Jutz, Jodel und Moderne
Das Eidgenössische Jodlerfest ist eröffnet. Organisator ist der Eidgenössische Jodlerverband. Seit 1910 wacht er über ein wesentliches Stück Schweizer Kultur.
Der Eidgenössische Jodlerverband löst allerlei Assoziationen aus. Männiglich sieht die strammen Mannen im Rund aufgestellt, ein Lied singend, das von Heimatklischees nur so strotzt. Andere sehen Fahnenschwinger, welche das Schweizerkreuz in den Himmel werfen oder Alphornbläser, die auf satten Alpen das gottgelobte Land Schweiz samt dem Abendrot in die ewige Glückseligkeit blasen.
Andere wiederum erinnern sich an die Auseinandersetzungen zu Beginn der 90er Jahre, als sich die streitbare «Techno-Jodlerin» Christine Lauterburg und der damalige Jodlerverbands-Präsident Hermann Noser um die Modernisierung im Jodlerverband stritten.
Genüsslich wurde die Kontroverse von den Medien ausgeschlachtet. Hier die tolle Erneuerin, da der erzkonservative Noser und sein Verband. Beides stimmt so nicht. Lauterburg, so wurde seinezeit gemutmasst, sei es weniger um neue Formen im Jodelgesang, als vielmehr um den Verkauf ihrer CD gegangen. Der Verband selber verschliesst sich Neuerungen nicht (mehr) um jeden Preis und hat aus dem «Fall Lauterburg» gelernt.
Das Fest ist ein Wettkampf
«Es stimmt überhaupt nicht, dass wir keine Neuerungen zulassen und uns nicht der Zeit anpassen», erklärt Paul Rudin, der Zentralsekretär des Eidgenössischen Jodlerverbandes gegenüber swissinfo. Aber auch im Schach oder im Fussball würden nicht ständig die Regeln verändert.
Und um Regeln, welche es zu erfüllen gilt, geht es. Zum Beispiel beim Eidgenössischen Jodlerfest, das dieses Jahr zum 25. Mal in Freiburg stattfindet. Mit 12’000 aktiven Teilnehmenden und mit rund 80’000 Besucherinnen und Besuchern.
Ein Jodlerfest, das eigentlich ein Wettkampf ist. Alle Teilnehmenden, sei es ein Jodlerclub, eine Einzeljodlerin oder ein Fahnenschwinger, stellen sich einer strengen Jury, der Vortrag wird bewertet. Seroisität auf der Bühne, Ausgelassenheit in den Zuschauerrängen – anders geht es am Jodlerfest nicht.
Nur ausgebildete Stimmen
«Deshalb braucht es Regeln und Kriterien, die befolgt werden müssen», sagt Rudin. «Wie sonst wollen Sie bewerten?» Ein Jodlerclub, das sind nicht einfach ein paar singfreudige Männer oder Frauen, die gerne ein paar Töne von sich geben wollen. «Das gehört dazu, die Freude am Gesang, an der Musik», sagt Rudin. Damit allein wird man aber nicht an einem «Eidgenössischen» mitsingen dürfen.
Denn um beispielsweise in Freiburg 2002 überhaupt dabei zu sein, brauchte es im Jahr 2000 und 2001 mindestens eine Bewertung «gut» (heute Klasse 2) an einem Unterverbandsfest. Die Klasse 1 – das streben sämtliche Vereine an – (das «sehr gut») gilt als eine recht hohe Hürde.
Wer in einem Spitzenjodlerclub mitsingen will, muss mindestens eine gute Jodel-Ausbildung mitbringen. Nicht jede Stimme ist eine Jodelstimme. Den «Jutz» (womit der Jodel gemeint ist), können sowieso nur geeignete (und nicht selten begnadete) Stimmen übernehmen.
«Ein guter Jodler oder Jodlerin ist ein Spitzenkönner», sagt Rudin. Oft ist er in der Deutschschweiz eine bekannte Persönlichkeit. Gäbe es ein Transfer-Geschäft, man würde Spitzengagen bezahlen.
Vier Kriterien
Am Jodelvortrag werden, so Paul Rudin, vier Bereiche bewertet: «die Tongebung und Aussprache, die Rhythmik und Dynamik, dann die harmonische Reinheit und schlussendlich den Gesamteindruck.» Jeder Verein darf ein Lied vortragen. Das muss von A bis Z sitzen, um die Klasse 1, das «sehr gut» zu erhalten.
Noch 1978 waren nur 14 Sängerinnen und Sänger pro Jodlerclub (Verein) zugelassen. Die Zahl wurde auf heute 22 Mitsingende erhöht.
Neuerungen: Der Markt entscheidet mit
«Das ist jetzt zum Beispiel eine Neuerungen», meint Zentralsekretär Rudin, dass weibliche Fahnenschwingerinnen zugelassen sind. Dass sie Hosen tragen müssen, eine andere.
Weiter sei der Verband verkleinert und schlanke Strukturen eingeführt worden. Kinderchöre dürften am Eidgenössischen mitsingen, um den Nachwuchs zu fördern. Generell aber müsste der Markt Neuerungen akzeptieren. Die Zuhörerinnen und Zuhörer seien oft viel konservativer als es dem Jodlerverband selbst oft nachgesagt werde.
Paul Rudin: «Ich habe Freude an Jodelliedern, die Molltöne aufweisen, doch das Publikum will sie nicht.» Auch die Mär von den grässlichen Texten der Jodellieder, der «Blut und Boden»-Texte, lässt Rudin nicht mehr gelten. «Dr Puureschtand isch nids verachte» oder «dr Liebgott wacht übers Schwizerländli» seien doch vorbei.
«Heute dominieren Texte, die Stimmungen und Befindlichkeiten ausdrücken». Rudin führt die Texte eines Adolf Stähli an, die zu den beliebtesten im Land zählen. Da ist schon mal die AHV (Schweizer Altersversicherung) oder die Frage nach dem Woher und Wohin des Lebens ein Thema.
Viele Jodlerinnen und Jodler kennen auch andere Musikstile. «So ‹uncool› sind wir dann auch nicht», meint Rudin abschliessend. Und den Fehler mit Christine Lauterburg (welche dann aus dem Verband austrat) oder einer Fahnenschwinger-Gruppe aus Italien, die 1996 am Jodlerfest in Thun kurzerhand ausgeladen wurde, werde man sicher nicht mehr wiederholen.
Urs Maurer
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