Niki de Saint Phalle: Tabubruch und Nana-Kommerz
Eine gross angelegte Retrospektive bringt das Werk von Niki de Saint Phalle erstmals nach Basel ins Museum ihres künstlerischen Gefährten Jean Tinguely. Hinlänglich bekannt sind die "Nanas", zu entdecken jedoch gibt es ein spannendes Frühwerk.
Basis der Ausstellung ist eine Schenkung von bisher 450 Arbeiten auf Papier, Gemälden, Assemblagen, Schiessbildern und Skulpturen, die Niki de Saint Phalle seit dem letzten Herbst dem Sprengel Museum in Hannover übergeben hat – aus Dankbarkeit, denn in Hannover fand 1969 ihre erste grosse Ausstellung statt.
Vor allem platzierte die norddeutsche Stadt wenig später gegen konservative Proteste drei «Nanas» im öffentlichen Raum und ebnete mit dieser Pioniertat den drallen und bunten weiblichen Figuren den Weg in die Popularität.
«Hure» in Stockholm
Begonnen hatte die märchenhafte Geschichte der «Nanas» 1966 in Stockholm als Provokation und noch ohne Seitenblicke Richtung Kommerz. «Hon» nannte Niki de Saint Phalle ihre 29 Meter lange, neun Meter breite und sechs Meter hohe Ur-Nana, «die begehrteste Hure der Welt», die im Moderna Museet ihre Beine spreizte und 100’000 Besucherinnen und Besuchern Einlass gewährte.
Den Beginn der provokativen Phase der heute in Kalifornien lebenden 71-jährigen Künstlerin markieren aber die Schiessbilder der frühen 60-er Jahre. Mit Gewehrschüssen traktierte de Saint Phalle «Staatsoberhäupter» oder «Kennedy-Kroutchev» und schuf als blutiges Sinnbild der verhassten Männerwelt den mit roter Farbe überströmten «Tod des Patriarchen».
Steifes Familienporträt
Mit den Schiessbildern katapultierte sich Niki de Saint Phalle in das Bewusstsein der künstlerischen Öffentlichkeit. Künstlerisch tätig war sie aber – wenn auch im Stillen – bereits seit den frühen 50-er Jahren. Und dieses Frühwerk gilt es in Basel zu entdecken.
In einer ersten Frühphase malte die Künstlerin grossformatige, symbolisch aufgeladene Ölbilder, die mit ihrer naiven Ausdrucksweise dem Art-Brut zuzurechnen sind. Eröffnet wird die Bildserie mit dem «Familienporträt» von 1954/55. Im Vordergrund stehen die verhassten Eltern, im Hintergrund als Bild im Bild die Künstlerin selbst.
Ungelenk sei diese Malerei, sagte Ulrich Krempel, Direktor des Sprengel Museums, an der Medienkonferenz. Was jedoch vielmehr zum Ausdruck kommt, ist die brettartige Steifheit des Elternpaars. Sie unterstreicht eine entsetzliche Härte und Lebensfeindlichkeit, die Niki de Saint Phalles Kindheit zur Hölle werden liessen.
Malerei als Therapie
Malerei als Therapie gegen erlittene Unterdrückung: Verschiedene Bilder festigen den Eindruck, dass diese Strategie Erfolg hatte, am eindrücklichsten der «Rosa Akt mit Drachen» (1956-58). In einer märchenhaften Landschaft steht eine Frauenfigur, die offensichtlich mühelos einen Feuer speienden Drachen bändigt.
Während die Figur mit ihrer Fülligkeit die «Nanas» vorwegnimmt, verrät die vielschichtige Technik, dass sich de Saint Phalle in dieser Zeit bereits in den internationalen Kunstkontext eingebunden fühlte. Wenige Jahre später wurde sie Mitglied der Gruppe der «Nouveau Réaliste», der neben dem Kritiker Pierre Restany Künstler wie Tinguely, Klein, César, Arman, Christo oder Spoerry angehörten.
In der zweiten Phase ihres Frühwerks schuf Niki de Saint Phalle zahlreiche Reliefs, Assemblagen mit Metallfragmenten, zerbrochenen Tellern oder aber Mordwerkzeugen. Werke wie «Das Hackbeil» leiten über zu den Schiessbildern, mit denen die Künstlerin nicht mehr nur defensiv, sondern offensiv ihre Feindbilder aufs Korn nahm.
Bunte Totems zum Auftakt
Den Auftakt der ansonsten chronologischen Ausstellung machen neueste Werke: Modellfiguren des Tarot-Gartens und der zusammen mit Mario Botta realisierten «Arche Noah», die im letzten Mai «als Friedensappell», so Museumsdirektor Guido Magnaguagno, in Jerusalem eröffnet wurde, sowie riesige Totems, die in Kalifornien am Entstehen sind.
swissinfo und Karl Wüst (sfd)
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