Yoko Ono träumt für Zürich
Kunst ohne die Mitarbeit des Publikums ist nie fertig. Mit dieser Botschaft zeigt Yoko Ono ihre Werke in Zürich.
Das migrosmuseum ehrt eine Visionärin, die spät zu Ehren kommt.
Yoko Ono ist zum ersten Mal mit einer umfassenden Einzelausstellung in der Schweiz zu erleben. Das migrosmuseum für Gegenwartskunst in Zürich zeigt einen Schaffensüberblick, der von den 1960-er Jahren bis in die Gegenwart reicht.
In der Gesamtschau «horizontal memories» zeigt Yoko Ono Installationen, Skulpturen, Filme, Fotos und einen Schwerpunkt zu ihrem musikalischen Werk.
Yoko Ono ist eine schillernde und kreative Persönlichkeit unserer Zeit, die an der Seite von John Lennon zuerst verfemt und später weltberühmt wurde. Jahrzehntelang lebte die Frau aus Japan als Tamagotchi einer halbstarken Kunst, als Spaltpilz der Beatles, als künstlerische aber unverstandene Visionärin und als schwarze Witwe ihrer schrägen Töne.
Nachkriegsmärchen Yoko Ono
Die charismatische Frau zieht heute als künstlerisches Nachkriegsmärchen aus Japan durch die Welt, das in einschlägigen Kreisen so bekannt ist wie «Toyota», «Sony» und andere «brand names» aus Japan.
Die Retrospektive von Yoko Ono in Zürich stellt gezielt Ansprüche. Werke wie «Instructions for Paintings», «Half-a-Room» oder «Wish Tree» verlangen, dass sie der Besucher vervollständigt und Yokos (Vor-)Arbeit im eigenen Kopf und im Herz zusammensetzt und vollendet. Die Multimedialität von Yoko Onos Schaffen durchbricht Gattungsgrenzen.
Tokio-New York: ein weiter Weg
Yoko Ono wächst in Japan auf und erhält als Kind Klavier- und Gesangsunterricht. Bis die zierliche Frau einst mit John Lennon und Chuck Berry gemeinsam auf der Bühne steht und zum Klassiker «Memphis Tennessee» ihren wiehernden Gesang beisteuert, ist noch ein langer Weg.
Yoko studiert zuerst in Tokio Philosophie, flirtet mit den Ideen von Karl Marx und Jean Paul Sartre, bevor sie mit ihrer Familie nach New York zieht. Dort studiert sie zeitgenössische Komposition und Poesie und bewegt sich in avantgardistischen Kreisen.
Yoko Ono macht 1955 «Performances», bevor es in der Kunstszene diesen Begriff gibt, zündet ein Streichholz an, gibt dem Betrachter «instructions», lenkt seine Aufmerksamkeit auf die Verbrennung der bengalischen Chemie.
Sie schöpft damit ihr Paradigma, das bis heute Bestand hat: Kunst soll nicht statisches Gebilde, sondern Prozess und Aktion sein. Das Publikum ihrer Ausstellungen soll erfahrender, teilnehmender, lernender Teil von Yoko Onos Kunst sein.
Entblösst aber nie nackt
Legendär wurde eine Performance Mitte der 1960-er Jahre: Yoko Ono kniete vor das Publikum, forderte die Besucher auf, ihr die Kleider Stück für Stück vom Leib zu schneiden, bis Yoko Ono entblösst vor dem Publikum war. Später in ihrer künstlerischen Laufbahn überliess Yoko Ono die Entblössung als Geste des Feminismus ihrem Partner John Lennon.
In Zürich blieb Yoko Ono mit dem Publikum auf Distanz. Sie überliess die Räume des migromuseums den Betrachtern ihrer Werke, wo mit dem Vokabular der Poesie jongliert wird. In der Arbeit «Wish Tree» (1996/2005) fordert Yoko Ono die Besucher und Besucherinnen auf, nach alter Shinto-Tradition ihre Träume auf Papier niederzuschreiben und an einen Baum zu hängen.
Träumt Zürich?
Zürich träumt nicht (mehr). Yoko Ono erinnert mit ihrer Schau «horizontal memories» das Publikum daran, dass Träume essenziell sind, einem kollektiven Bedürfnis nach Zukunft und nach Visionen entsprechen.
swissinfo, Erwin Dettling, Zürich
Die japanische Künstlerin Yoko Ono, Witwe des Beatle John Lennon, wird im Zürcher migrosmuseum für Gegenwartskunst erstmals einem grösseren Publikum in der Schweiz vorgestellt.
Die umfassende Einzelausstellung «YOKO ONO – horizontal memories» dauert vom 4. Juni bis 14. August 2005.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch