Klein und Fein – Museum Franz Gertsch
Ende Oktober öffnete das Museum Franz Gertsch in Burgdorf seine Tore. Einer der wichtigsten Schweizer Gegenwartskünstler hat nun ein eigenes Haus.
Der Mäzen Willy Michel machte dem Künstler mit 20 Mio. Franken seinen Traum vom eigenen Museum wahr.
Es geht allen gleich, die erstmals einen Gertsch vor sich haben. Zuerst glaubt man eine übergrosse (ca. 3 x 3m) Fotografie vor sich zu haben. Imposant und gleichzeitig irritierend. Wenig später entdeckt man, dass hier gemalt wurde. Punkt für Punkt, Strich für Strich. Jetzt weicht die Irritation einem grossen Staunen.
Man tritt näher, nimmt wieder Distanz, möchte die Bilder berühren und versinkt langsam in «Silvia I (1998)», oder «Johanna I (1983/84)» einem jener Frauenporträts, die in Burgdorf zu sehen sind. Die Zeit scheint für eine kurze Ewigkeit stehen zu bleiben, das Bild spricht.
Die Langsamkeit
Franz Gertsch entdeckte die Langsamkeit lange bevor die Welt sich anschickte, sich mindestens zeitweise aus der Beschleunigungsspirale auszuklinken. Ab den späten sechziger Jahren beginnt er nach der Projektion fotografischer Vorlagen zu malen. Bald kommen auch grossformatige Holzschnitte hinzu.
Beide Kunstformen tragen gemeinsam die lange Dauer des Entstehungsprozesses in sich. Monat um Monat arbeitet Gertsch jeweils an einem Werk. Die Zeit wird relativ. Wunderbar anzuschauen auch in seinen Holzdrucken. Monumente auf japanischem Papier. Gebannte Natur. So sind Gertsch-Werke nicht nur gross, sondern auch voller Tiefe. Und beides braucht Platz. Viel Platz.
Gelungene Architektur
Dieser Platz ist nun in Burgdorf. Gebaut haben das Museum die Architekten Jörg & Sturm aus Langnau/Bern. Es ist ihr erster Museumsbau, entstanden im Dialog mit Franz Gertsch. Der Bau aus zwei Sichtbeton-Kuben bestehend, hat eine Fläche von rund 1000 Quadratmetern und bereichert Burgdorf auch architektonisch.
Die fünf grosszügigen, weissgetünchten Räume sind unterschiedlich belichtet. Oberlichter, Seitenlichter und Kunstlicht lassen die Werke im richtigen Licht erscheinen, laden ein zu Verweilen und sich einzulassen. Der Bau hebt sich wohltuend aus seiner Umgebung ab, ohne diese jedoch zu bedrängen.
Kulturort Burgdorf
Ein Art-Café sowie die Galerie im Park gehören ebenso dazu. Sie sollen, wie das Museum auch, dazu beitragen: «Einen Kulturort in Burgdorf zu etablieren. Den Altmeister Gertsch ins Zentrum stellt, aber auch Raum für junge Künstler, Lesungen und Musik bietet», wie Musemusdirektor Reinhard Spieler betont.
Denn trotz guter Presse, guten Besucherzahlen und guter Akzeptanz in der Bevölkerung, langfristig wird sich weisen müssen, ob das Privat-Museum Franz Gertsch auf Dauer Bestand hat. Dazu hilft sicher das neuentwickelte Trägermodell. Einerseits der Freundeskreis des Museums, anderseits die angegliederte Galerie. Beide sollen zur Grundfinanzierung der laufenden Kosten beitragen.
Ein Künstler – ein Museum?
Das allein genügt jedoch nicht. Den Besuchenden muss einiges geboten werden, sollen sie ein zweites und drittes Mal nach Burgdorf ins monografische Museum Gertsch reisen. Das Tinguely-Museum in Basel, das Museum Liner in Appenzell, das Kirchner-Museum in Davos, sowie auch das Segantini-Museum in St. Moritz wissen um ebendiese Schwierigkeiten.
Franz Gertsch hat das Seinige dazu beigetragen, indem er seit Jahren viele wichtige Werke nicht mehr verkaufte, die nun gesehen werden können. Diese Werke vermitteln einen umfassenden Überblick über die letzten fünfzehn Jahre seines Schaffens.
Der Mäzen
Nicht unerwähnt bleiben darf jener Mann, der das Burgdorfer Museumswunder erst möglich gemacht hat: Willy Michel. Seines Zeichens durch Insulinpumpen reich gewordener Industrieller aus Burgdorf. Er steuerte 20 Mio. Franken für den Bau des Museums bei. In der Stiftung Willy Michel ist die Sammlung Gertsch aufgehoben, welche momentan fünf grossformatige Gemälde und zwölf Holzschnitte beinhaltet.
Kennen gelernt haben sich der Künstler Gertsch und der Mäzen Michel 1998. Bloss vier Jahre später hat sich Gertsch einen Wunschtraum erfüllt, ist Michel in den erlauchten Kreis der privaten Museumsförderer aufgestiegen, ist der Kanton Bern um ein schönes Museum reicher. Alles rasend schnell für ein Werk der Langsamkeit.
swissinfo, Brigitta Javurek
Franz Gertsch
Geboren am 8. März 1930 im Kt. Bern. Lebt und arbeitet in Rüschegg.
Internationaler Durchbruch an der Dokumenta 5, in Kassel 1972.
Einzellausstellungen in Bern, Zürich, Berlin, Genf, New York, Japan, Frankfurt, Paris.
Gruppenausstellungen an der Biennale, Venedig (1978, 1999), Museum of Modern Art, New York, Biennale Lyon, Biennale Korea.
Museum
Eröffnet: 27. Oktober 2002
Ausstellungsfläche: ca. 1000 m2
Direktor: Dr. Reinhard Spieler
Ab 2003 Wechselausstellungen.
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