Libanons Kriegsgeschichte als tragische Farce
Der libanesische Autor, Regisseur und Schauspieler Rabih Mroué präsentierte am Zürcher Theater Spektakel ein Stück, das den alltäglichen Wahnsinn des über 30-jährigen Bürgerkrieges auf der Bühne ad absurdum führt. Ein Höhepunkt des Festivals.
Das Bühnenbild des Theaterstücks «How Nancy wished that everything was an April fool’s joke» ist schlicht und einfach: Eine Frau und drei Männer, darunter auch der Autor, sitzen auf einem zu engen schwarzen Sofa frontal zum Publikum. Über und unter ihnen weisse Flächen für Projektionen.
Während über den Schauspielern martialisch-kitschige Märtyrer-Plakate aus Libanon von 1975 bis heute eingeblendet werden und so die endlose Reihe von Toten und damit gleichzeitig die tragische Geschichte des Landes visuell aufzeigen, erzählen die vier ihr ebenso tragisches Leben und ihren mehrfachen Tod.
Zum Alltag gewordener Wahnsinn
Es gehört zu der bitteren Satire Rabih Mroués, dass die Protagonisten, kaum tot, wieder auferstehen und weiterleben beziehungsweise weiter gegeneinander kämpfen, um dann erneut zu sterben – erschossen, erschlagen, heimlich liquidiert.
Die Fronten verlaufen quer durch die Familien. Heckenschützen und Märtyrer, Gewalt und Tod prägen die Biografien der vier Schauspieler, die sich nach ihrer Auferstehung einer anderen Gruppe anschliessen und immer wieder neue Fronten bilden. Wer gestern ein Freund war, ist heute ein Feind.
Da kämpfen christliche Parteien und ihre Milizen, Phalangisten, Drusen, Kommunisten, Nationalisten, Palästinenser, Hisbollah, Islamischer Jihad und wie sie alle noch heissen gegeneinander oder manchmal zusammen gegen andere. Und dann dringen noch die Israelis und die Syrer ins Land ein. Ein wirres, gewaltsames politisch und konfessionelles Durcheinander. Das einzig Gewisse: Der Tod ist all gegenwärtig. «In zahlreichen Gefechten fand ich den Tod», sagt einer stolz, aber mit resignierter Gestik.
Libanesen müssen sich selber hinterfragen
Setting und Titel des Theaterstücks über die moderne Geschichte Libanons nehmen die orientalische Tradition des Geschichtenerzählens auf. Für Rabih Mroué kein Widerspruch: «Für uns ist das nicht ein ‹altes› Stilmittel», sagt er gegenüber swissinfo. «Wir wollen dem Publikum einfach unsere individuellen Geschichten erzählen, und zwar nicht unsere Heldentaten, sondern unsere Niederlagen.»
Mroué will mit seinem Stück «uns Libanesen selbst anklagen als Verantwortliche für die Bürgerkriege». Natürlich spielten soziale, politische, wirtschaftliche und konfessionelle Gründe eine Rolle, natürlich mischten sich Israel, die USA, Syrien und Iran von aussen ein. Aber: «Wir Libanesen sind selber schuld an allem, weil wir es erlauben, dass andere sich von aussen einmischen.»
Was für ein Libanon?
In der libanesischen Gesellschaft fehle es an Respekt für das Individuum, beklagt Mroué. Der Wert eines Einzelnen messe sich daran, wie viele von der Gegenseite er getötet habe und wofür er gestorben sei. «Wir hören uns nicht zu. Im Alltag spürt man den Hass zwischen den verschiedenen Gemeinschaften, auch in ‹ruhigen› Perioden. Es braucht nur einen kleinen Funken, dann bricht der Bürgerkrieg wieder los.»
Für Mroué lautet die entscheidende Frage: «Welchen Libanon wollen wir Libanesen? Aber bis heute konnten wir uns nicht darauf einigen. Jeder will seinen eigenen Libanon. Das ist der Grund, dass der Krieg immer wieder kommt.» Es habe nie eine richtige Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg 1975-1990 gegeben, man habe den Krieg einfach nicht mehr sehen wollen. «Und jetzt droht ein Neuer. So viele Kriege sind für ein Leben zu viel», sagt Mroué resigniert.
Politisch schärferes Profil
Für den neuen Leiter des Zürcher Theater Spektakels, Sandro Lunin, ist das libanesische Stück einer der Höhepunkte. «Rabih Mroué ist eine der spannendsten Figuren der Performance-Art im Nahen Osten», sagt Lunin gegenüber swissinfo. «Beirut ist eine Stadt, in der viel Neues in der Performance-Kunst passiert ist, es ist der Fokus in diesem Bereich. Mroué hat seine eigene Sprache entwickelt, die ich hoch interessant finde.»
Mroués Stück passt gut ins Konzept des neuen Leiters, der dem Theater Spektakel ein politisch schärferes Profil verleihen will. Von einem Kurswechsel mag Lunin indessen nicht sprechen. «Es gibt einfach Neues und Anderes zu sehen.»
Er bringe seine eigenen Geschichten mit. «Ich habe die letzten zehn Jahre im Schlachthaus-Theater Bern gearbeitet, wo ich mich sehr stark mit dem afrikanischen Kontinent auseinandergesetzt habe, auch mit dem Nahen Osten.» Diese Auseinandersetzung möchte Lunin hier in Zürich weiterführen. «Und gleichzeitig findet auch eine Öffnung statt in Richtung Lateinamerika und Asien.»
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
Der Autor, Regisseur und Schauspieler Rabih Mroué, 1967 in Libanon geboren, kennt seine Heimat nur im Zustand des Krieges. Er gehört zu den bekanntesten Intellektuellen Libanons. Seine Theaterstücke und Performances sind immer wieder an europäischen Festivals zu sehen.
Zu Hause jedoch verfolgt die Zensur seine Arbeit mit Argusaugen. Auch die Aufführung von «How Nancy wished that everything was an April fool’s joke» 2007 in Beirut wurde erst verboten, schliesslich aber, auf Druck der Presse, die Mroué unterstützte, doch erlaubt.
Die Bewilligung zur Aufführung von Theaterstücken erteilt laut Mroué nicht das libanesische Kulturministerium, sondern das Innenministerium, genauer die Polizei. Der libanesische Kulturminister seinerseits setzte sich für Mroués Stück ein.
Das 29. Zürcher Theater Spektakel dauert vom 14. bis 31. August. 45 Stücke, darunter 15 aus der Schweiz, stehen auf dem Spielplan.
Stark vertreten sind auch die südlichen Länder, insbesondere Südafrika, und damit politisch brisante Produktionen über Globalisierung, Klimawandel, Gewalt und Migration.
Seit 1996 vergibt das Theater Spektakel den Förderpreis der Zürcher Kantonalbank ZKB (30’000 Franken) und seit 2001 zudem einen Anerkennungspreis (5000 Franken). Dieses Jahr sind sechs Produktionen für den Förderpreis nominiert worden. Preisverleihung ist am 30. August.
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