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Hirschhorns «Power Tools» gegen Hodlers «Holzfäller»

swissinfo.ch

"Swiss Made – Präzision und Wahnsinn" heisst die Ausstellung in der deutschen VW-Stadt Wolfsburg zu Schweizer Kunst der letzten 150 Jahre. Sie zeigt, dass die Schweiz nicht nur Uhren und Schokolade produziert.

Der Direktor und Kurator des Wolfsburger Kunstmuseums, der Schweizer Markus Brüderlin, setzt jüngere und ältere Kunstwerke in Dialog.

Die riesigen, mit Klebeband umwickelten Karton-Äxte reichen vom Boden bis an die Decke des Ausstellungsraums. Daneben nackte Puppen, mit Werkzeugen behängt, zwei Nagel-Betten und aus grossen farbigen Lego-Stücken zusammengesetzte Gewehre: Das sind Thomas Hirschhorns «Power Tools».

Als ob er Hodlers «Holzfäller» im gleichen Raum ein für allemal totschlagen möchte, und zwar mit dessen Waffen. Hirschhorn in der Ausstellung «Swiss Made» mit Hodler in Dialog zu setzen, enthält auch politischen Sprengstoff. Als Bindeglied fungiert unsichtbar Bundesrat Christoph Blocher, in dessen Büro ein «Holzfäller» hängt.

Als Blocher 2003 als Vertreter der rechtsbürgerlichen Schweizerischen Volkspartei (SVP) in den Bundesrat gewählt wurde, erklärte der 50-jährige Künstler Thomas Hirschhorn, dass er nicht mehr in der Schweiz ausstellen werde, solange Politiker wie Blocher in der Regierung seien.

Ein Jahr später provozierte er dann im Centre Culturel Suisse den Skandal, der dazu führte, dass der Kulturstiftung Pro Helvetia, die Hirschhorns Ausstellung in Paris unterstützt hatte, das Jahresbudget um eine Million Franken gekürzt wurde.

«Die politische Brisanz ist nicht nur Provokation»

Hirschhorn polarisiert. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum Markus Brüderlin, der Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg und Kurator der Ausstellung «Swiss Made – Präzision und Wahnsinn», den seit langem in Paris lebenden Berner hoch schätzt.

«Er ist ein hervorragender Künstler, der das Publizitätsgefäss, das er aufspannt, auch voll ausfüllt», sagt Brüderlin gegenüber swissinfo. «Die politische Brisanz ist bei ihm nicht nur Provokation, sondern ergibt sich aus der Logik seiner Arbeit. Er ist ein Tutti-Künstler!»

Brüderlin ist begeistert, Hirschhorn in der Ausstellung in Wolfsburg zu haben: «Denn eine Schweiz-Ausstellung ohne Hirschhorn kann man heute eigentlich gar nicht mehr machen, und in der Schweiz ist das wegen seiner Verweigerung im Moment nicht möglich.»

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Pro Helvetia

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia ist eine Stiftung öffentlichen Rechts. Ihr Auftrag: Förderung kultureller Bestrebungen von gesamtschweizerischem Interesse. Die Stiftung soll Schweizer Kulturschaffenden die bestmöglichen Bedingungen für die Entstehung und Verbreitung ihrer Werke schaffen sowie ihnen im In- und Ausland zu einem überzeugenden Auftritt verhelfen. Ihr Jahresbudget von rund 33 Millionen Franken wird vollumfänglich vom…

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Überraschende Einblicke

Die Ausstellung «Swiss Made» präsentiert aber auch stillere Gegenüberstellungen. Zu Brüderlins Favoriten zählen die auf den Boden des Raums gelegten, grossflächigen Farbtafeln von Adrian Schiess, in deren Glanz sich, unterstützt vom einfallenden Tageslicht, ein weiteres Bild Hodlers spiegelt.

«Thunersee mit Stockhornkette am Abend» aus dem Jahr 1912 ist seinerseits ein Spiegelbild, in dem Hodler die Bergkette auf der Wasseroberfläche im atmosphärischen Spiel von Licht und Farbe in ein unscharf verschwommenes Doppel verwandelt.

Überraschend scheint auf den ersten Blick auch die Kombination von Adolf Wölflis (1864-1930) kosmologisch anmutenden Wahnsinns-Bildern, die aus Kreis, Kreuz und Ellipse konstruiert sind, mit einem pupillenförmigen, grossformatigen Bild Ugo Rondinones, das die Betrachtenden ins Rotieren bringt.

Der 45-jährige Künstler, der dieses Jahr die Schweiz an der Biennale Venedig vertrat, erzielt mit schlichten Farbkreisen einen ähnlich wirkenden Sog wie Wölfli mit seinen ausufernd dahingekritzelten Zeichnungen.

Vom Alpenkamm ins norddeutsche Flachland

Die zweiteilige Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg, die eine Zeitreise durch die Schweizer Kunst beschreibt, stellt jeweils einem Künstler der älteren Generation ein jüngeres Pendant gegenüber. Während die älteren Künstler in beiden Teilen die gleichen bleiben, wurden die jüngeren für den zweiten Teil ausgewechselt.

«Die Schweiz verkauft sich als Kunstnation nicht gut genug», sagt Markus Brüderlin. Dem will er mit «Swiss Made» entgegen treten und in Norddeutschland klar machen, dass die Schweiz nicht nur Käse, Schokolade und Uhren produziere, sondern eines «der lebendigsten und profundesten Kunstzentren der Welt» sei.

«Die Ausstellung ist ein Projekt mit einem gewissen Augenzwinkern, einer leichten Ironie, die zwischen den Leitplanken Präzision und Wahnsinn einen Ball ins Spiel bringt und diesen dem Publikum überlässt», ergänzt Brüderlin.

Ihm persönlich habe die Ausstellung die Möglichkeit gegeben, sein Heimweh zu thematisieren und so gleichsam abzuarbeiten, bekennt der Basler Kurator: «Ich habe mich immer dem Alpenkamm entlang bewegt, und nun auf einmal in dieses freie Feld hinauszutreten, das war schon gewöhnungsbedürftig.»

swissinfo, Susanne Schanda, Wolfsburg

Das Kunstmuseum Wolfsburg in Norddeutschland wurde 1994 eröffnet. Es versteht sich als Forum der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst.

Der Basler Kunstpublizist und Kurator Markus Brüderlin ist seit Anfang 2006 Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg. Zuvor war er Kurator an der Fondation Beyeler in Riehen.

„Swiss Made – Präzision und Wahnsinn» ist eine zweiteilige Ausstellung, die Positionen der Schweizer Kunst von Hodler bis Hirschhorn in dialogischer Gegenüberstellung präsentiert.

Der erste Teil wurde von März bis Juni dieses Jahres gezeigt. Der zweite Teil ist soeben eröffnet worden und noch bis am 21. Oktober 2007 zu sehen.

Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft des Schweizer Botschafters in Berlin, Christian Blickenstorfer, und wird von der Pro Helvetia und der Holler-Stiftung München unterstützt.

Neben Ausstellungen organisiert das Museum auch Führungen, Vorträge, Lesungen und Seminare.

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