Warum das Wallis so geworden ist
Nach 20 Jahren Restaurationsarbeiten ist das Walliser Geschichtsmuseum jetzt frei zugänglich. Wer sich mit der offiziellen Geschichte des Kantons Wallis vertraut machen will, kommt hier auf seine Rechnung.
«Jeder Geschichtsschreiber ist Anwalt seiner Sache», schreibt der Walliser Jurist und Journalist Peter von Roten 1986 in einer Kolumne in der Zeitung Walliser Bote.
«Um sie richtig gewichten zu können, muss man wissen, wer der Verfasser ist und was er damit bezweckt.»
Da ist es zulässig zu folgern, dass auch jedes Geschichtsmuseum Anwalt «seiner Sache» ist.
Das Walliser Geschichtsmuseum, das offizielle Museum des Kantons, bietet den Besuchern einen Überblick über die Geschichte des Wallis von den ersten menschlichen Spuren vor über 30’000 Jahren bis heute.
Das Geschichtsmuseum ist im Schloss Valeria integriert und das liegt auf einem der beiden Hügel, welche das Stadtbild von Sion prägen: Tourbillon und Valère.
Steiler Aufstieg
Wer also das Walliser Geschichtsmuseum besuchen will, muss auf einen Hügel steigen.
Es gibt keinen öffentlichen Verkehr und keine Autostrasse, die zum Eingang führen. Von der Altstadt bis zum Eingang geht es rund 10 bis 15 Minuten zu Fuss nach oben.
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Kanton
Historische Bausubstanz
Die Burg Valeria war Sitz der Domherren von Sion. Die Museumsräume sind in den mittelalterlichen Gebäuden untergebracht.
Die historische Bausubstanz wurde ausser dem Boden nicht verändert, keine Schraube durfte eingedreht werden. So stehen die Schaukästen wie Möbel in den Räumen. Sie könnten sofort weggeräumt werden und die Domherren würden sich wieder zu Hause fühlen.
Das Museum, in zahlreiche weit verwinkelte Räume mit vielen Treppen gegliedert, ist nicht rollstuhlgängig.
Höhle, Pfeilbogen und Stele
Die Kulturgeschichte des Wallis wird chronologisch präsentiert. Folgerichtig beginnt der Rundgang mit den ersten Spuren menschlichen Tuns.
Die sind im Wallis früh zu finden, in einer Höhle, «welche Bären und Menschen genutzt haben, einfach nicht zur selben Zeit», sagt der Konservator Thomas Antonietti, der als Präsident der Vereinigung der Walliser Museen durch die Ausstellung führt, gegenüber swissinfo.
Stolz ist Antonietti auf eine gut erhaltene Stele, die zu einem Grabmal gehörte und den Übergang der Jäger und Sammler zur Sesshaftigkeit dokumentiert. Das geschah im Wallis vor rund 4500 Jahren.
Von hier oben hat man auch einen schönen Blick auf die Walliser Kantonshauptstadt. «Wohl die älteste Stadt der Schweiz», meint Thomas Antonietti.
Sowieso, der Gang durchs Walliser Geschichtsmuseum zeigt, dass Zentrum und Peripherie wechselvolle Begriffe sind. Zur Römerzeit (Antonietti: für das Oberwallis kaum prägend) war das Wallis Zentrum im Gebiet der heutigen Schweiz und Zürich Provinz oder nobler ausgedrückt Peripherie.
Erst die Kirche, dann die Familienclans
Nach der Christianisierung, die anhand diverser sehr alter Exponate gezeigt wird, nehmen die Bischöfe und mit ihnen die Kirche das Szepter im Wallis in die Hand. Sie haben es bis heute nicht ganz weggegeben.
Dies, obwohl im 17. Jahrhundert (und nachdem die Reformation abgewendet werden konnte) die Kirche ihre weltliche Macht an rund 20 immer mächtigere Familien verlor. Das Zeitalter der Stockalper, von Roten, Supersaxo oder de Riedmatten begann.
Die Eisenbahn kommt
Die Neuzeit beginnt mit dem Beitritt des Wallis zur Eidgenossenschaft 1815, nachdem Napoleon und seine Krieger schwere Verwüstungen hinterlassen hatten.
Das Matterhorn wird zur Ikone, die Eisenbahn kommt und mit ihr die Tunnelbauten am Lötschberg und Simplon.
Die Passstrassen werden ausgebaut. Die Industrie erobert das Wallis, das heute ein wichtiger Standort der Schweizer chemischen Industrie ist.
Die Bauern verarmen. Anstatt sich der Spezialisierung in der Landwirtschaft zu stellen, wandern viele lieber nach Argentinien aus. Der Tourismus wird immer mehr zur wichtigen Einnahmequelle.
Symbolisiert wird dieser Aufbruch mit einer Schneekanone, die mitten in den alten Ausstellungsräumen steht.
Wassermangel
Am Ende des Rundgangs, der seine Zeit braucht, hat der Besucher einen Einblick in die, wie es heisst, «vielfältige Walliser Identität» erhalten.
Es gibt aber auch Dinge, die im Walliser Geschichtsmuseum fehlen. So zum Beispiel die Geschichte der hölzernen Wasserleitungen, der Suonen (Bisses), welche das «Heilige Wasser» im trockenen Wallis zu den Menschen leitet und für viele Schicksalsschläge sorgte.
«Für alles hatten wir halt nicht Platz», sagt Thomas Antonietti. «Wir mussten auswählen.» Und er empfiehlt die weiteren rund 50 grösseren und kleineren Museen im Wallis. «Da finden Sie vom Bernhardiner Hund bis Rilke und dem Weinbau alles, auch die Bisses.»
swissinfo, Urs Maurer
5. Jhd. v. Chr: Kelten verdrängen die Urbevölkerung.
58 v. Chr.: Die Römer kommen, können das Wallis jedoch erst rund 50 Jahre später unterwerfen.
999: Das Burgund überträgt das Wallis dem in Sion residierenden Bischof als Lehen.
1250–1390: Fehden und Volkserhebungen zerrütten das Wallis.
1660: Der international tätige Kaufmann Kaspar Jodok Stockalper (1609 – 1691), der «König vom Simplon», auf dem Höhepunkt seiner Macht. (Brig: Stockalper Palast)
1810: Das Wallis wird französisches Departement.
1813: Nach dem Zusammenbruch des französischen Empires sind die Österreicher im Wallis.
1815: Österreich überzeugt das Wallis, den vom Wiener Kongress beschlossenen Anschluss an die Eidgenossenschaft zu akzeptieren.
Das Wallis ist zweisprachig (ca. 200’000 Französisch und 80’000 Deutsch).
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