Mit Porträts auf Zeitreise
Der deutsche Fotograf August Sander hat ein opulentes Werk geschaffen. Davon zeugt die Ausstellung "Menschen des 20. Jahrhunderts" in Winterhur.
Die Porträt-Ausstellung im Fotomuseum Winterthur zeigt 250 Exponate und bietet eine Art Typologie der Menschen in den ersten drei Dekaden des vergangenen Jahrhunderts. Sander (1876-1964) realisierte diese Arbeit in Deutschland und teilte sie in sieben Gruppen ein: Bauern, Handwerker, Frauen, Stände, Künstler, «Die Grossstadt» und «Die letzten Menschen».
Tempi passati
Aus heutiger Sicht wirken die Bilder statisch, viele der Abgelichteten sind verkrampft und präsentieren sich in unnatürlichen Posen. Das hatte viel mit der Aufnahmetechnik zu tun: Die Belichtungszeiten lagen nicht selten zwischen zwei und acht Sekunden. Dennoch geben die Bilder einen wertvollen Einblick in eine Gesellschaftstruktur, wie sie nicht mehr vorstellbar ist.
Starre Rangordnung
Ein Landwirt ist ein Landwirt durch und durch. Und auch die Industriellen lassen keinen Zweifel an ihrer Wichtigkeit aufkommen. Die Künstler sind sich ihres Schicksals bewusst, und die Lehrer pendeln zwischen Strenge und Verbitterung.
Ob Studierende, Hausfrauen, Politiker, Komponisten, Arbeiter und Beamte: Einmal in die Gesellschaft eingegliedert, blieb man ein Leben lang in seinem Beruf und der gesellschaftlichen Rangordnung.
Dokumentarisch wertvolle Charakterstudien
August Sander wollte seine Porträtierten so zeigen, wie sie waren. Trotz der Starrheit mancher der Abgelichteten gelangt deren Persönlichkeit voll zum Ausdruck. Das Leben steht ihnen ins Gesicht geschrieben. So gesehen sind diese Bilder von grossem dokumentarischem Wert – überzeugende Charakterstudien.
Als hauptberuflicher Fotograf befasste sich August Sander auch mit anderen Themen, fotografierte Landschaften, Architektur oder realisierte Reportagen. Ende des Zweiten Weltkriegs wurden rund 30’000 Negative ein Raub der Flammen. Sander gelang es aber, den für ihn wichtigsten Teil seiner Arbeit zu retten.
Umfassendste Sander-Expo
Die Winterthurer Ausstellung ist die bisher Grösste mit Werken von August Sander. Selbst zu Lebzeiten des Fotografen gab es keine umfangreichere. Sie wird anschliessend auch in Salzburg, San Francisco und Berlin zu sehen sein.
swissinfo und Renato Bagattini (sda)
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