«Wenn ich auch kein Tessiner geworden bin….»
Seine letzten 40 Jahre verbrachte Hermann Hesse in Montagnola bei Lugano, wo er bewusst zurückgezogen lebte. Im Dorf wusste man lange nichts von seiner Berühmtheit. Das hat sich im Laufe der Zeit geändert.
Sehnsucht Süden. Hermann Hesse war 1919 im Alter von 42 Jahren ins Tessin gezogen. Er befand sich nach der Trennung von seiner ersten Frau Maria Bernoulli in einer schwierigen Lebenssituation und suchte einen Neuanfang. Diesen fand er in der Südschweiz, innerlich und räumlich. Montagnola und die Wohnung in der Casa Camuzzi wurden sein neues Zuhause.
«Als ich auf der Suche nach einer Zuflucht, zum ersten Mal nach Montagnola kam und eine kleine Wohnung mietete, war ich ein Mann «in den besten Jahren» und war gesonnen, nach einem vierjährigen Krieg, der auch für mich mit Niederlage und Bankrott geendet hatte, von vorne anzufangen», erinnerte sich Hesse vier Jahrzehnte nach dem Umzug.
Keine Frage: Hesse war vom Süden und auch von den Bewohnern fasziniert. «Hier ist die Sonne intensiver und wärmer, die Berge sind röter, hier wachsen Kastanien, Trauben, Mandeln und Feigen. Die Menschen sind gut, wohlerzogen und freundlich…», schrieb Hermann Hesse 1919 über seine neue Heimat.
Literat als «Schmierfink»
Für die Einheimischen war der Zugezogene anfänglich ein merkwürdiger Kauz. Insbesondere für die Kinder. Der spätere Postbote Giulio Petrini – Jahrgang 1913 – besuchte die erste Klasse der Primarschule, als er Hesse zum ersten Mal sah.
In einem Interview, das Petrini der Direktorin des Hesse-Museums, Regina Bucher, vor einigen Jahren gab und in eine Ausstellung des Jahres 2002 einfloss, erzählt er, dass die Kinder Hesse damals hänselten. «Schau, da kommt der ’Paciügon’» riefen sie in Tessiner Dialekt nach. Will sinngemäss heissen: Da kommt der Schmierfink.
Glaubt man Zeitzeugen, war Hesse gerade in der Anfangszeit seines Aufenthaltes in Montagnola noch ein wenig am Dorfleben interessiert. Er spielte gelegentlich Boccia im Grotto Cavicc. Später, nach seinem Umzug 1932 in die Casa Rossa, zog er sich immer mehr zurück, vor allem, nachdem er 1946 den Nobelpreis erhalten hatte. Berühmt geworden ist das Schild an seiner Gartentür: «Bitte keine Besuche!»
In der Casa Rossa hatte er seinen Bereich, wo er schrieb und die Unmengen von Briefen beantwortete, die ihn in Montagnola erreichten. Mindestens so wichtig wie die Schreibstube war ihm der Garten. Er hielt sich dort häufig mit einem grünen Gärtner-Anzug auf. Er kümmerte sich um die Tiere, stellte oft ein Schälchen mit Milch für die Igel, Ringelnattern, Vipern und natürlich für seine Katzen hin.
Unterschiedliche Kulturen
Regina Bucher meint, dass Hesse vom bäuerlichen Leben fasziniert war, es vielleicht aber idealisiert habe. «De facto gab es natürlich einen tiefen Graben zwischen dem Intellektuellen und Schriftsteller und der örtlichen Bevölkerung», so Bucher. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Montagnola noch ein armes Bauerndorf aus Steinhäusern.
So wundert es auch nicht, dass die Einwohner eigentlich lange gar nicht wussten, wer da ins Dorf gezogen war. Dies bestätigen übereinstimmend diverse Zeitzeugen. Zumal seine Bücher lange nicht ins Italienische übersetzt waren.
Spartaco Arigoni, später Gemeindepräsident von Gentilino, erinnert sich: «Ich wusste, dass er ein Schriftsteller war, nicht zuletzt deshalb, weil auf den Briefumschlägen häufig «Hermann Hesse, Schriftsteller» geschrieben war. Aber mir, und auch der Mehrheit der Bevölkerung, war nicht bewusst, wie berühmt und bedeutend Hermann Hesse war.»
Wohlfühlen in Montagnola
Hermann Hesse hatte in Montagnola seine neue Heimat gefunden. «Er fühlte sich sehr gut hier, er fühlte sich zu Hause», erinnert sich Posthalter Petrini. Man könne es auch daran sehen, dass er nicht mehr wegfuhr und nicht mehr nach Deutschland reiste.
Unterschiedlich sind die Meinungen, wie gut er integriert war. So sagt Silvana Charbon in einer Dokumentation von Zeitzeugen: «Meines Erachtens war es schwierig für ihn, sich zu integrieren, da er sich zu Hause und mit den Freunden deutsch unterhielt, während im Dorf vor allem Dialekt gesprochen wurde.»
Der Elektriker Sergio Balmelli, der bis zum Tode Hesses in der Casa Rossa tätig war, erklärte. «Ich glaube, er fühlte sich gut in Montagnola, weil wir es mit dem Motto hielten: Leben und leben lassen – jeder erledigte seine Arbeit und liess den anderen seine Arbeit tun.» Er hatte in jedem Fall Italienisch gelernt.
Grab in bester Lage
Hesse selbst äusserte sich immer positiv über seine Wahlheimat. «Ich habe dem Dorf und seiner Landschaft viel zu danken. Ich habe meiner Dankbarkeit auch immer wieder Ausdruck zu geben versucht», schrieb er kurz vor seinem Tod.
Der Autor starb am 9. August 1962 an einem Gehirnschlag. Seine Frau Ninon überlebte ihn vier Jahre und verstarb am 22. September 1966. Beide sind auf dem Friedhof St. Abbondio begraben.
Dort hatte sich der Schriftsteller «einen hübschen kleinen Platz» gekauft, wie er selbst im «Merian-Heft Tessin» von 1960 schrieb. Und weiter: «…und so hoffe ich, wenn ich auch kein Tessiner geworden bin, die Erde von St. Abbondio werde mich freundlich beherbergen, wie es Klingsors Palazzo und das rote Haus am Hügel so lange Zeit getan hat.»
Hermann Hesse wird am 2. Juli 1877 im süddeutschen Calw geboren.
1919 zieht er nach Montagnola in die Casa Camuzzi.
Dort schreibt er u. a. die Klassiker «Siddharta», «Narziss und Goldmund», «Steppenwolf» und das «Glasperlenspiel».
1924 wird er Schweizer.
Während des Zweiten Weltkriegs verhilft er vielen Juden zur Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland.
Im Jahre 1931 zieht er mit seiner dritten Ehefrau Ninon in die Casa Rossa in Montagnola.
1946 erhält Hesse den Nobelpreis für Literatur.
Am 1. Juli 1962 verleiht ihm die Gemeinde Montagnola die Ehrenbürgerschaft.
Er stirbt in Montagnola am 9. August 1962 an einem Gehirnschlag.
11. August 1962: Hesse wird im Kreis seiner Familie und Freunde auf dem Friedhof Sant’Abbondio in Gentilino bei Montagnola beigesetzt.
Zum 50. Todestag von Hermann Hesse gibt es in der Schweiz und im Ausland zahlreiche Veranstaltungen, Ausstellungen und Tagungen.
Die ergreifendste dieser Gedenkveranstaltungen fand am 5. August direkt am Grab von Hermann Hesse statt. Mit einer Lesung und Musik wurde auf dem Friedhof S. Abbondio in Gentilino dem 50. Todestag von Hermann Hesse gedacht.
Dabei erinnerte Spartaco Arigoni, der ehemalige Gemeindepräsident von Gentilino, an Hesses Beerdigung vor 50 Jahren erinnern. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Stiftung Hermann Hesse Montagnola.
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