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Sgt. Pepper: Geniestreich oder Kitsch?

Les Beatles présentent Sgt. Pepper
19. Mai 1967: Paul McCartney, Ringo Starr, George Harrison und John Lennon präsentieren ihr neustes Album. Bis heute gingen von "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" weltweit mehr als 32 Millionen Kopien über den Ladentisch. John Downing/Getty Images

Sergeant Pepper wird 50! Sergeant was? Die Schallplatte der Beatles, welche die Rockgeschichte verändert hat. Oder gar jene der Welt. Denken Sie nicht? Kein Problem, es gibt einige, die dieser Meinung sind. Und nicht alle von ihnen sind 1967 geboren.

Warum Links auf Englisch?

In diesem Artikel kommen viele Hyperlinks vor, die auf Künstler und Alben verweisen, die vielleicht nicht alle kennen.

Wir haben uns entschieden, dazu nicht auf Wikipedia zu verlinken, da dieses zu unausgeglichen, oft zu lang und zu seriös daherkommt (schliesslich geht es in diesem Artikel um Rockmusik!). Und die Websites der Bands erschienen uns zu stark aufs Marketing ausgerichtet.

Wir haben uns deshalb entschieden, auf allmusic.comExterner Link zu verlinken, das zwar kein philanthropisches Unternehmen ist, wo aber die Texte korrekt, unterhaltend und gut geschrieben sind, aber… auf Englisch.

«So Sgt. PepperExterner Link took you by surprise», sang John LennonExterner Link 1971 mit offensichtlicher Boshaftigkeit an die Adresse von Paul McCartneyExterner Link. Als ob er nicht gewusst hätte, dass er das Erfolgsalbum vier Jahre zuvor grösstenteils seinem Ex-Bandkollegen zu verdanken hatte.

Uns Sie? Hat Sie dieses Album überrascht, unabhängig davon, wann Sie es für sich entdeckt haben? Wir haben diese Frage unserer Leserschaft über Facebook gestellt. Dass wir von Antworten überschwemmt wurden, wäre übertrieben – tatsächlich kamen die meisten Kommentare über die persönliche Seite des Autors herein.

It was fifty years ago to day

Für Dominique D. war «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band» damals schlicht das «Nonplusultra». Er äussert sich dazu klar und deutlich. Roger hält die Schallplatte für ein «Meisterwerk» und betont, auch auf die Gefahr hin, sich «ständig zu wiederholen»: «Es gab nie etwas Besseres als die BeatlesExterner Link. Punkt.»

«Im Leben eines Musikliebhabers gibt es Schlüsselmomente. Momente, die einen nicht unbehelligt lassen», schreibt Dominique J., der zu jung ist, als dass er die Schallplatte am Veröffentlichungsdatum hätte kaufen können. «Es ist wie bei der klassischen Musik: Hat man einmal gewisse Werke gehört, kann man sich nicht mehr mit einem tieferen künstlerischen Anspruch zufriedengeben. Sgt. Pepper war ein Paukenschlag für mich.»

Auch Olivier P. hat sich erst später von diesem «historischen Album» verführen lassen, «dem ersten, das die Möglichkeiten eines Tonstudios zeigte» [Was damals auf vier Tonspuren beschränkt war, die Red.].

Olivier L., der sich «vielmehr an Jazz als an Rock» interessiert zeigt, gibt ebenfalls zu, dieses Album zu «vergöttern» und die Beatles «auf den Olymp» zu heben, neben Michael JacksonExterner Link, PrinceExterner Link und einigen anderen. «Rock und Pop zusammen; es ist die Mischung, die es ausmacht.»

Any time at all

Das ist alles gut und recht, doch wer bezieht sich heute noch auf Sgt. Pepper’s, nach einem halben Jahrhundert Rock, Hard Rock, Soft-Rock, Pop, Funk, Soul, R & B, Glam, Disco, Punk, After-punk, Novo Punk, Krautrock, Rockabilly, Garage, Grunge, Heavy Metal, Thrash Metal, Death Metal (und andere Arten von Metal), New Wave, Cold Wave, Industrial, Indie, Trip-Hop, Ambient, Electro-Pop (streichen Sie, was Ihnen nicht gefällt)?

Nicht wenige, wie es scheint. Zumindest indirekt, sind doch die Beatles etwas wie der Stamm (die Wurzeln sind älter) des Stammbaums aller Popmusik.

Externer Inhalt

Zum Beispiel Emmanuel: Der Schweizer Autor, Komponist und Interpret lebt in Brasilien. Für ihn ist Sgt. Pepper «eines der zehn wichtigsten Rock-Alben aller Zeiten. Die Beatles haben enorm zur Schönheit der Melodien beigetragen. Und das mit einer immensen Klangfülle: Fanfaren, indische Instrumente, Symphonieorchester, Geräusche; das alles sorgfältig dosiert und immer am richtigen Ort (ihr Produzent George Martin hatte viel dazu beigetragen)».

Dominique J. stösst ins gleiche Horn: «Eine grosse Schallplatte für ein zweitrangiges Genre, ein grosses Durcheinander, ein Laboratorium für technische Experimente und orgiastisch-pionierhafte Kreativität – und wie wichtig es später geworden ist. Wie wohl die Unterhaltungsmusik im dritten Jahrtausend ohne dieses Album tönen würde? Wie viele Musiker haben den Schritt durch die Türe gewagt, welche die Beatles geöffnet hatten?»

Here, there and everywhere

«Eine grosse Schallplatte für ein zweitrangiges Genre, ein grosses Durcheinander, ein Laboratorium für technische Experimente und orgiastisch-pionierhafte Kreativität.»

Die Fab Four aus Liverpool als Wegbereiter? Wer diese Frage stellt, gibt auch gleich die Antwort darauf. Doch es waren nicht die Beatles allein, die alles erfunden haben. Ende der 1960er-Jahre kochte die Suppe des kreativen Rock’n’Rolls auf beiden Seiten des Atlantiks, manchmal unterstützt durch Substanzen, die nicht im Handel erhältlich waren.

Daran erinnert Alain, auch er ein Musiker. Doch auch wenn das Album «eines der einflussreichsten der ganzen Rock-Geschichte und darüber hinaus bleiben wird», markiere 1967 auch das Jahr des ersten Albums von Pink FloydExterner Link, «das den progressiven und psychedelischen Strömungen der 1970er-Jahre Tür und Tor öffnete».

Und die Beatles waren ebenso verschiedenen Einflüssen ausgesetzt. Man denke nur an die künstlerische Rivalität mit den Beach BoysExterner Link, die im Bereich der Gesangsharmonien vielleicht sogar stärker waren. Die Geschichte ist bekannt: Ende 1965 bringt das Album Rubber SoulExterner Link der Briten Brian WilsonExterner Link, die Seele der kalifornischen Band, zur Weissglut.

Dieser bringt im Frühling 1966 Pet SoundsExterner Link heraus, mit überirdischen Melodien, klassischen Instrumenten, bizarren Tönen und Geräuschen. Dieses Album wiederum lässt Paul McCartney die Wand hochgehen, der seine Bandmitglieder dazu drängt, Sgt. Pepper herauszubringen. Sie werden sich vier Monate im Studio aufhalten – ein Novum zu jener Zeit, als ein Album in der Regel innert zwei Tagen aufgenommen wurde.

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Das berühmte Albumcover war fast so schwierig zu bewerkstelligen wie die Musik. Es ist nämlich nicht eine einfache Collage, sondern wurde im Studio aufgebaut und fotografiert. Die Personen im Hintergrund sind Pappfiguren, die Beatles-Wachsfiguren stammen aus Madame Tussauds, die vier Musiker und alle weiteren Objekte sind echt. Michael Ochs Archives/Getty Images

50 Jahre später figuriert Pet Sounds noch immer auf dem zweiten Platz der 500 besten Albums aller Zeiten des Magazins Rolling Stone – hinter Sgt. Pepper. Und das Erbe der Beatles lebt in der Rock- und Popszene weiter. Viele Bands beziehen sich direkt oder indirekt auf sie: Electric Light OrchestraExterner Link, Tears for FearsExterner Link, KlaatuExterner Link, INXSExterner Link, OasisExterner Link natürlich, und sogar QueenExterner Link, aber auch ein gewisser MikaExterner Link, dessen erstes Album 2007 erschien und als neues Sgt. Pepper’s gehandelt wurde.

I don’t want to spoil the party…

…aber es gibt auch Leute, denen das Album nicht gefällt. So sagte Ray Davies, Leadsänger und Komponist der KinksExterner Link (nicht gegenüber swissinfo.ch, aber er sagte es), die Sgt.-Pepper-Periode der Fab Four erinnere ihn an «Disney-Musik und Kinderlieder». Da spielte auch keine Rolle, dass sie von vielen Dingen sangen, die nicht für Kinderohren geeignet sind.

Tatsache ist, dass McCartneys sprichwörtliches Melodiegefühl manchmal an der Grenze des Kitsches vorbeischrammt. Dieser Meinung ist auch Johann – auch er ein Musiker –, der zehn Jahre nach dem Tod von Lennon geboren wurde. «Meiner Meinung nach tönen die Beatles ein wenig wie eine Boygroup, die Sommerhits schreibt, Familiensongs, während die Rolling StonesExterner Link viel mehr Rock’n’Roll sind. Disney-Musik? Ja, aber vergessen wir nicht, dass Disney der Wegbereiter der Zeichentrick-Welle war, wie Sgt. Pepper die moderne Rockwelle losgetreten hat.»

Pierre-François hat «nie verstanden, wie man heute noch für dieses Album schwärmen kann. Es war vielleicht zu seiner Zeit für die Welt des Pop wesentlich, aber von heute aus gesehen erscheint es mir zu süsslich, sprunghaft und etwas flach. Ganz im Gegensatz zu Abbey RoadExterner Link, das zwei Jahre später veröffentlicht wurde».

Orchestre classique sgt. pepper
Paul McCartney dirigiert 41 Musiker des Royal Philarmonic und des London Symphony Orchestra für die Instrumentalpartie von «A Day in the Life». Er bat sie lediglich darum, die tiefste Note ihres Instruments zu spielen und dann über 24 Takte in der von ihnen gewählten Geschwindigkeit zur höchsten Note aufzusteigen. Larry Ellis/Express/Getty Images

Tomorrow never knows

Schliesslich hätten wir auch gerne gewusst, was einige grosse Namen der Musik dazu meinen, die einen Fuss (oder beide) in der Schweiz haben. Es ist aber schwierig, eine Mitteilung an jene zu schicken, die auf dem Olymp thronen, wie Phil Collins, Tina Turner oder sogar Stephan Eicher.

Die Young GodsExterner Link hingegen waren so freundlich, uns im Kollektiv zu antworten. «Eines der gewagtesten Alben der Musikgeschichte. Die vier Beatles in perfekter kreativer Harmonie. Ein Beispiel dafür, was Teamgeist ist und wozu dieser fähig sein kann.»

Bastian BakerExterner Link, der junge Stern am Westschweizer Pophimmel (und nicht nur dort) hingegen erklärt, er fühle sich «nicht sonderlich berührt durch dieses Album», weshalb er uns keinen weiteren Kommentar dazu abgeben wollte.

«All Things Must Pass», sang George HarrisonExterner Link 1970.

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(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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