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Locarnos Kreuz mit “Submission”

Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm "Submission" des ermordeten niederländischen Filmemachers Theo van Gogh. Filmstill

Der islamkritische Film "Submission" des ermordeten niederländischen Filmemachers Theo van Gogh läuft nicht am Filmfestival 2005 in Locarno.

Das Nein von Festivaldirektorin Bignardi wirbelt einigen Staub auf.

An der Generalversammlung des Filmfestivals in Locarno erneuerte Festivaldirektorin Irene Bignardi diese Woche ihre Aussage, dass der Kurzfilm “Submission” nicht auf der Piazza Grande von Locarno gezeigt wird.

Im Dezember hatten fünf Tessiner Kantonspolitiker der Rechten in einem offenen Brief verlangt, dass der Film des von einem islamistischen Extremisten ermordeten Theo van Gogh ins Programm aufgenommen werde.

Damit solle Locarno ein Zeichen gegen Intoleranz und Extremismus setzen. Der Film “Submission” thematisiert die Rolle der Frau im Islam und prangert Misshandlungen einer jungen Frau durch ihren Ehemann und einen Onkel an.

Der Film ist wie ein langes Gebet der misshandelten, verschleierten Frau. Dabei schreckt er vor starken Sequenzen nicht zurück. So ist ein unter anderem ein nackter, mit Koranversen beschriebener Frauenrücken zu sehen, der von Folterspuren gekennzeichnet ist.

Sicherheit der Zuschauer garantieren

Schon letzte Woche hatte Bignardi wissen lassen, dass der Film unmöglich gezeigt werden könne, da der Produzent den elfminütigen Streifen aus Sicherheitsgründen vorerst vom Markt genommen habe. Deswegen sei das Werk auch vom Filmfestival in Rotterdam zurückgezogen worden.

Für Locarno verhielte es sich nicht anders. Die Sicherheit von möglicherweise 7000 Zuschauern auf der Piazza Grande könne nicht garantiert werden.

Diese Begründung Bignardis stiess einigen Politikern, aber auch Kulturschaffenden sauer auf. Auf diese Art und Weise lasse sich das Filmfestival von Locarno durch islamistische Extremisten erpressen, hiess es in diversen Stellungnahmen.

Die angesehene italienische Tageszeitung “Corriere della Sera” lancierte eine Debatte über die Freiheit der Kunst und die Grenzen der Einschüchterung. Ein italienischer Abgeordneter der Linken schlug vor, den Film wenigstens im Parlament als “Zeichen der Freiheit” zu zeigen.

Warten auf Lageberuhigung

Für Bignardi sind diese Diskussionen rein theoretischer Natur, solang der Produzent das Werk nicht frei gibt. Und dieser, Gijs Van de Westerlaken, äusserte sich im “Corriere della Sera” explizit zu den Gefahren einer Ausstrahlung, nicht nur für ihn als Produzenten, sondern auch für alle anderen Mitarbeiter. Er erinnerte daran, dass etwa eine Japanerin, die die Satanischen Verse von Salman Rushdie übersetzte, ermordet worden sei.

Von de Westerlaken verteidigte seinen Entscheid, auch wenn er eine “grosse Ungerechtigkeit” darstelle. Allerdings präzisierte er inzwischen, dass der Film je nach Kontext durchaus gezeigt werden könne, wenn “sich die Lage etwas beruhigt hat”. Der Film dürfe auch dann nur in einem kleinen Rahmen gezeigt werden und müsse entsprechend ins Programm eingebettet sein.

Für Locarnos Festivaldirektorin Bignardi ist die Debatte vorläufig beendet. “Ein grosses Theater, mit dem wir nur viel Zeit verloren haben”, wie sie meint. Auch ohne “Submission” garantiert das Festival die Meinungsfreiheit – unter anderem in der Sektion über Menschenrechte.

“Zeichen der Freiheit”

Trotz dieser Erklärung hat die Diskussion in Locarno einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Denn es entstand der Eindruck, dass Locarno nie wirklich interessiert war, das Werk zu zeigen. Zumindest wurden keine Alternativen zu einer Piazza-Aufführung gesucht. Und auch ein direkter Kontakt zum Verleiher kam nicht zustande. Festivaldirektorin Bignardi hat sich den kurzen Streifen zudem nie angeschaut, obwohl er auf Internet zugänglich ist.

Der Tessiner Regierungsrat Marco Borradori (Lega) bedauerte in einer persönlichen Stellungnahme diese Entwicklung. Es sei bitter, wenn man aus Angst vor Attentaten oder Ausschreitungen auf Filmvorführung verzichte. Er schlug vor, den Film im Rahm einer Diskussionsrunde zu zeigen und Vertreter des Islams einzuladen: “Das wäre ein Zeichen grosser Freiheit.”

swissinfo, Gerhard Lob, Locarno

2. November 2004: Der niederländische Regisseur Theo van Gogh wird auf offener Strasse ermordet. Ein verhafteter Marokkaner gibt als Tatmotiv an, den Regisseur wegen seines Films “Submission” bestrafen zu wollen, da er muslimische Frauen verunglimpfe.

Dezember 2004: Fünf Tessiner Politiker fordern das Internationale Filmfestival Locarno auf, “Submission” als Zeichen der Toleranz am Festival 2005 zu zeigen.

8. April 2005: Filmfestivaldirektorin Irene Bignardi erklärt, “Submission” könne aus Sicherheitsgründen nicht gezeigt werden. Der Verleiher habe den Streifen zurückgezogen.

12. April 2005: Die Mitgliederversammlung des Filmfestivals in Locarno stützt den Entscheid Bignardis.

Der Entscheid des Internationalen Filmfestivals von Locarno, den Kurzfilm “Submission” des ermordeten niederländischen Filmemachers Theo van Gogh im August 2005 nicht zu zeigen, hat hohe Wellen geworfen.

Entscheidend ist nach weiteren Morddrohungen das Argument der Sicherheit. Der Verleiher hat deshalb den elfminütigen Film schon vom Festival in Rotterdam im Januar zurückgezogen.

Insbesondere die italienische Presse hat nach dieser Entwicklung die Frage aufgeworfen, ob sich die Filmindustrie und damit Kulturschaffende von Islamisten nicht zu stark einschüchtern lassen.

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