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Triumph und Fall eines Schweizer Helden

Die Freuden und Leiden des Hugo Koblet in einem Film des Schweizer Regisseurs Daniel von Aarburg. pardo.ch

Der Schweizer Radrennfahrer Hugo Koblet war nicht nur ein Riesentalent, sondern auch ein Lebemann und Frauenschwarm. In dem in Locarno uraufgeführten Film "Pédaleur de charme" von Daniel von Aarburg wird das Leben dieses Schweizer Helden nachgezeichnet.

Alle Fans und Journalisten schauten damals nur auf Fausto Coppi und Gino Bartali. Das rosa Trikot des Giro d’Italia war noch nie von einem Ausländer gewonnen worden. Niemand ahnte, dass 1950 plötzlich alles anders kommen würde.

Die Überraschung schaffte Hugo Koblet, ein junger Radrennfahrer aus einem Zürcher Arbeiterquartier. Er gewann nicht nur die erste Etappe, sondern auch viele weitere. Zur allgemeinen Verwunderung liess Koblet, den die französische Presse schnell den «blonden Falken» nannte, alle Favoriten hinter sich und gewann den 33. Giro d’Italia.

Der kometenhafte Aufstieg dieses radelnden Bäckersohns sowie der interne Wettstreit mit Ferdi Kübler, einem weiteren Zürcher Radrennfahrer, lösten in der Schweiz eine bis anhin nicht gekannte Begeisterung für den Radsport aus. Dank seinem eleganten und faszinierenden Auftreten avancierte Koblet zum ersten internationale Schweizer Sportstar.

Der Film von Daniel Aarburg «Pédaleur de charme», der auf der Piazza Grande von Locarno uraufgeführt wurde, zeichnet die Karriere dieses 1925 geborenen Ausnahmetalents nach. Dabei wechseln dokumentarische Teile mit historischen Archivmaterial und einigen Fiktion-Teilen, die von professionellen Schauspielern gespielt werden. Dazu kommt die Aussagen ehemaliger Radsportgefährten – insbesondere Ferdi Kübler.

Der Streifen zeigt die Anfänge von Hugo Koblet als Kind, seinen Aufstieg zum gefeierten Star, aber auch seine Schwäche für die Frauen und seine Krisenmomente. Etwa der «Betrug» durch Coppi, seine Lungenprobleme, die Scheidung vom Fotomodell Sonja Bühl und sein tragisches Ende bei einem Autounfall, von dem man bis heute nicht weiss, ob es sich um Suizid handelte.

swissinfo.ch hat mit Marco Blaser über den Film gesprochen. Blaser war damals ein junger Sportjournalist des Radios der italienischen Schweiz (RSI), der die Wettkämpfe von Koblet und Kübler in die Haushalte übertrug. Mehr noch: Blaser hat Koblet davon überzeugt, an seiner Seite für drei Jahre als Co-Kommentator zu fungieren.

swissinfo.ch: Was halten Sie als Sportexperte und Kinofan vom neuen Film über Hugo Koblet?

Marco Blaser: Es handelt sich um einen sehr interessanten Film, der insbesondere Leute stark berührt, welche diese ruhmreichen Momente des Schweizer Radsports in den 1940er- und 1950er-Jahren mit dem Duell Koblet/Kübler miterlebt haben.

1950 gewann Kübler die Tour de France und Koblet überraschend den Giro d’Italia. 1951 wurde Kübler Weltmeister, während sein Freund und Rivale Koblet die Tour de France gewann. Dieser Dualismus und Antagonismus hat zu einer tiefen Liebe für den Radsport geführt. Das kommt im Film hervorragend zur Geltung. Und es erlaubt uns, diese magischen Momente nochmals zu erleben.

Dazu kommt, dass «Hugo Koblet – Pédaleur de charme» seine Premiere in Locarno erlebt hat. In dieser Schweizer Stadt feierte Koblet während des Giro d’Italia 1950 seinen ersten internationalen Sieg, aber auch seinen letzten Sieg im Jahr 1958.

swissinfo.ch: Für den Regisseur Daniel von Aarburg war es eine grosse Herausforderung, der Persönlichkeit von Hugo Koblet gerecht zu werden. Ist ihm das gelungen?

M.B.: Ich finde, dass dieser Film der Persönlichkeit von Hugo Koblet gut widerspiegelt. Dank der historischen Aufnahmen und der Erzählungen der damaligen Zeitzeugen – von Ferdi Kübler bis zum Sportjournalisten Sepp Renggli – zeigen die gloriosen Momente im Leben von Hugo Koblet auf.

Die Höhen und Tiefen des Radsportlers werden indes in den Fiction-Teilen gut aufgezeigt und von den Schauspielern Manuel Löwensberg (als Hugo) und Sarah Bühlmann (Sonja) sehr gut interpretiert. Wir sehen einen Hugo Koblet mit den Schwächen seines Charakters. Er war ein Mann, der zu gutmütig war und nie Nein sagen konnte.

swissinfo.ch: Koblet und Kübler sind wahrscheinlich die beiden grössten Velorennfahrer der Schweizer Geschichte. Zwei ganz verschiedene Typen, die sich trotzdem nahe standen. Welche Beziehung gab es zwischen den beiden?

M.B.: In meiner Antwort beziehe ich mich vor allem auf Aussagen von Kübler, der Koblet sehr bewunderte. Die Medien bezeichneten die beiden als «Feinde», aber dieser Ausdruck wurde von ihnen immer abgelehnt. Sie sagten, sie seien Gegner im Wettkampf, aber durch die grosse Liebe zum Radsport und das jeweilige Talent vereint.

Kübler hat mir einige Male gesagt, dass er wohl kaum so viele Erfolge gefeiert hätte, wenn an seiner Seite in diesen Jahren nicht Koblet gewesen wäre. Sie standen in einem gesunden Wettbewerb. Jeder versuchte, das Beste zu geben.

swissinfo.ch: Was bedeutete der Erfolg von Hugo Koblet am Giro d’Italia für die Schweiz in den Nachkriegsjahren?

Wir waren alle sprachlos. Niemand hatte dies erwartet. Ich war in Locarno, als Koblet die sechste Etappe gewann, die in Turin startete, und schliesslich das rosa Trikot vor Gino Bartali eroberte. Es war ein heiliges Jahr für die Schweiz. Denn Koblet war nicht nur der erste ausländische Fahrer, der den Giro d’Italia gewann, sondern auch der erste, der von Papst Pius XII empfangen wurde.

Die Sportwelt in Italien war vollkommen orientierungslos angesichts dieses Schweizer Rennfahrers, der aus dem Nichts aufgetaucht war und einheimische Stars wie Fausto Coppi und Gino Bartali auf die Plätze verwies.

swissinfo.ch: Hugo Koblet nahm seine Tätigkeit als Sportchronist an Ihrer Seite auf. Das war 1961 beim Zeitfahren von Lugano. Wie haben Sie Koblet als Kollegen in Erinnerung?

M.B: Er war vor allem ein technischer Kommentator, der sein Urteil mit grösster Spontaneität und enormem Fachwissen von sich gab. Er war ehrlich und wusste um die Schwierigkeiten in diesem Fach. Dank Sepp Renggli hat Hugo Koblet seine Tätigkeit an meiner Seite aufgenommen.

Er suchte nie eine Polemik um der Polemik willen, aber er konnte sehr intelligent kommentieren. Wenn ich es selbst geschafft habe, ein geschätzter Sportberichterstatter zu werden, hat Hugo Koblet daran sicherlich seinen Anteil gehabt. Wir arbeiteten drei Jahre Seite an Seite.

swissinfo.ch: Der Film von Daniel von Aarburg zeigt auch einen schwachen Hugo Koblet, der sich vom Doping verführen liess…

M.B.: An einem Abend, als wir unter engen Freunden mit Hugo Koblet zusammensassen, zeigte er sich sehr erschrocken über den steigenden Druck der Sponsoren, die für das investierte Geld gute Resultate und eine gute Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit einforderten.

Es sind die Sponsoren, die ihn im Film unter Druck setzen und ihm eine Überdosis an «Medizin» und «Stimulierungsmitteln» verabreichen, damit er von einer Influenza gesundet. Doch die Medikamente führten zu einer Reduktion seines Lungenvolumens und somit zum Ende seiner Karriere.

Der Radsport müsste seinen ursprüngliche Kraft und Faszination wieder finden und den Versuchungen und Tücken des Chemie sowie des leicht verdienten Geldes widerstehen.

Stefania Summermatter, Locarno, swissinfo.ch
(Übertraugung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Hugo Koblet wird 1925 als Sohn einer Bäckerfamilie in Zürich geboren. Velofahren ist für ihn bereits als Kind eine Selbstverständlichkeit, weil er für den Familienbetrieb Brot ausfahren muss.

1942 – im Alter von 17 Jahren – erringt er seinen ersten Sieg als Amateur.

1947 wird er Profi. Er gewinnt die Fahrt um den Vierwaldstättersee und gewinnt die erste Etappe der Tour de Suisse.

Als er aus dem Schweizer Team ausgeschlossen wird, nimmt Koblet 1950 für eine italienische Mannschaft am Giro d’Italia teil und gewinnt überraschenderweise die Rundfahrt vor Champions wie Coppi und Bartali.

Er wird somit zum ersten ausländischen Fahrer, welcher den Giro d’Italia gewinnt. Für ihn bleibt der Sieg eine einmalige Angelegenheit: 1953 und 1954 wird er jeweils nur Zweiter.

1951 gewinnt er die Tour de France. Aus diesem Jahr stammt auch der Spitzname «Pédaleur de charme».

In seiner Karriere konnte Koblet 197 Siege feiern, darunter drei bei der Tour de Suisse (1950, 1953 und 1955).

1954 heiratet er seine grosse Liebe, das Fotomodell Sonja Bühl. Zehn Jahre später – kurz nach der Trennung von seiner Frau – stirbt Koblet in einem Autounfall im Alter von nur 39 Jahren. Er rast mit seinem Alfa in einen Baum.

Daniel von Aarburg wurde 1965 in Chur geboren.

1986-92 Studium der Germanistik, Philosophie und Anthropologischen Psychologie in Zürich, Abschluss lic.phil.I.

1992-95 Ausbildung zum Regisseur am DAVI (Département d’audiovisuel, Ecole Cantonale d’Art de Lausanne).

1999 Drehbuchkurs der Master School Berlin und Focal.

Seit 1995 Redaktor und Produzent bei SF DRS.

Der Name des Regisseurs verbindet sich inbesondere mit Dokumentarfilmen, darunter «Ina, Amer & Elvis» (2005), «Si pensava di restare poco» (2003) und «Letters to Srebrenica» (1996).

In den Spielfilm-Teilen wird Hugo Koblet von Manuel Löwensberg, dem Sohn von Bundesrat Moritz Leuenberger interpretiert.

Die Filmcrew wollte Hugo Koblet mit einer Mini-Tour-de-Suisse von Zürich nach Locarno die Ehre erweisen. Zwei Tage waren sie mit den Velos unterwegs, teilweise im strömenden Regen.

Auf dem Monte Ceneri wurde in Gedenken an Koblet ein Denkmal aufgestellt (auf Initiative ehemaliger Tessiner Radrennfahrer).

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