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Abschied vom Zürcher Hallenstadion

Das Zürcher Hallenstadion ist in die Jahre gekommen und genügt den heutigen Anforderungen nicht mehr. Keystone

Die Rolling Stones, Muhammad Ali, der ZSC, die Zeugen Jehovas, Radrennfahrer und viele tausend Aktive mehr, traten vor Millionen von Zuschauern in Zürichs Sporthalle auf.

Jetzt ist sie 64 Jahre alt geworden und geht in den aktiven Ruhestand. Das Hallestadion wird für 147 Mio. Franken umgebaut.

Das allerletzte Konzert im Hallenstadion war am 29. Mai ausgerechnet die «Farewell Tour» der ewig jugendlichen Cher. Sie, die im Gegensatz zum Hallenstadion, ihr wahres Alter immer verdeckte, brachte dem ehrwürdigen Stadion das Abschiedsständchen dar.

Einzig eine kleine Gruppe von Hockey-Fans liess ein verzagtes «hier regiert der ZSC» ertönen. Doch ihr Ruf wurde kaum gehört, denn wer all die 64 Jahre im Hallenstadion regierte, ist schwer zu sagen.

Gedeckte Radrennbahn

Das Zürcher Hallenstadion, das im Kreis 11, ganz genau in Oerlikon steht, wurde in den Jahren 1938/39 gebaut. Damit Radrennen vor Niederschlägen geschützt durchgeführt werden konnten.

Neben dem heutigen Stadion war nämlich schon etliche Jahre früher die offene Rennbahn Oerlikon gebaut worden. Da Radrennen und Regen sich schlecht vertrugen, forderten die zahlreichen Radsportfans ein Dach.

«Das Dach ist nie gebaut worden», schreibt der ehemalige Radio-Sportreporter Sepp Renggli in der «Neuen Zürcher Zeitung». Dafür sei ein paar Jahre später auf dem der offenen Rennbahn benachbarten 20’000 Quadratmeter grossen Sumpfgelände Europas grösste Sporthalle entstanden.

Ballon explodierte

Die Bauzeit hat 14 Monate betragen, die Kosten betrugen 2,5 Mio. Franken. Doch als alles für die feierliche Eröffnung bereit war, beschädigte ein Werbeballon das neu gebaute Hallenstadion und liess einen Schaden von über 180’000 Franken zurück.

Das Landeseil des Heissluftballons, der hinter dem Stadion landen wollte, touchierte die Fahrleitung der Eisenbahn. Die nachfolgende Explosion war so stark, dass die Eternitdecke und die Wände des Hallenstadions zerstört wurden.

Eröffnung im Weltkrieg

So konnte der berühmte Schauspieler Heinrich Gretler die Eröffnungsgäste erst am 4. November 1939 – also bereits nach Beginn des 2. Weltkrieges – im Hallenstadion und vor allem im Trockenen begrüssen.

Knapp überlebte das Hallenstadion die finanzielle Durststrecke der Kriegsjahre. Die Halle diente als Motorfahrzeugpark der Armee «und Gauleiter Bohlen, Chef der fünften Kolonne der Deutschen in der Schweiz, durfte im Hallenstadion Hitlers Parolen verkünden», schreibt Renggli. Der Bundesrat habe die Kundgebung mit dem Hinweis «sonst liefern uns die Deutschen keine Kohlen mehr» toleriert.

Velo und Eishockey

Nach dem Krieg wurde das Hallenstadion vor allem von den Radrennfahrern in Besitz genommen. Einmal pro Jahr wurde auch ein Sechstagerennen durchgeführt.

Das erste wurde 1954 von der ersten Gewinnerin des «Grand Prix Eurovision», der Schweizerin Lys Assia, mittels Pistolenschuss gestartet.

1950 zog Konkurrenz für die Radcracks ins Stadion. Nach etlichen Querelen wurde eine Eisbahn eingebaut.

Der Zürcher Schlittschuhclub, der ZSC (heute ZSC Lions), zügelte ins Hallenstadion und fortan wurde in «Anwesenheit» einer riesigen Holzradrennbahn, welche die Zuschauerinnen und Zuschauer auf eine eigenartige Distanz hielt, Eishockey gespielt. Bis Ende Saison 2004 übrigens.

Millionen von Zuschauern

Es würde weit führen, wollte man all die «Events», welche im Hallenstadion stattfanden, aufzählen. Um zu Geld zu kommen, wurde das Stadion einer immer weiter gefächerten Kundschaft vermietet.

Allem voran, sind die zahlreichen Rock- und Popmusik-Veranstaltungen zu erwähnen. Beinahe legendär ist das 1967er-Konzert der Rolling Stones geworden. Die Neuzeit hielt Einzug in Zürich und der Schweiz. Es gingen gar etliche Stühle dabei in Brüche.

Doch waren auch Louis Armstrong, Liza Minelli, Pink Floyd, Harry Belafonte, Elton John und viel mehr da. Die letzten drei: Sting, Britney Spears und eben Cher.

Für einen Schweizer Rockmusiker war es die absolute Krönung, das Hallenstadion mit seinen 11- bis 12’000 Plätzen zu füllen. Nur wenigen gelang es. Darunter sind Krokus, Golä und DJ Bobo.

Aber auch Trachtenfeste, Country-Festivals (mit zum Beispiel Johnny Cash), Hundeausstellungen, Firmenveranstaltungen und Generalversammlungen, die Schweizerische Radio- und Fernsehausstellung (FERA) war bis zu ihrem Untergang Gast.

Opern und Operetten und auch Boxveranstaltungen – Muhammad Ali gegen den Deutschen Jürgen Blin (KO 7. Runde) – und viele(s) mehr, tummelte sich im Zürcher Hallenstadion. Das damit zum Kulturgut wurde und nun unter Denkmalschutz steht.

Deshalb wird es auch nicht abgerissen sondern in nur 14 Monaten zur modernsten Mehrzweckhalle der Schweiz umgebaut. Dafür wurden 147 Mio. Franken veranschlagt. Dass zur Eröffnung ein Heissluftballon einfliegen soll, ist lediglich ein Gerücht.

swissinfo, Urs Maurer

Gut 5000 Veranstaltungen wurden seit 1939 im Hallenstadion durchgeführt. Sportwettkämpfe, Musikspektakel, Ausstellungen und vieles mehr.

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