Hans Purmann und Hesse
Das grosse Hesse-Jahr aus Anlass des 50.Todestages im Jahr 2012 steht erst noch bevor. Doch auch 2011 bietet das Hesse-Museum wiederum eine Reihe interessanter Events und Veranstaltungen. So wird das Verhältnis von Hermann Hesse zum bedeutenden Maler Hans Purmann (1880-1966) analysiert, der ab 1944 bis zu seinem Tod in Montagnola lebte.
Dabei kommt es erstmals zu einer Zusammenarbeit zwischen dem Hesse-Museum und dem Kunstmuseum von Mendrisio (Südtessin). In Mendrisio werden 60 seiner schönsten Gemälde ausgestellt und in Montagnola der Freundeskreis um Hermann Hesse thematisiert, zusammen mit einigen ausgewählten Bildern.
Hermann Hesse hat einen beträchtlichen Teil seines Nachlasses der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern überlassen. Dieser wird vom Schweizerischen Literaturarchiv (SLA) verwaltet.
Das SLA ist soeben 20 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass wurde ein neuer Präsentationsraum mit ausgewählten Exponaten geschaffen – der Hesse-Saal. Eine Vitrine ist dem Nachlass von Hermann Hesse gewidmet. Dort sind diverse handschriftliche Briefe und weitere Objekte, wie Brillen, ausgestellt. Auch das Stehpult von Hesse ist zu sehen.
1964 hatten die Erben Hesses die «Hermann-Hesse-Stiftung» mit Sitz in Bern gegründet. Durch Depositumsverträge mit der Deutschen Schiller-Gesellschaft in Marbach am Neckar wie auch der Schweizerischen Landesbibliothek in Bern gelangte der eigentliche Nachlass ins Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar.
Bern erhielt Teile der Bibliothek und Objekte aus dem Eigentum Hesses. Diese Bestände sind durch zahlreiche Schenkungen und Ankäufe massgeblich erweitert worden. Diese Sammlungen, Nachlässe und Einzelerwerbungen sind in einem Inventar vollumfänglich verzeichnet.
Das Hesse-Archiv im LSA ist von Lukas Dettwiler inventarisiert worden und über Internet abrufbar. Enthalten sind mehr als 25’000 Briefe, die an Hermann Hesse geschrieben wurden.
1946: Literaturnobelpreis
1963: Ehrenbürgerschaft in Montagnola
1997: Eröffnung Hesse Museum Montagnola
Jahreseintritte im Museum: 16’000
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