Süsser die Glocken nie klingen
Keine Stadt, kein Dorf in der Schweiz, wo nicht Kirchen- oder Ortsglocken läuten. Manchmal schlagen sie jede Viertelstunde.
swissinfo führt Sie an Orte, wo man sich die Glocken unbedingt anhören sollte – besonders in der Festzeit.
Berner Münster: Die Armesünderglocke schlägt einsam die Stunde. Es ist sieben Uhr abends. Und für die Händler am Weihnachtsmarkt auf dem Münsterplatz das Signal, zusammenzupacken. Das war früher anders.
Die Schweiz ist besonders reich an historischen Glocken. Denn ihre Städte blieben von den Verwüstungen verschont, die andere europäische Länder in den beiden Weltkriegen erlebten.
Der Profi-Glöckner vom Berner Münster
Die Armesünderglocke gehört zu den sieben alten Glocken des Berner Münsters, der Kathedrale in der Altstadt. Aufmerksamkeit erregte sie erst wieder, als man beschloss, sie erneut als Einzelglocke läuten zu lassen.
«Armesünderglocke heisst sie, weil man sie ausschliesslich bei Hinrichtungen läutete», erklärt der Musikexperte und Architekturhistoriker Matthias Walter.
Bis 1861 läutete diese Glocke also alleine. Dann wurde die Todesstrafe abgeschafft, und sie läutete bis vor zwei Jahren nur noch zusammen mit den anderen Glocken.
Walter war es, der die Behörden vor zwei Jahren davon überzeugte, dass die Armesünderglocke wieder solo ertönen sollte. Er steht hinter der neuen «Läutordnung». Wegen seiner Liebe zu Glocken und dank seinem Ruf hatte er die Bewilligung erhalten, die Läutordnung der Münsterglocken so zu ändern, dass alle Glocken wieder zur Geltung kommen.
Grösste Glocke in Bern, älteste in St. Gallen
Die Armesünderglocke hängt im Turm des Münsters neben der grössten Glocke der Schweiz, die 10 Tonnen wiegt, und einer weiteren Glocke aus dem 14. Jahrhundert.
Die älteste Glocke in der Schweiz stammt aus dem 7. Jahrhundert und hängt im St. Galler Münster. Auch Lausanne und Genf sind stolz auf ihre Glocken aus dem späten Mittelalter.
Einige der alten Glocken im Berner Münster sowie die «Barbaraglocke» im Freiburger Münster stammen aus der Giesserei Rüetschi im Kanton Aargau, die noch heute existiert.
Adventskonzert mit Glockenspiel
«Die Giesserei Rüetschi ist die letzte Glockengiesserei im Kanton. Ihre Tradition geht auf das 14. Jahrhundert zurück», sagt Andreas Friedrich. Er gibt Adventskonzerte auf den 24 Glocken eines Glockenspiels in der Altstadt von Zofingen.
Friedrich, Mitglied der Gilde der Carilloneure und Campanologen der Schweiz (GCCS), sagt, dass die Glocken dieses Spiels zwar erst vor knapp 20 Jahren von Rüetschi gegossen wurden, aber gut zum mittelalterlichen Städtchen Zofingen passen.
«Wenn ein solches Instrument den Platz beherrscht, gibt das dem Stadtzentrum eine besondere Atmosphäre», sagt er und sieht vom Glockenturm aus dem 16. Jahrhundert auf den Stadtplatz hinunter.
«Das ist wohl einer der Gründe, warum vor allem in Europa das Interesse an Glockenspielen zunimmt.»
Einzigartige Überlieferung
Laut Friedrich, der auch Vizepräsident der World Carillon Federation ist, trifft man an vielen Orten im Land einzigartige traditionelle Glockengeläute.
«Im Kanton Wallis ist die Tradition verbreitet, vier, fünf oder sechs Glocken läuten zu lassen», erklärt er. «Solche Glocken sind fixiert, weil sie wie Schlaguhren genutzt werden.»
Am Schwengel im Glockeninneren seien Ketten oder Seile angebracht. «Mit einem einfachen Flaschenzugsystem können wir auf diese Weise mit jeder Hand eine oder zwei Glocken läuten, zusätzlich eine oder zwei weitere mit jedem Fuss. Es ist eine witzige und schöne Tradition», schliesst Friedrich.
Tessiner Andersartigkeit
Im italienischsprachigen Kanton Tessin wiederum haben die Glocken eine andere Form, sagt Werner Walter. Walter, Kollege von Friedrich und GCCS-Präsident, erzählt weiter, dass die Glocken in der Südschweiz anders tönen als in der Nordschweiz.
«Im Tessin werden die Glocken mit riesigen Rädern geschwungen, welche mit Seilen bewegt werden und die Glocke in eine fast vertikale Stellung ziehen», schreibt Walter in einer vor kurzem erschienenen Publikation.
«Beim Schwingen ragen die läutenden Glocken weit aus dem Glockenturm heraus, manchmal bleiben sie gar in den Öffnungen stecken.»
«Für mich ist eine Kirchenglocke eine Synthese zwischen einem Kunst-, einem historischen Objekt und einem Musikinstrument», führt Walter aus.
«Den Kunstteil machen die Verzierungen und Inschriften auf den Glocken aus. Es gibt gewisse Traditionen, Stilarten und Entwicklungen. Und als Musikinstrument tönt natürlich jede Glocke anders.»
swissinfo, Dale Bechtel in Bern und Zofingen
(Übertragung aus dem Englischen: Charlotte Egger)
Schon die Ägypter sollen in religiösen Feiern Glocken benutzt haben.
Glocken in unserem Sinn gibt es seit dem Jahr 400 unserer Zeitrechnung.
Irische Mönche führten im 7. Jahrhundert die Glocken in der Schweiz ein.
Die ältesten und grössten Glocken der Schweiz sind in den Kathedralen von St. Gallen, Genf, Lausanne, Freiburg und Bern zu finden.
Glocken werden geläutet, indem man sie zum Schwingen bringt, oder indem in den fixierten Glocken eines Geläutes (bis 15 Glocken) oder eines Glockenspiel (bis 70 Glocken) ein Schwengel hin und her bewegt wird.
Ein Glockenspiel wird von einer Tastatur aus gespielt.
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