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Kloster St. Gallen: Bücher als Medizin für den Geist

stiftsbibliothek.ch

1983 wurden die Stiftsbibliothek und der Stiftsbezirk St. Gallen in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen. Seit mehr als zwölf Jahrhunderten gilt das Benediktinerkloster als eines der wichtigsten Kulturzentren Europas.

Das Kloster St. Gallen ist ein Zentrum für die Kunst und für das Verständnis von über 1200 Jahren Geschichte: eine Stiftsbibliothek mit einer einzigartigen Büchersammlung in einer barocken Umgebung.

Es verwundert deshalb nicht, dass die Benediktinerabtei als eine der ersten Stätten 1983 in das Welterbe der Unesco eingetragen wurde.

«Die Idee, das Stift als Welterbe vorzuschlagen, kam dabei nicht aus St. Gallen, sondern von einigen internationalen Organisationen. Während es heute fast schon zum guten Ton gehört, in dieser Unesco-Liste zu figurieren, wusste man damals noch nicht, was diese Auszeichnung alles an Positivem nach sich zieht», sagt Karl Schmuki, stellvertretender Leiter der Stiftsbibliothek.

In St. Gallen hat man den Wert dieser Auszeichnung vor allem im vergangenen Jahrzehnt gespürt. Damals begannen die Welterbestätten, das öffentliche Interesse zu wecken, und damit auch zahlreiche Touristen aus allen Kontinenten anzulocken.

Die Stadt entstand aus der Abtei

Ohne das Kloster würde wohl auch die Stadt kaum existieren. Oder St. Gallen wäre zumindest im Mittelalter nicht eine der bekannten Kultur- und Wissensstätten geworden. Die Stadt entstand um das Stift herum, und dieses macht heute noch das Herz der Altstadt aus.

Das Kloster entstand im Jahre 621 nach Christus. Der Wandermönch Gallus, ursprünglich aus Irland, liess sich hier nieder und scharte zahlreiche Schüler um sich. 100 Jahre später übernahm der alemannische Priester Otmar die Führung der Gemeinschaft und belebte dieses erste in der Schweiz gegründete Kloster.

Angewandt wurde die Benediktinerregel. Diese sah für die Mönchsgemeinschaft eine tägliche Lektüre vor. So entwickelte sich auch das Sciptorium, die Schreibwerkstätte.

Generationen von Mönchen übten sich hier in der Kunst der Kalligrafie, der Dekoration und dem Einbinden von Büchern. Heute noch finden sich in den grossen Bibliotheken der Welt Manuskripte, die von den sanktgallischen Benediktinern hergestellt wurden.

Um diese Schreibwerkstätte herum entstanden mit der Zeit eine Schule und die Bibliothek. Diese machten aus St. Gallen ein Studienzentrum, wo sich die hellsten Köpfe Europas trafen. Die Blütezeit waren das 9. und 10. Jahrhundert.

Das Stift hinterlässt auch in der Geschichte der Architektur Spuren. Der Plan aus dem 11. Jahrhundert, der die Vergrösserung des Komplexes illustriert, diente der Klosterarchitektur in ganz Europa als Vorbild.

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Welterbe (Unesco)

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Goldgrube an Wissen

Der Klosterkomplex zeugt noch heute von zahlreichen Baustilen. Der aktuelle Bau mit einem grandiosen Barockwerk geht auf das 18. Jahrhundert zurück.

«In so eine Bibliothek liesse man sich gerne ewig einsperren», schrieb 1822 der deutsche Gelehrte Andreas Wilhelm Cramer. Der Lesesaal zählt zu den schönsten Rokoko-Innenbauten der Schweiz: ein harmonisches Zusammenspiel von Säulen, Nischen, Stukkaturen, Dekorationen und Gemälden.

Die Sammlung allein im Lesesaal enthält 30’000 kostbare Werke. Über dem Eingang prangt die griechische Inschrift «Apotheke des Geistes». Ein Aufruf an den benediktinischen Geist, der die Sammlung dieses enormen Wissens während Jahrhunderten ermöglicht hat.

Die gesamte Bibliothek, die zu den zwanzig wichtigsten der Welt zählt, verfügt über rund 160’000 Bücher. Darunter im Manuskriptenkabinett mehr als 400 Handschriften, die über tausend Jahre alt sind.

Von Revolutionen bedrohtes Kulturerbe

«Dass trotz Überfällen, Brandkatastrophen und Kriegen so viele Schätze bis in unsere Zeit überlebt haben, ist kaum zu glauben», sagt Schmuki. Einige Male schleppten die Mönche die Büchersammlung über hunderte von Kilometern bis nach Österreich, weil sie bedroht war.

Zuerst kamen im 10. Jahrhundert Horden aus Ungarn, die Klöster in ganz Europa ausraubten. Dann stürmten während der Reformation 1529 die Bürger das Kloster.

Schliesslich fegte die französische Revolution über das Kloster hinweg: Die Äbte mussten der Auflösung des Klosters 1805 zusehen. Die Bibliothek wurde säkularisiert respektive für weitere Kreise zugänglich.

Die bibliophile Tradition in St. Gallen hat inzwischen auch die technologischen Revolutionen überlebt: In der Internet-Ära ist die Stiftsbibliothek daran, mittelalterliche Texte so zu digitalisieren, dass alle überall auf der Welt an diesen unschätzbaren Kulturwerten teilhaben können.

swissinfo, St. Gallen, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

Das Kloster St. Gallen ist ein perfektes Beispiel einer grossen karolingischen Klosteranlage. Bis zur Säkularisierung 1805 war das Stift St.Gallen seit dem 7. Jahrhundert eines der wichtigsten in Europa.

Die St. Galler Stiftsbibliothek ist eine der ältesten und reichsten der Welt. Sie beherbergt wertvolle Manuskripte, unter anderem den ältesten bekannten Architekturplan, auf Pergament gezeichnet.

Weltkulturerbe:

– Altstadt von Bern (1983)
– Stiftsbezirk St. Gallen (1983)
– Kloster St. Johann von Müstair (1983)
– 3 Burgen und Festungen von Bellinzona (2000)
– Lavaux Weinbergterrassen (2007)
– Rhätische Bahn in der Landschaft Albula/Bernina (2008)

Weltnaturerbe:

– Region Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn (2001)
– Monte San Giorgio (2003)
– Schweizer Tektonikarena Sardona (2008)

Biosphären:

– Biosphäre Entlebuch
– Schweizerischer Nationalpark

Die Unesco ist die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Sie ist eine internationale Organisation und gleichzeitig eine Sonderorganisation der UNO.

Ihr Sitz ist in Paris. Vertreten sind 193 Staaten.

Zu ihren Aufgabengebieten gehört die Förderung von Bildung («Bildung für alle»), Wissenschaft (zwischenstaatliche Zusammenarbeit) und Kultur sowie Kommunikation und Information.

Das «World Heritage Comittee» erfasst und verwaltet das Welterbe der Menschheit.

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