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Rigi träumt vom Comeback als «Königin der Berge»

Rigi-Kulm Anfang 20. Jahrhundert. zVg

Vor 200 Jahren war die Rigi der beliebteste Berg Europas. Danach wurde die "Königin der Berge" entthront. In einem reich illustrierten Band über den Zentralschweizer Hausberg zeigt der Journalist Adi Kälin Anfänge und Wandel des Fremdenverkehrs in den Alpen.

Zu den ersten, die auf die Rigi stiegen, um die Aussicht zu geniessen, gehörte 1775 der junge Johann Wolfgang Goethe. Der damals 26-Jährige war ein Jahr zuvor mit seinem Werther berühmt geworden. «Und rings die Herrlichkeit der Welt», notierte der spätere Dichterfürst in sein Tagebuch.

In seinem Buch «Rigi. Mehr als ein Berg» zeichnet Adi Kälin, Journalist bei der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), die Geschichte des knapp 1800 Meter hohen Gipfels in den Schwyzer Voralpen nach. Diese ist zugleich die Geschichte föderaler Auseinandersetzungen, der Geburt des ersten Tourismus-Booms mit allen daraus entstehenden Sünden sowie einer Rückbesinnung auf ein Gleichgewicht zwischen atemberaubender Landschaft und kommerzieller Nutzung.

Adi Kälin erzählt erst mal Anekdoten rund um die berühmten Besteigungen der Rigi durch Mark Twain, William Turner und Victor Hugo. Auch durch sie wurde sie zum beliebtesten Berg des 19. Jahrhunderts.

Erste Zahnradbahn Europas

Die Rigi wurde aber schon im 17. Jahrhundert als Pilgerort entdeckt. Damit ist der Berg so etwas wie die Wiege des modernen Tourismus in den Alpen. Die Besucher erklommen den Gipfel zu Fuss oder zu Pferd, Vermögende liessen sich in Tragsesseln hochtragen.

Im 19. Jahrhundert wurde das touristische und kommerzielle Potenzial des Berges erkannt. Am 21. Mai 1871 fuhr die erste Zahnradbahn Europas auf den Gipfel. Am 4. Juni wurde die Strecke Arth-Goldau (Kanton Schwyz) über Vitznau auf die Rigi offiziell eröffnet.

Reisende, darunter auch Maler und Schriftsteller, strömten nun in Massen auf den Berg. Gemäss Kälin verzeichnete die Rigi in den 1850er-Jahren 30’000 bis 40’000 Besucher. Nach Eröffnung der Bahn explodierte die Zahl auf 150’000 pro Saison. Die Zahl der Betten in der Region stieg von 500 im Jahr 1850 innert 20 Jahren auf über 2000 an. Der Höhenflug aber wurde durch den Ersten Weltkrieg brutal beendet, so der Autor, der aus der Region stammt.

Die verflixten 2,5 Meter

Die Rigi wurde zur Königin, aber gemessen an ihrer Höhe sei sie ein Zwerg, schreibt Kälin. 1903 war die Enttäuschung in der Region riesig gewesen, als die Höhe offiziell mit 1797,5 Meter über Meer angegeben wurde. Noch in den 1960er-Jahren wurde versucht, die 1800 Meter mit einer Spezialkonstruktion zu schaffen – vergebens.

Ende des 18. Jahrhunderts sei beliebt gewesen, die Landschaft mit einem einzigen Blick zu «umarmen», so der Autor.

Zur Reise auf den Berg gehörte für die Reisenden aus Fern und Nah (aber auch) die Begegnung mit den Bauern und ihren Kühen. Allabendlich hätten Einheimische für die Gäste auf der Terrasse des Grandhotels Kaltbad – einer Zwischenstation auf 1453 Meter – Kühe und Schafe gemolken, erzählt Adi Kälin.

Viele Besucher aber zeigten sich von der ruppigen Art der Bauern, die oft fluchten und stritten, enttäuscht. Die Lage an einem Schnittpunkt von drei Kantonen und neun Gemeinden brachte auch mit sich, dass sich viele, die sich ein Stück vom Kuchen abschneiden wollten, in die Haare gerieten, besonders Transportunternehmer.

Eine Typhus-Epidemie Ende 19. Jahrhundert sowie die schnell veraltete Infrastruktur bremsten den Besucherstrom aber schon, bevor der Erste Weltkrieg den jähen Absturz einleitete. Von 142’200 Besuchern 1910 sackte deren Zahl auf 17’700 im Jahr 1915 ab.

Davon konnte sich auch die Hotellerie nicht mehr erholen, die internationale Kundschaft blieb in den 1920er-Jahren weiterhin aus. Die Region setzte vermehrt auf Gäste aus dem Inland, mit der Folge, dass rund um die abgehalfterte «Königin» Ferienchalets aus dem Boden schossen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg zog der Schweizer Heimatschutz schliesslich die Notbremse. Kein Berg der Welt sei mit derart erbärmlichen Bauten erschlossen wie die Rigi-Kulm, hielt der damalige Generalsekretär der Organisation fest.

Eine der ersten Verkaufsaktionen von goldenen «Schoggitalern» zielte auf die «Säuberung» des Rigi-Gipfels ab. Aus den Erlösen der seit 1946 durchgeführten Schüler-Aktion werden Projekte des Heimat- und Naturschutzes unterstützt. Zwei Hotels wurden abgerissen und im Juni 1955 die letzten Trägerbalken aus Holz in einer feierlichen Zeremonie verbrannt.

Thermalbad als neuer Stern

Tragisch war das Ende des Grandhotels Kaltbad am 11. Februar 1961: Ein von Brandstiftern gelegtes Feuer kostete elf Menschen das Leben. Die legale Beseitigung von alten Hotelsünden sollte bis ins Jahr 2000 dauern.

Neuestes Highlight der Region ist das Thermalbad Rigi-Kaltbad des Schweizer Stararchitekten Mario Botta, das Anfang Juli eröffnet worden ist.

Die Streitparteien von anno dazumal ziehen heute an einem Strang – in der Organisation «Rigi plus». Deren Ziel ist eine harmonische und nachhaltige Entwicklung der Region. Unter dem gemeinsamen Dach mit einheitlichem Label werben auch alle touristischen Akteure. Die Vorzeichen, dass sich die Königin Rigi ihre Krone wieder aufsetzen kann, stehen gut.

NZZ-Journalist Adi Kälin (*1959) hat seine Dissertation über die touristische Entwicklung der Region zum Buch «Rigi. Mehr als ein Berg» erweitert.

Grossen Wert legte er auf das Bildmaterial, das neben historischen Aufnahmen auch eine Reportage des bekannten Fotografen Gaëtan Bally umfasst.

Am Beispiel der Rigi lassen sich anschaulich u.a. föderale Konflikte unter Kantonen und Gemeinden, riskante Hotelprojekte von gierigen Investoren sowie die Kommerzialisierung der Landschaft verfolgen.

Bereits im 17. Jahrhundert wurde sie zur «Königin der Berge».

Auf Luzerner Seite liegen die Gemeinden Greppen, Weggis und Vitznau. Küssnacht am Rigi, Arth-Goldau und Gersau gehören zum Kanton Schwyz.

Die erste Kapelle in Rigi Kaltbad stammt aus dem Jahr 1585. Aus einer zweiten Kapelle, rund 100 Jahre danach gebaut, wurde eine Herberge für Pilger, aus der wiederum die spätere Hotellerie entstand.

Um 1730 kamen je nach Quelle zwischen 13’000 und 25’000 Pilger in die Station. Danach nahm ihre Zahl ab.

Mit Eröffnung der Bahn Ende 19. Jahrhundert verringerte sich die Reisezeit von Zürich auf den Gipfel von 10 Stunden im Jahr 1815 auf 4 Stunden 10 Minuten (1876).

Heute sind es noch 1 Stunde 40 Minuten. Von Weggis am Vierwaldstättersee führt seit 1968 auch eine Seilbahn nach Rigi-Kaltbad.

(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)

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