Uraufführung 1956: Dürrenmatts «Alte Dame»
Vor 50 Jahren wurde Friedrich Dürrenmatts Komödie "Der Besuch der alten Dame" am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt und ging später um die Welt.
Die berühmte «Alte Dame» ist eines der erfolgreichsten Stücke des 20. Jahrhunderts. Das Theaterstück sorgte aber auch für Kritik.
Das Stück dreht sich um eine Frau namens Claire Zachanassian, die sich für eine Milliarde Franken «Gerechtigkeit» kauft und ein Dorf erfolgreich zum Mord an ihrer untreuen Jugendliebe anstiftet.
Besonders in der Schweiz wurde das Stück auch kritisiert. Es fehle das Positive, bemängelten zum Beispiel Volksrecht und Neue Zürcher Nachrichten.
Die Kulturstiftung Pro Helvetia verweigerte dem Schauspielhaus deshalb gar einen Beitrag für ein Gastspiel am Pariser Theaterfestival. Das Drama sei «nicht im Sinne schweizerischer Kulturpropaganda», lautete die Begründung.
Aus heutiger Sicht fragt man sich, welches andere Bühnenwerk wohl jemals bessere Kulturpropaganda für unseren alpinen Zwergstaat gemacht hat.
Beispielloser Siegeszug
Denn der Siegeszug der Dame war beispiellos: Noch im Jahr der Uraufführung gab es Aufführungen in Basel und Wien, 1957 in Paris, 1958 in Warschau, Krakau, Aarhus, Kopenhagen, Oslo und New York, 1959 in Prag, London, Madrid, Lissabon und Jerusalem, und 1960 inszenierte sie Giorgio Strehler in Mailand.
1971 wurde an der Wiener Staatsoper Gottfried von Einems Opernversion uraufgeführt. 1959 sorgte die ARD für eine TV-Fassung, 1964 verfilmte Bernhard Wicki den Stoff mit Ingrid Bergman und Anthony Quinn in Hollywood, und 1992 gab es sogar eine international beachtete Filmversion aus dem Senegal («Hyènes»).
Beleidigte Leberwürste
Trotz dieser enormen Ausstrahlung lässt sich die anfängliche Ablehnung begreifen. «Die Alte Dame ist ein böses Stück», schrieb schon Friedrich Dürrenmatt selber.
Oberflächlich gesehen lautet sein Kern: Für Geld tun wir alles, sogar morden. In der Wirtschaftswunderzeit fühlten sich viele nach Wohlstand strebende «einfache» Leute durch diese Unterstellung beleidigt.
So schrieb eine Berliner Zuschauerin nach der TV-Premiere dem Sender: «Ich übersende Ihnen in der Anlage eine Milliarde Mark, über die sie frei verfügen können unter der Bedingung, dass der Regisseur dieser Sendung, Friedrich Dümmersatt, ebenfalls umgebracht wird.»
Gottlob waren Dürrenmatts nicht krankenversichert
Friedrich Dürrenmatt konnten solche Anfeindungen egal sein. Ihn, den in Fachkreisen damals schon anerkannten Autor, holte die «Alte Dame» endlich aus tiefer finanzieller Not.
Den zündenden Bühneneinfall der Eröffnungsszene, als das ganze Dorf die berühmte Milliardärin am Güllener Bahnhof erwartet, verdankte er seinen täglichen Besuchen bei seiner lungenkranken Frau Lotti im Inselspital Bern.
Auf den Zugsfahrten zwischen Neuenburg und Bern ärgerte ihn nämlich, dass der Schnellzug zeitraubende Stopps in Ins und Kerzers machte.
Die Grundidee des milliardenschweren Rächers hatte er bereits in der Novelle «Mondfinsternis» entwickelt. Angestossen von der Bahnhofsszene mutierte die Geschichte, wie Dürrenmatt später in «Labyrinth» berichtete, wie von selbst zur «Alten Dame».
Dass er sie wie besessen aufzuschreiben begann, lag daran, dass ihm der Pleitegeier im Nacken sass: Er hatte nicht nur die Spitalrechnungen für Lotti zu bezahlen, sondern auch die Arztrechnungen für die Kinder, die alle drei Masern hatten.
swissinfo und Agenturen
5. Januar 1921 wird Friedrich Dürrenmatt in Konolfingen im Emmental als Sohn eines reformierten Pfarrers geboren.
Seine Jugend und Studienzeit verbringt er in Bern, wo er deutsche Literatur und Philosophie studiert.
1946 bricht er das Studium ab und heiratet die Schauspielerin Lotti Geissler.
1952 zieht die 5-köpfige Familie nach Jahren in Basel und Ligerz am Bielersee in ein Haus in Neuenburg, wo Dürrenmatt bis an sein Lebensende bleibt.
1984 heiratet er nach dem Tod seiner ersten Frau die Schauspielerin und Regisseurin Charlotte Kerr.
14. Dezember 1990 stirbt Friedrich Dürrenmatt kurz vor seinem 70. Geburtstag an Herzversagen.
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