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Von gottgefälligem und sündhaftem Leben

Forderte strengste Tugendhaftigkeit: Der Reformator Johannes Calvin.

Es ist das Jahr von Johannes Calvin: Zu seinem 500. Geburtstag zeigt das Deutsche Historische Museum in Berlin eine grosse Ausstellung zur Geschichte der Reformation.

Hand aufs Herz – wie viel wissen Sie über den Calvinismus? Die Jahreszahlen der Religionskriege zwischen Katholiken und Protestanten kennt man vielleicht noch aus dem Geschichtsunterricht in der Schule. Manche erinnern sich bestimmt auch, dass die Calvinisten ein tugendhaftes Leben forderten, jeglicher Lebensfreude abschworen und Kruzifixe verboten.

Doch wie das genau war mit der Entstehung des reformierten Glaubens, darüber wissen wohl nur wenige wirklich Bescheid. Heuer ist nun eine gute Gelegenheit, Wissenslücken aufzufrischen: Es ist Calvin-Jahr. Der Reformator Jean Cauvin, oder Johannes Calvin, wie er sich selbst nannte, wurde am 10. Juli 1509 im französischen Noyon geboren und starb am 27. Mai 1564 in Genf.

Kulturgeschichtlicher Kontext

Zum 500. Geburtstag zeigt das Deutsche Historische Museum in Berlin auf insgesamt 1100 Quadratmetern über 370 Exponate der Reformation aus ganz Europa: Ölgemälde, Kupferstiche Korrespondenzen und Schriften – sogar eine Lehrkanzel ist aufgebaut.

Die beiden Kuratoren Ansgar Reiss und Sabine Witt haben dabei Wert darauf gelegt, den Calvinismus in einem kulturgeschichtlichen Kontext zu präsentieren. Denn die theologische Bewegung führte letztlich nicht nur zur Gründung einer eigenständigen Konfession, der evangelisch-reformierten Kirche. Vielmehr trug der Calvinismus zu einem neuen Welt- und Menschenbild bei.

Moral und Kirchenzucht

Tatsächlich war es eine bewegte Zeit, in die Calvin hinein geboren wurde. Am Ende des Mittelalters waren die Menschen auf der Suche nach Neuem. Prediger hinterfragten Gesellschafts- und Machtstrukturen und kritisierten die absolutistisch geprägte katholische Kirche.

Einer der schärfsten Kritiker der Papstkirche war Calvin, der erst Jura studierte, bevor er sein umfangreiches theologisches Werk veröffentlichte und die Genfer Kirche von Grund auf neu organisierte. Zu Calvins umstrittensten Thesen gehört die Prädestinationslehre: Sie besagt, dass bereits vor der Geburt feststeht, ob der Mensch in den Himmel oder aber in die Hölle kommt. Daran sei nichts zu rütteln, auch nicht mit einem vorbildlichen Lebenswandel, war Calvin überzeugt.

Damit die Menschen aus Frust vor Gottes Allmacht aber nicht einfach die Hände in den Schoss legten, enthielt seine Theorie einen weiteren zentralen Punkt: Nur wer sich an strengste Pflichterfüllung und Tugendhaftigkeit halte, könne schon zu Lebzeiten sehen, ob er zum Heil vorausbestimmt sei.

Versäumnisse der Ausstellung

Wie nachhaltig der Calvinismus die Menschen in Europa veränderte – und ob er, wie manche Soziologen Anfang des 20. Jahrhunderts sagten, den Boden bereitete für den Kapitalismus – ist heute umstritten. Klar ist, dass Schaffensdrang und damit auch Geldvermehren eine zentrale Rolle im protestantischen Alltag des 16. Jahrhunderts einnahmen.

Leider versäumt es die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, Ursachen und Folgen des reformierten Glaubens zu beleuchten. Überhaupt kommen Erläuterungen nur sehr sparsam vor – erst mit der Hilfe des 448 Seiten dicken Katalogs erschliessen sich Zusammenhänge. Wer dagegen ohne Vorbereitung durch die Ausstellung geht, fühlt sich bald einmal erschlagen von der Fülle der gezeigten Werke.

Gottgefällig oder sündhaft

Immerhin – vor allem die Bilder sprechen oftmals für sich. Da ist zum Beispiel das Gemälde «Das Licht ist auf den Leuchter gestellt». Der Kupferstich aus den nördlichen Niederlanden ist sozusagen eine Propaganda für den reformierten Glauben: Um einen Tisch herum vereint sitzen die grossen Reformatoren, im Zentrum Luther und Calvin, vor ihnen das aufgeschlagene Evangelium. Von unten nähern sich die Vertreter des Katholizismus – Papst, Bischof, Mönch und Priester – und versuchen heimtückisch, die Kerze auf dem Tisch auszublasen.

Auch die Katholiken zeigten sich nicht zimperlich in der Botschaft ihrer Bilder. So illustriert das Gemälde «Der breite und der schmale Weg» von Laurentius de Neter die Wahl zwischen gottgefälligem und sündhaftem Leben. Im Bildzentrum steht ein Mann vor der Wahl: Entscheidet er sich für den rechten Weg, geniesst er irdische Reichtümer, bezahlt am Ende für seine Völlerei jedoch mit der ewigen Verdammnis. Links dagegen begleiten Entbehrungen und Schicksalsschläge seinen kargen Lebensweg. Doch an dessen Ende wartet auf den braven Christen das Tor zum ewigen Leben.

swissinfo, Paola Carega, Berlin

«Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa»

Deutsches Historisches Museum in Berlin

Die Ausstellung ist noch bis zum 19. Juli 2009 geöffnet

Entsprechend der Struktur der damaligen Eidgenossenschaft ging die Reformation in der Schweiz von verschiedenen Zentren aus und wurde auch von mehreren Reformatoren angeregt.

Weltgeschichtlich am bedeutendsten war neben Johannes Calvin vor allem der Zürcher Ulrich Zwingli. Zwingli (1484–1531) stammte aus dem oberen Toggenburg und war Sohn eines Bergbauern, der in der lokalen Politik als gewählter Ammann tätig war. Nach Studien in Basel, Bern und Wien wirkte Zwingli als Priester in Glarus und Einsiedeln.

1519 begann Zwingli in Zürich zu predigen. Im Gegensatz zu Luther, der nur die Erneuerung der Kirche anstrebte, predigte er die Reform des gesamten Lebens und verlangte eine «Besserung» der Menschen.

Zwingli war denn auch um einiges radikaler als Luther und liess einzig das Wort Gottes in der Kirche zu. Nicht nur Bilder und Altäre wurden aus den Kirchen entfernt, auch die Orgeln wurden abgebrochen, da Zwingli Musik in der Kirche als Ablenkung ablehnte.

Für das Leben und den Alltag der Menschen in Zürich war die Einführung der Sittenzucht eine einschneidende Veränderung. Fortan waren das Schwören, Fluchen, das Spiel mit Karten und Würfeln, Schmuck und Luxus verboten, ebenso kurzweilige Vergnügungen und die Fasnacht.

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