Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Über den Köpfen der Parlamentarier

Seltener Blick von der Dolmetscher-Kabine in den Nationalrat. swissinfo.ch

Während in den Köpfen der Parlamentarier eher Europaskepsis vorherrscht, geht es über ihren Köpfen in den Dolmetscherkabinen sehr europäisch zu und her.

Ob Bern oder Brüssel: Es dolmetschen teils dieselben Profis. Am 26. September feiert man den «Europäischen Tag der Sprachen».

Ein Parlament muss kommunizieren, und das ist schon in einer Sprache schwierig genug. In Volksvertretungen mit mehreren Amtssprachen wird es noch schwieriger. Was weder der deutsche Bundestag in Berlin noch die französische Assemblée Nationale in Paris kennen, gehört in Bern zur Routine: Der Dolmetscher als Teil des allgemeinen Parlamentsdienstes.

Hoch im Parlamentssaal über den Köpfen der Schweizer Volksvertreter, knapp unter der lichten Kuppel neben einer Gips-Skulptur, hängen die beiden Dolmetscher-Kabinen.

Markige Sprüche hinter der Glaswand

«Schau mal, Couchepin taucht gerade sein Croissant in die Kaffeetasse», bemerkt die diensthabende Dolmetscherin neckisch zum Kollegen und schiebt den Kopfhörer hinters Ohr: Das dicke Glas schützt sie akustisch vor dem lauten Treiben unten im Saal, nur das Mikrophon könnte bei solchen Bemerkungen zum Verhängnis werden. Sie arbeitet am Vormittag jeweils dreimal drei Viertel Stunden und gewährt sich dazwischen selbst einen Kaffee.

Solche Sprüche sind notwendig, sie wirken befreiend, wenn derart professionell wie beim Dolmetschen gearbeitet werden muss. Denn die Atmosphäre in der Kabine ist sehr angespannt und konzentriert.

Dem Dolmetscher-Kollegen ist inzwischen nicht entgangen, dass sich unten im ehrwürdigen Saal der Ratspräsident zu erregen beginnt, weil zu viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier die Köpfe zusammenstecken statt zuzuhören: «Schau mal, er schickt sie raus in die Cafeteria!»

Bald auch simultan ins Italienische?

«Pro Sprache arbeiten drei Dolmetscher», sagt Richard Bucher, Dolmetscher-Chef beim Sprachdienst, einer der vielen Abteilungen der Parlamentsdienste.

Im Parlament werden drei Amtssprachen gesprochen: Deutsch, Französisch und Italienisch. Rätoromanisch, die vierte Amtssprache, gilt nur im Umgang des Bundes mit Rätoromanen.

Bisher wird im Parlament nur zwischen Deutsch und Französisch simultan übersetzt. «Eigentlich wäre die Einführung des Italienischen schon 1991 beschlossen worden, aber es gab kein Geld,» sagt Bucher.

Bald soll es einen weiteren Dolmetscherdienst geben im Parlament: Dank einem Antrag der freisinnigen Zürcher Nationalrätin Lili Nabholz dürfte im kommenden Frühling ein Italienisch-Team dazustossen.

Das Dolmetschen aus dem Italienischen ins Deutsche oder Französische wurde im Parlament schon immer als Dienst angeboten. Aber nicht das Dolmetschen von den beiden anderen Sprachen ins Italienische.

Dolmetscher übersetzen simultan aus mehreren so genannten Ausgangssprachen in ihre Ziel-, also Muttersprache – aber selten umgekehrt.

Also braucht es ab kommendem Frühling drei Leute mehr. Damit ergäbe sich eine Neuner-Equipe von Dolmetschern, die während den Sessionen fix im Parlament angestellt sind. «Das gibt rund 55 Tage pro Jahr als Fixum», rechnet Bucher.

Knappes Angebot

«Höchstens ein Dutzend Dolmetscher ist derart zweisprachig, dass sie beide Sprachen als Zielsprachen beherrschen,» schätzt Viviane Vaucher, Arbeitskollegin von Bucher. Ungefähr 15 Profis beherrschen als Zielsprache das Italienische.

Bucher kann die Verhältnisse in Bundesbern bestens einordnen. Er unterrichtet an der Fachhochschule in Zürich (ehemalige Dolmetscherschule). Ausserdem arbeitet er sowohl im Europarat in Strassburg als auch im Europäischen Parlament in Brüssel.

Wenig Hilfe von den Rednern

In Bern kriegen die Dolmetscher höchstens 10 Prozent der Vorlagen und Änderungsanträge im vornherein schriftlich, im Europarat sind es etwa 30 Prozent. «Und im Europäischen Parlament kriegen wir am wenigsten,» sagt Bucher.

Als sich Bundespräsident Pascal Couchepin diesen Frühling zum Irak-Krieg äusserte, wussten die Dolmetscher von nichts. Es habe keine Vorlagen gegeben, und das Fernsehen schnitt die Dolmetscher-Stimmen mit, ohne dass sie es wussten.

Doch das Fehlen von Vorlagen sei nicht das einzige Problem beim Dolmetschen in Parlamenten, sagt Bucher: «Die rednerische Qualität der deutschschweizerischen Volksvertreter hat stark nachgelassen. Die Welschen drücken sich viel besser aus. Die Tessiner haben zwar ihre regionale Aussprache, aber auch ihr Italienisch ist korrekter als das Deutsch der Deutschschweizer.»

Die beiden Pascal

Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz sei ein Spitzenredner gewesen, erinnert sich Bucher. Auch Pascal Couchepin attestiert er oratorische Fähigkeiten: «Er hat sich sehr verbessert», beurteilt der Dolmetscher die Ausdrucksweise.

Was die Themenbreite betrifft, so bewege sie sich in allen drei Parlamenten, in denen er arbeite, in ähnlicher Bandbreite, sagt Bucher. Spezialthemen wie Stammzellen oder AHV seien für simultanes Übersetzen nicht ganz einfach. Doch alle Dolmetscher im Team übersetzen alles.

Von Appenzeller- auf Hochdeutsch

Die absurdeste Anfrage, die Bucher je hatte, sei ein Simultansprechen für einen populären deutschen Fernsehsender gewesen. «Die hatten einen Appenzeller aufgestöbert, der nur Mundart sprechen konnte.» Bucher hätte dem deutschen TV-Publikum von Mundart auf Hochdeutsch simultan übersetzen sollen, wie der Appenzeller sein Hundefleisch selbst zubereitet und isst…

swissinfo, Alexander Künzle

Jeweils am 26. September wird in Europa der «Europäische Tag der Sprachen» begangen. Dabei feiert man die Vielsprachigkeit des Kontinents und seiner Bevölkerung und wirbt fürs Erlernen von Sprachen.

Die sechs Parlaments-Dolmetscherinnen und Dolmetscher sind für die Sessionszeiten in Bern mit einem Fixum angestellt. Den Rest der Zeit arbeiten sie als Lehrer, Freiberufliche, Übersetzer oder in europäischen Parlamenten.

Anders die Dimensionen im Europäischen Parlament: Noch gibt es nur elf Sprachkabinen mit Dreierteams im Brüssel. Doch laufen bis zu zehn Sitzungen gleichzeitig. Das ergibt ein Maximum von 330 Dolmetschern pro Tag. Doch bald wird es rund 20 Sprachen in Brüssel geben.

Der Dolmetscher-Tarif pro Tag kommt in der Schweiz etwa auf 1100 Franken plus Spesen zu stehen. Die UNO zahlt bis zur Hälfte weniger.

Mehrsprachig geht es auch im Schweizer Parlament in Bern zu. Die Schweiz kennt vier Amtsprachen. Übersetzt wird aus den drei Amts- sprich Ausgangssprachen Deutsch, Französisch und Italienisch – allerdings bloss in die Zielsprachen Deutsch und Französisch.

Zur Zeit arbeiten zwei Dreier-Teams für die Sprachen Deutsch und Französisch im Dolmetscherdienst des Parlaments in Bern.

Ein drittes Dreier-Team fürs Übersetzen ins Italienische soll nächsten Frühling dazustossen.

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