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Jungfraubahn bleibt Top of Europe

Alte Postkarte, die den Blick vom Joch auf den Aletschgletscher zeigt. jungfraubahnen.ch

Nur wenige Rekorde bleiben 100 Jahre lang bestehen. Doch die Bahnstation auf dem Jungfraujoch im Berner Oberland ist und bleibt einer: Der höchste Bahnhof in Europa – auch ein Jahrhundert nach der Jungfernfahrt am 1. August 1912.

Im ersten vollen Betriebsjahr, 1913, hatte das Jungfraujoch bereits 42’880 Touristen angezogen. 2011 waren es 765’000, die mit der Bahn bis zum «Top of Europe» fuhren.

An einem warmen Sommertag hat sich auch swissinfo.ch auf den Weg gemacht und sich den zahlreichen Touristengruppen angeschlossen, die mit viel Routine hinauf und wieder hinunter spediert werden – jede halbe Stunde, 48 Minuten pro Weg.

Die Bahnfahrt ist ziemlich gemütlich, denn der Schienenverlauf ist steil und es braucht seine Zeit, um sich dem Höhenunterschied anzupassen. So bezeichnet ein britischer Touristenführer aus dem Jahr 1923, Muirhead’s Switzerland, die Fahrt durch den langen Tunnel (eine halbe Stunde) als «ziemlich mühselig».  

Leider blieb an dem Tag, an dem swissinfo.ch die Fahrt machte, das atemberaubende Panorama, wie es auf der Jungfrau-Website zu sehen ist, von Wolken vernebelt. Was aber gelang, war ein kurzer Blick auf die grosse Fläche des Aletschgletschers: Eindrücklich.

Die Vision eines Mannes

Das Konzept der Jungfraubahn entsprang dem Kopf eines einzigen Mannes, Adolf Guyer-Zeller – auch wenn er die Einweihung nicht mehr selbst miterlebte. Guyer, ein vielgereister Grossindustrieller, liess sich vom Bau des Suez-Kanals in Ägypten inspirieren. Er war derart überzeugt von seiner Idee, dass ein guter Teil seines persönlichen Vermögens in die Bahn einfloss.

Weniger gross war der Lohn, den seine italienischen Arbeiter erhielten: 4,5 Franken pro Tag pro Arbeiter, für die monumentale Aufgabe, die zwischen 1896 und 1912 ausgeführt wurde – bei einer zweijährigen Pause. 30 Arbeiter verloren dabei ihr Leben, weitere 90 wurden verwundet.

Die Männer riskierten Kopf und Kragen. Sie arbeiteten das ganze Jahr durch, um den kurvigen, 7 Kilometer langen Tunnel durch Eiger und Mönch zu graben, um dann schliesslich auf das Jungfraujoch zu gelangen.

Sie sprengten Löcher in die Felswände, um den Aushub wegzuschaffen – dort hält heute die Bahn an, um den Reisenden durch Fenster in der Eigernordwand eine unvergleichliche Aussicht zu ermöglichen.

Eisenbahn-Hype

Die Jungfraubahn wurde während des Eisenbahn-Booms gebaut. Begonnen hatte Guyer-Zeller mit der Rigibahn über dem Vierwaldstättersee, die 1871 fertiggestellt wurde. Auf der Bergstrecke verkehrte die erste Lokomotive in Europa, die mit einem Zahnradsystem versehen war.

«Im ersten Betriebsjahr der Rigibahn wurden bereits 20% der Investitionen in die gesamte Anlage wieder eingefahren», sagt Bahnhistoriker Kilian Elsasser gegenüber swissinfo.ch.

Der Zahnradantrieb war die grosse Idee der Schweizer Eisenbahn-Ingenieure des 19. Jahrhunderts. «Von den bestehenden fünf Zahnradsystemen sind vier von Schweizern erfunden worden», so Elsasser.

«Dank dem Zahnradantrieb kann eine Bahn viel steiler nach oben fahren. Dabei haken sich die Zähne eines Rades unter der Lokomotive in eine Art Schienenleiter in der Mitte der beiden Schienen ein, was viel höhere Steigungen ermöglicht.»

Das Zahnrad eröffnet neue Welten

Diese Technologie ermöglichte den Bahnreisenden zwar eine völlig neue touristische Erfahrung. Gleichzeitig entstand auch ein starker Wettbewerb.

«Im 19. Jahrhundert war es im Tourismus gleich wie heute – es brauchte einen Aufhänger für den Verkauf, einen Selling Point. Nach der ersten Bergbahn in Europa, der Rigibahn, ging es weiter zum nächsten Rekord. So entstand die steilste Bergbahn am Pilatus und darauf die Jungfraubahn – jene mit dem höchsten Bahnhof in Europa, was auch heute noch so ist», sagt Elsasser.  

Der Führer von Muirhead gibt einen Einblick in die Gedanken der Touristen aus jener Zeit. Die Jungfrau-Bahn wird darin als «eine der interessantesten Bergbahnlinien» bezeichnet, weil sie «auch Ungeübte an einen Ort bringt, wo sonst nur Experten unter Bergsteigern hingelangen».

Muirhead schränkt ein, dass zur Fahrt aufs Joch nur dann angeraten werden könne, «wenn das Wetter so ist, dass es mit Sicherheit eine klare Aussicht vom Joch aus erlaubt».

Die Jungfraubahn wurde in Etappen eröffnet, um die Finanzierung zu erleichtern. Das Erreichen der Eigernordwand über einen Tunnel war der erste Schritt. Und bereits 1903 konnten die ersten Touristen von der Eigernordwand-Station aus die spektakuläre Sicht geniessen.

«Destruktive Torheit»

Doch das Legen von Schienen und das Boren von Tunnels in den Alpen für Touristen passte längst nicht allen.

Man müsse dieser destruktiven Torheit ein Ende setzen und das, was von der Schönheit der Alpenlandschaft noch bleibe, für die Nachwelt schützen, schrieben Schweizer Heimatschützer in einer Petition an die Landesregierung. Sie riefen dazu auf, bei der Vergabe von Eisenbahn-Konzessionen vorsichtiger zu sein.

Die Heimatschützer bedauerten damals, «dass bereits so viele Bergbahnen gebaut worden sind»: Wirtschaftlich profitierten nur wenige Leute davon, während diese Bahnen aus ethischer Sicht nicht nur unnütz, sondern sogar schädlich seien. Und der Schweizerische Alpenclub machte sich Sorgen wegen des freien Zutritts für Bergsteiger.

Es war dann aber der Verlauf der Weltgeschichte, der dem Bergbahnen-Boom ein abruptes Ende setzte: Nach dem Ersten Weltkrieg kamen die ausländischen Touristen nicht mehr in die Schweiz zurück, und neue Gästesegmente mussten gefunden werden.

Neue Mittelschichten strebten in Zürich oder Bern auf. Die Bahnen begannen mit dem Verkauf von Familien-Tickets, Wochenend- oder Tagesgäste-Arrangements, sagt Elsasser.

In den vergangenen Jahren hätten auch die Marketing-Bemühungen in Asien eindrückliche Resultate erbracht. Das Jungfraujoch sei inzwischen eine Muss-Attraktion in der Liste dessen, was besonders Inder und Japaner glaubten, sich in der Schweiz ansehen zu müssen.

Beim Bahnhof auf dem Joch finden Besuchende heute verschiedene Restaurants, darunter auch ein indisches. Dazu kommen ein «Eis-Palast» und Snow-Fun-Attraktionen sowie Aussichts-Plattformen und entsprechende Zugangs-Korridore. Gekrönt wird dies alles von der wissenschaftlichen Forschungs- und Wetterstation.

  

Auf der Bahnreise zurück nach unten – fast 1400 Meter Höhenunterschied – werden die Reisenden allesamt vom so genannten «Joch Lag» erfasst: Männer, Frauen und Kinder aller Kontinente fallen auf ihren Bänken in einen Schlaf – vielleicht träumen sie vom ewigen Schnee, Eispalästen und von den Geistern längst verflossener Jungfrau-Besuchenden.

So verpassen die eingeschlafenen Reisenden vielleicht die ultimative Sicht bis hinaus in den deutschen Schwarzwald oder die französischen Vogesen. Doch dafür bringen sie als Beweis ihres Abenteuers ein einzigartiges Dokument mit nach Hause: Den hundertjährigen Jungfraubahn-Pass, der auf 3454 Metern über Meer abgestempelt wird.

Die Jungfraubahn wurde während 16 Jahren gebaut – mehr als zwei Mal so lange als geplant. Sie kostete 15 Mio. Franken, mehr als das Doppelte des ursprünglichen Budgets.

Die 7 Kilometer lange Tunnel beginnt auf 2’300 Metern über Meer am Bahnhof Eigergletscher und endet auf dem Joch auf 3’454 Metern – dem höchsten Bahnhof Europas.   

Die Eröffnung verlief etappenweise. 1903 wurde die Eigennordwand-Station im Tunnel eröffnet, 1905 folgte die Eismeer-Station.

Allein 2011 beförderten die Bahnen 765’000 Touristen aufs Joch.

Die Bahn fährt das ganze Jahr, im Juli 2012 kostete ein Retourticket von Interlaken aus 190 Fr.

Die Joch-Bahnstation umfasst auch einen Eispalast, «Snow Fun»-Attraktionen und Aussichts-Plattformen.

Auf dem Joch befindet sich auch die «Sphinx», die Wetterstation, die dank einem Lift mit der Bahnstation verbunden ist.

Der Zürcher Oberländer Textilmagnat, Financier und Zürcher Politiker holte sich die Inspiration für den Bau der Jungfraubahn während eines Urlaubs mit seiner Tochter im nahe gelegenen Mürren.

Damals, im August 1893, skizzierte der 54-Jährige das Projekt auf Papier.  

Nur vier Monate später gab er eine Konzession für den Bau ein.

Als Sohn eines Baumwoll-Spinnerei-Besitzers reiste Guyer-Zeller als junger Mann nach Frankreich, England, Nordamerika, Ägypten und Palästina. 

Neben dem Textilbereich war er im Eisenbahn-Sektor aktiv. Viel Geld gewann er, als er während des Konjunkturtiefs der 1870er-Jahre günstig Eisenbahn-Aktien kaufte.

Um die 100 Jahre Eisenbahn auf die Jungfrau zu feiern, finden verschiedene Anlässe statt.

Auf dem Joch wird mit geladenen Gästen eine offizielle Zeremonie durchgeführt.

Eine Holzbank der Jungfraubahn reist durch die ganze Welt und wird in Berlin, London, Paris und Asien ausgestellt.

Während der Feier-Woche werden auch Discount-Tickets angeboten.

(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle

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