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Wachstumsprobleme: Das Zurich Film Festival wird 17

Der Grüne Teppich am ZFF.
Wie weit hat es das Zurich Film Festival in 17 Jahren gebracht? Keystone / Ennio Leanza

Vom 23. September bis am 3. Oktober 2021 erlebt das Zurich Film Festival seine 17. Auflage. Wie jedes Jahr zieht der Event ein grosses Publikum an und kann mit einer Reihe von internationalen Stars  aufwarten. Aber seine Identität als Schweizer Festival ist nach wie vor schwer fassbar.

2015 erschien im Kulturteil der renommierten NZZ am Sonntag anlässlich der 50. Ausgabe der Solothurner Filmtage ein provokanter Artikel. Darin wurde dem Festival, das jährlich eine umfassende Retrospektive des Schweizer Filmschaffens bietet, vorgeworfen, keine Visionen zu haben, eine elitäre, linke Echokammer im Bann der «politischen Korrektheit» zu sein und ein Umfeld zu schaffen, das die Schweizer Filmindustrie international nicht konkurrenzfähig mache.

«Wer 50 wird, sollte eine Standortbestimmung vornehmen», so der Beitrag, denn «oft bietet dieses Alter die letzte Gelegenheit, sich nochmals neu auszurichten.» Die vernichtende Diagnose: Die Solothurner Filmtage seien in ihrer jetzigen Form «das entbehrlichste Filmfestival der Schweiz», ein verknöchertes Relikt das seine «Daseinsberechtigung verloren» habe.

Verantwortlich für die Polemik ist Christian Jungen, langjähriger Chef-Filmkritiker und ab 2017 Kulturchef der NZZ am Sonntag – einen Posten, den er 2019 räumt, um sich einer neuen Karriere zu widmen: der des künstlerischen Leiters des Zurich Film Festival (ZFF). Bis heute teilt er sich die Leitung des Festivals mit dessen Geschäftsführerin Elke Mayer.

Elke Mayer und Cristian Jungen
Elke Mayer und Christian Jungen. Keystone / Walter Bieri

Zürcher Überheblichkeit

Die harte Linie, die Jungen gegenüber den Solothurner Filmtagen vertritt, macht seine Ernennung besonders interessant. Seit der ersten Ausgabe im Jahr 2005, die von Karl Spoerri, Nadja Schildknecht und Antoine Monot jr. ins Leben gerufen wurde, hat das ZFF mit dem Vorwurf zu kämpfen, es fehle an einem konkreten kreativen Auftrag.

Eine Woche nach der Veröffentlichung von Jungens Polemik aus dem Jahr 2015 hat die Solothurner Zeitung eine Gegendarstellung veröffentlicht, in der sie das Leitmotiv des ZFF als opportunistische Prominentenverehrung bezeichnet. Schweizer Cineast:innen bezeichnen das ZFF als zürich-zentrierte Hybris. Kritiker:innen des Festivals argumentieren, dass Zürich nur deshalb ein hochkarätiges Filmfestival habe, weil das von einer Grossstadt erwartet werde.

Zudem drohten politische Verstrickungen, Sponsorenverträge und Budgetvergaben immer wieder den künstlerischen Anspruch des Festivals in den Schatten zu stellen. So sorgte die Einbindung des Festivals in die NZZ-Mediengruppe, der auch die NZZ am Sonntag angehört, verständlicherweise für einiges Aufsehen.

Hochkarätige kommerzielle Partner wie Credit Suisse und Mercedes-Benz gehören ebenso zum Festival wie die Diskussionen um die visuelle Identität des Festivals. Das diesjährige Festivalplakat, eine scheinbar überstürzte Photoshop-Montage der dänischen Schauspielerin Sandra Guldberg Kampp vor einem Rosenbeet, ist nur die jüngste Corporate-Design-Entscheidung, die Fragen über die budgetären Prioritäten des ZFF aufwirft.

Plakat für das ZFF
Nicht nach dem Geschmack der Zürcher Designer:innen: die ZFF-Plakatkunst. Keystone / Walter Bieri

So ist es auch am Vorabend der 17. Ausgabe des Festivals schwierig, das Festival als etwas anderes zu definieren als «die elf Tage im Kalender, an denen die Schaufenster in Zürich das Augenlogo des Festivals tragen, die Kinos voller sind als sonst und die Zeitungen mit Bildern berühmter Schauspieler:innen überschwemmt werden, die am Sechseläutenplatz aus Limousinen steigen».

Die positive Seite

Natürlich hat auch das seinen Wert. Im Laufe seines Bestehens hat das Festival sein Publikum stetig vergrössert. 2018 übertraf es die Marke von 100’000 Besucher:innen und wurde, gemessen an der Zuschauer:innenzahl, zum zweitgrössten Filmfestival im deutschsprachigen Raum nach der Berlinale.

Die Förderung des Films als verbindendes Massenmedium ist lobenswert, ebenso wie das alljährliche Bemühen um ein Gleichgewicht zwischen allgemein zugänglicher Kost, internationalem Kunstkino und den Werken angehender Regisseur:innen, indem nur Erst-, Zweit- und Drittfilme in den Hauptsektionen konkurrieren dürfen.

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Angesichts des andauernden Konflikts zwischen Kinovorführungen und Streaming zu Hause ist das nachdrückliche Bekenntnis des ZFF zum Kino als physischem Ort ebenfalls ein willkommenes Bekenntnis – auch wenn Jungens und Mayers öffentliche Weigerung, die Idee eines Online-Festivals auch nur in Erwägung zu ziehen, sowohl 2020 als auch 2021 eher wie eine unbedachte Pose als ein verantwortungsvolles Pandemie-Management wirkte.

Doch das Engagement für die Kunstform des Kinos allein reicht nicht aus, um einem Festival eine Identität zu verleihen. Ebenso wenig wie ein gelegentlicher Vorfall, der das Festival in die weltweiten Schlagzeilen hievt  – wie die Verhaftung des Regisseurs Roman Polanski 2009 bei seiner Ankunft in Zürich.

Zwölf Jahre später ist diese peinliche Episode das vielleicht bedeutendste Ereignis in der Geschichte des ZFF. Das macht den Mangel an internationalem Ansehen des Festivals in Bezug auf sein Programm schmerzlich deutlich.

James Bond
Man darf gespannt sein, ob die Galavorführung von No Time to Die, dem lang erwarteten neuen James-Bond-Film, Polanskis Verhaftung endlich überstrahlen wird. Sensationellerweise findet die Vorführung fast zeitgleich mit der Weltpremiere des Films in London statt. © 2019 Danjaq, Llc And MGM

Unter den Schweizer Festivals

Andere Schweizer Festivals schneiden in dieser Hinsicht viel besser ab – auch wenn die meisten von ihnen nicht mit den Zuschauer:innenzahlen von Zürich mithalten können.

Solothurn ist trotz seiner unbestreitbaren strukturellen Schwächen immer noch die richtige Adresse, wenn man sich einen Überblick über das aktuelle Schweizer Kino verschaffen will. Das Visions du RéelExterner Link in Nyon und das FantocheExterner Link in Baden sind international renommierte Adressen für Dokumentar- bzw. Animationsfilme.

Locarno, das einzige Schweizer Filmfestival, das die Besucherzahlen des ZFF noch übertrifft, ist eine europäische Institution, die trotz der jüngsten administrativen und künstlerischen Krisen ein Kunstfilmfestival von hohem Ansehen ist.

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Im Vergleich dazu scheint sich das ZFF mit seinem Schwerpunkt auf Starpower als cool, jung und glamourös zu stilisieren – als das Festival, das die grössten Zuschauer:innenmengen anzieht, indem es die berühmtesten Namen beherbergt und für einige der am meisten erwarteten Titel, die in Cannes oder Venedig gezeigt wurden, Zweitpremieren ausserhalb des Wettbewerbs an Land zieht.

Als Sharon Stone am 25. September die Bühne betrat, um den diesjährigen Golden Icon Award entgegenzunehmen, eine Auszeichnung, mit der «ikonische» Legenden der Leinwand geehrt werden sollen, reihte sie sich in eine Liste meist weisser, meist anglophoner, meist in Hollywood aufgewachsener Preisträger(innen) ein, von Sean Penn bis Cate Blanchett, was auf eine etwas enge Definition von ikonischem Ruhm seitens des Festivals schliessen lässt.

Auch die Retrospektiven der Regisseure, die in der Regel männlich sind, entfernen sich nie zu weit von den bereits etablierten Regisseuren. Für ein Festival, das seinen offensichtlichen Ehrgeiz, eine Brücke zwischen populärer Unterhaltung und unabhängigeren, anspruchsvolleren Werken zu schlagen, ernst nimmt, könnte ein Format wie dieses eine echte Publikumsentdeckung sein.

Sharon Stone in Zürich
Sharon Stone bei auf dem Weg zur Entgegennahme ihres Preises in Zürich. Keystone / Ennio Leanza

Keine Risiken

Die ZFF-Realität ist jedoch allzu oft eine Verstärkung des bestehenden Geschmacks – sichere, vergleichsweise bankfähige europäische Autorenfilmer wie Michael Haneke (Amour), Olivier Assayas (Personal Shopper) oder, dieses Jahr, Paolo Sorrentino (La Grande Bellezza), deren Filme in den Schweizer Arthouse-Kinos zu den Hauptdarstellern gehören.

Paul Schrader, der 2021 mit dem Lifetime Achievement Award ausgezeichnet wurde und dessen jüngste Regiearbeit, das Psychodrama The Card Counter, am Festival zu sehen sein wird, traf in gewisser Weise den Nagel auf den Kopf, als er in seiner Dankesrede das ZFF als «ein sehr hippes Filmfestival» bezeichnete.

Szene aus Paul Schrader s The Card Counter
Der Schauspieler Oscar Isaac spielt im neuen Film von Paul Schrader die Rolle des William Tell, eines ehemaligen militärischen Verhörspezialisten, der zum Spieler wird und von den Geistern seiner Vergangenheit heimgesucht wird. © 2021 Focus Features Llc

Mit seiner 17. Ausgabe hat das ZFF ein Alter erreicht, in dem man sich – in Anlehnung an Christian Jungens Solothurn-Metapher – fragen kann, wohin es sich in Zukunft entwickeln will.

Während es sich in der Schweiz erfolgreich als Fest des Films als Konzept etabliert hat, muss es seine wahre Berufung als Filmfestival auf der internationalen Bühne noch finden. Es ist sicherlich zu früh, um es als «entbehrliches Festival» zu bezeichnen – aber es ist auch nie zu früh, um sich Gedanken zu machen.

Alan Mattli
SWI swissinfo.ch/Carlo Pisani

Alan Mattli schreibt regelmässig über das Kino, auf Deutsch und auf Englisch, sowohl auf seinem eigenen Blog FacingTheBitterTruth.comExterner Link als auch für verschiedene, vorwiegend schweizerische Publikationen wie Frame und Maximum Cinema.

Sie können ihm auf Twitter und Instagram folgen (@AlanMattli), und auch auf Letterboxd (alanmattli).

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