Mehrsprachigkeit wissenschaftlich erforschen
Mit einem Forschungs-Programm will der Nationalfonds die Sprachenvielfalt und die Sprachkompetenzen in der Schweiz erforschen.
Das mit 8 Mio. Franken dotierte Projekt soll eine wissenschaftliche Grundlage für die künftige Sprachpolitik liefern.
Die Schweiz ist ein mehrsprachiges Land. Das heisst jedoch nicht, dass eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer sich in einer zweiten Landessprache verständigen kann.
Sogar die Behörden, Gerichte und Lehrpersonen an den Sprachgrenzen sind dazu grösstenteils nicht in der Lage. Die Unterschiede zwischen den Denkweisen, Sensibilitäten und Kulturen im Land sind gross.
Der Graben zwischen den Sprachgruppen äussert sich regelmässig bei Abstimmungen. Politiker beklagen die fehlende Kohäsion zwischen Landesteilen.
Minderheiten-Sprachen unter Druck
Die in der Verfassung verankerte Niederlassungsfreiheit und die Sprachenfreiheit stehen im Widerspruch zum Territorialitäts-Prinzip. (Schutz der angestammten Sprache)
Die Randregionen bringen das Territorialitäts-Prinzip nicht in Einklang mit ihren Forderungen nach Wachstum und wirtschaftlicher Entwicklung (anderssprachige, neue Einwohner) und schaffen damit Konflikt-Potentiale.
Die Westschweiz fürchtet auch wegen der zunehmenden Verbreitung des Englischen als Umgangssprache und erste Fremdsprache in den Schulen einiger Deutschschweizer Kantone um die Bedeutung der französischen Sprache.
Bereits im Jahr 2000 hat der Bund das Rätoromanische und das Italienische als Regional- und Minderheitensprachen eingestuft und damit als förderungswürdig bezeichnet.
Stillstand in der Sprachenpolitik
Vor knapp einem halben Jahr hat der Bundesrat beschlossen, den breit abgestützten Entwurf zu einem Sprachengesetz aufs Eis zu legen und dies mit seinem Sparwillen begründet.
Das Gesetz hätte Massnahmen zur Förderung der Sprachkompetenz in den Landessprachen, den Schüleraustausch zwischen den Sprachregionen und die Schaffung eines Kompetenz-Zentrums für Mehrsprachigkeit geregelt.
Noch ist eine parlamentarische Initiative hängig und damit die Frage offen, ob die Schweiz doch noch ein Sprachengesetz erhält.
Das Projekt NFP 56 des Nationalfonds will in den kommenden vier Jahren die wissenschaftlichen Grundlagen für die zukünftige Sprachenpolitik des Landes erforschen.
Mehrsprachigkeit ist nicht selbstverständlich
«Zum ersten Mal hat der Bund so viel Geld für die Sprachenforschung gesprochen», sagte die Präsidentin der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozial-Wissenschaften, Anne-Claude Berthoud, bei der Präsentation des mit 8 Mio. Franken dotierten Projektes.
Laut Berthoud droht die Schweiz im internationalen Vergleich ins Hintertreffen zu geraten. «Wir nehmen die Mehrsprachigkeit als gegeben hin, während sich in Europa immer mehr wissenschaftliche Projekt damit befassen.»
Die Untersuchung des Zusammenspiels zwischen Sprache und Identität bilde einen der Schwerpunkte, sagte Walter Haas von der Universität Freiburg, der die Leitungsgruppe des NFP 56 präsidiert.
Mehrsprachige Verwaltungen als Ziel
Haas glaubt, dass ein Kontext zwischen dem nationalen Zusammenhalt und den Fremdsprachen-Kenntnissen besteht.
Ein Schwerpunkt der Untersuchungen wird die Sprachkompetenz der Bevölkerung in der Muttersprache, aber auch in andern schulischen und ausserschulischen Sprachen bilden.
Auch das Verhältnis zwischen Mundart und Hochsprache in den elektronischen Medien der Deutschschweiz soll erforscht werden.
Der Bund und die Kantone erhoffen sich vom Forschungsprojekt Erkenntnisse über den Fremdsprachen-Unterricht an der Primarschule, die sprachliche Integration von Einwanderern und die Gestaltung von mehrsprachigen Verwaltungen und Institutionen.
swissinfo, Andreas Keiser
Die Schweiz mit ihren vier Landessprachen, den Sprachen der Migranten und dem Unterschied zwischen Dialekt und Hochsprache stehe vor grossen Heraus-Forderungen, begründet der Nationalfonds das Forschungsprogramm «Sprachenvielfalt und Sprachenkompetenz».
Sprachwissenschafter, Politologen und Juristen sind zur Einreichung von Projekten aufgerufen.
Die unterstützten Projekte sollen im Juni 2005 begonnen und bis im Dezember 2008 abgeschlossen werden.
Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren begrüsst das neue Forschungsprogramm.
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