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Paillard-Bolex – nur der Mythos ist geblieben

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Bolex-Kameras, Thorens-Plattenspieler und Hermes-Schreibmaschinen waren einst Symbole für Schweizer Wertarbeit. Geblieben ist die Erinnerung.

Der elektronischen Revolution der 80er Jahre konnten die Feinmechaniker von Paillard-Bolex aus Yverdon nichts entgegen setzen.

Marlene Dietrich hatte eine, Mahatma Gandhi, Berger Rudd, Aga Khan, Antoine de St. Exupery und Fulgencio Batista auch. Viele besassen Ende der 30er Jahre eine Bolex-Kamera «made in Switzerland».

Die amerikanische Avantgarde filmte ebenfalls mit Bolex: Andy Warhol, Brian de Palma oder David Lynch, um nur einige zu nennen.

Ob im Dschungel, im Eis der Antarktis oder im heissen Wüstensand. Wo es Dokumentarfilme zu drehen gab, war die Bolex-Kamera – die legendäre H 16 – mit dabei.

Der Vulkanologe Haroun Tazieff nahm sie gar mit in heisse Vulkankrater, wo sein Kameramann Pierre Bichet den vielbeachteten Dokfilm «Les rendez-vous du diable» drehte.

Peter Jackson, der Regisseur von «Herr der Ringe», erhielt als Jugendlicher von seinen Eltern eine Super-8-Kamera geschenkt, um die kinematografischen Neigungen zu wecken. Als sie dann geweckt waren, schenkte sich Jackson zum 21. Geburtstag eine Bolex 16-mm.

Im Schweizer Film von Fredi M. Murer «Swissmade» erkundet 1969 ein «Humanoide» die Schweiz von 2069. Im Bauch eingebaut ein Nagra-Tonbandgerät, im Kopf eine Bolex-Kamera.

Doch vermutlich hätte der vom Schweizer Aliens-Schöpfer H.R. Gyger kreierte Humanoide Mühe, 2069 tatsächlich noch eine Bolex-Kamera zu finden. Es sei denn, er würde zufällig in ein Museum eindringen oder sich an einer Internet-Versteigerung beteiligen.

Vom Musikapparat zum Grammophon

Damit sei auch jetzt schon gesagt: Die legendären Bolex-Kameras aus Yverdon in der welschen Schweiz sind Geschichte, beinahe Geschichte genauer gesagt. Denn der Hersteller ging den Weg, den fast die gesamte Schweizer Präzisionsmechanik – Uhren inklusive – gehen musste: in die Krise, im Fall von Paillard-Bolex gar in die Versenkung.

Davon ahnte der junge Moïse Paillard selbstverständlich noch nichts, als er an einem kalten Wintermorgen 1814 beschloss, das zu tun, was zahlreiche findige Tüftler rund um ihn auch taten: eine Uhrenmanufaktur gründen.

Doch Paillard sattelte bald einmal auf Musikapparate um und eröffnete mit seinen wenigen Mitarbeitern ein Atelier, um die vor allem beim aufkommenden Industrie-Bürgertum beliebten Musikautomaten zu fertigen.

1875 beschäftige Paillard schon über 50 Mitarbeiter. Der Patron sah sich laufend nach Neuem um. Die damalige Wirtschaftskrise zwang ihn dazu. Heute würde man sagen, Paillard begann zu diversifizieren.

Der rasch um sich greifende technologische Fortschritt wurde auch im Waadtländer Jura wahrgenommen. Aus dem fernen Amerika drang auf Wachswalzen gespeicherte Musik in die junge Schweiz. Also begann Paillard Phonografen und zu Beginn des 20. Jahrhunderts Grammophone zu bauen.

Von der Schreibmaschine zum Plattenspieler

Es folgten Metronome, Bleistiftspitzer, Gasanzünder, Rechenmaschinen und anderes mehr. Die grossen Würfe sollten allerdings noch kommen. Der alte Moïse war längst gestorben, die Firma hiess nun E. Paillard & Cie, blieb aber ein Familienunternehmen.

Geblieben war den Paillards auch der gute Riecher, junge, aufstrebende Ingenieure zu verpflichten oder kleine Firmen mit Entwicklungspotenzial zu kaufen.

Besagte junge und findige Ingenieure konstruierten bereits 1914 eine Schreibmaschine. Zehn Jahre später begann man sie unter dem Namen «Hermes» bei Paillard auch zu produzieren: Es begann ein Siegeszug um die Welt. Die Fabrik wuchs und wuchs, 1937 zählte man bereits 1000 Angestellte.

Als 1935 die bis dato kleinste Schreibmaschine, die portable «Hermes-Baby» auf den Markt kam, wurde ein erster Mythos geboren. Nicht nur Ernest Hemingway schätzte sie. Das kleine Ding wurde zum Star, in Film und Literatur.

Damit wären wir beim Film und bei Paillards berühmten Kameras. Daneben darf aber nicht vergessen werden, dass 1937 der Ingenieur Edouard Thorens angestellt wurde, um die nun grosse Firma neu zu strukturieren und zu modernisieren.

Nebenbei gab der Mann auch einem von ihm konstruierten Plattenspieler den Namen. Paillard ist denn auch die Wiege der legendären Thorens-Plattenspieler.

Das Flaggschiff Bolex wird geboren

Einer der Paillard-Brüder machte bei einem Besuch in Genf die Bekanntschaft eines gewissen Jacques Bogopolsky, ein 1895 in Kiew geborener Medizinstudenten, der sich autodidaktisch in Genf zum Ingenieur ausbildete und unter dem Namen «Bolex» Kinematographen herstellte.

Paillard kaufte die Firma Bolex und begann ab 1935 mit der Fabrikation der legendären Bolex H 16, einer 16mm Filmkamera, die schnell Weltruhm erlangte.

Das Format 16mm entwickelte sich zum Substandard-Format, das von Profis eingesetzt wurde, weil es sechsmal billiger war als das Normalformat (35mm). Den Amateuren blieb die Formate 9,5mm und 8mm vorbehalten.

Doch auch da wurde Bolex zum «Highend-Product». Marlene Dietrich und all die andern haben mit der 9,5mm-Bolex gefilmt.

Paillard-Bolex reihte Erfolg an Erfolg. Mitte der 60er Jahre beschäftige das Unternehmen rund 6000 Personen in Yverdon und Sainte-Croix. Weltweit arbeiteten gar 8000 Leute für Paillard.

Damit war es zu dieser Zeit das grösste Industrie-Unternehmen in der französischsprachigen Schweiz.

Die geizigen Patriarchen

Doch so richtig warm seien die Angestellten nie mit «ihrer» Paillard geworden, erzählte Thomas Perret, Historiker an der Universität Neuenburg, im Gespräch mit swissinfo. Die Paillards seien «durch und durch» Patriarchen gewesen, hätten bei den Löhnen geknausert. «Gewerkschaften und ihre Mitglieder waren für sie Feinde und man wollte sie erst gar nicht in die Firma lassen.»

Das könnte mit ein Grund gewesen sein für den schleichenden Niedergang der Firma: Dass die Angestellten emotional nicht sehr stark an der Firma hingen und letztlich nicht bereit gewesen seien, das Letzte zu geben, sagt Thomas Perret. «Ich kann das nicht beweisen, möglich wäre es jedoch.»

Einen ersten Schuss vor den Bug landete Kodak mit dem Amateurfilmformat Super 8. Kassette einlegen und filmen: Das war revolutionär. Bolex konnte mit den Kameras 150, 155 und 160 im Bereich Super 8 noch mithalten.

Doch die Geschäfte harzten immer mehr. Das merkte die österreichische Firma Eumig und kaufte die Mehrheit an Paillard-Bolex. Was viele damals nicht wussten: Die H 16 wurde fortan gar nicht mehr in der Schweiz hergestellt. 1974 übernahm Eumig die Firma.

Die Neuzeit bricht Paillard das Genick

Am Horizont tauchte damals bereits die «Elektronik» auf. Erst führte die Quarzuhr zum Niedergang der mechanischen Schweizer Uhr. Die Uhrenkrise vernichtete Zehntausende von Arbeitsplätzen.

Dann begann der Siegeszug der so genannten Computer. Die Computer-Tastatur und das Schreiben am Bildschirm lösten die Schreibmaschine ab. 1989 musste Paillard die Produktion der Hermes-Schreibmaschinen einstellen: Die Firma wurde zu einem Immobilien-Firma.

Und dann killte das Video nicht nur den «Radiostar», sondern auch die mechanische Kamera. Damit nicht genug, mit den CDs brach die Produktion der Thorens-Plattenspieler zusammen.

«Sony und Phillips waren einfach grösser und stärker», sagte der langjährige Produktionschef von Bolex Sainte-Croix, Fritz Kramer, zu swissinfo.

Auf den Einwand, dass die ja auch mal klein begonnen hätten, meint Kramer: «Möglich, dass die patriarchale Firmenleitung mitgeholfen hat, dass wir zu langsam auf die Neuerungen der Zeit reagierten.»

Zu lange habe man am Mythos der einzigartigen mechanischen Schweizer Wertarbeit festgehalten. «Doch nur deshalb sind wir nicht untergegangen.»

Nicht alles ist jedoch untergegangen. Ein kleines Häufchen Unentwegter baut heute noch – auf Bestellung – die Bolex H 16 in Einzelanfertigung. «Wertbeständig, solide und langlebig, wie immer!», sagt Kramer.

swissinfo, Urs Maurer

Die Ausstellung «les aventures d’une caméra vaudoise» im Schloss Yverdon zeigt noch bis 16. Mai die Geschichte der Bolex-Kameras.

Die Firma Paillard-Bolex

Um 1814 eröffnet Moïse Paillard in Sainte-Croix ein Uhrenatelier.

Ab 1825 werden Musikautomaten gebaut.

1889 beginnt die Herstelleung von Phonographen.

1904 verlassen die ersten Plattenspieler das Unternehmen.

1923 beginnt die serienmässige Herstellung von Hermes-Schreibmaschinen.

1930 übernimmt Paillard die kleine Firma Bolex und steigt in die Herstellung von «Cinématographen» ein.

1932 beginnt Paillard Radios herzustellen.

1935 Erblickt die Bolex H-16 das Licht der Welt. Ebenso die ersten Filmprojektoren und die Hermes Baby.

1942 kommt die erste Taschenkamera, die Bolex 8 mm, auf den Markt.

1963 übernimmt Paillard Thorens und fertigt nun auch Thorens-Plattenspieler an.

1966 Beschäftigt Paillard in der Schweiz rund 6000 Personen. Die erste Bolex Super 8 kommt auf den Markt.

1969 Die österreichische Eumig übernimmt die Mehrheit an der Sparte Kameras bei Paillard. Es entsteht Bolex International SA. Die Kameras werden nicht mehr in der Schweiz hergestellt.

1983 Es werden nur noch Bolex 16 mm fabriziert.

1991 Hermes stellt die Produktion ein.

2004 Bei Bolex International SA, Yverdon stellen drei Personen auf Bestellung noch die Bolex H 16 her.

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